Mannheim. Olaf Kremer ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Einzelkämpfer. Der Stadtrat hat kein Fraktionsbüro, das Hinweise weiterleitet oder Termine koordiniert. Er hat keine Kolleginnen und Kollegen in seiner Fraktion, mit denen er sich austauschen kann. Keine politischen Felder, für die er Experte ist. Eigentlich muss er der in allen Gebieten sein und die dazugehörigen Vorlagen studieren. Eineinhalb bis zwei Stunden pro Tag würde das kosten. Olaf Kremer ist der einzige freie, also fraktionslose Stadtrat im Gemeinderat. „Allein deshalb ist der Zeitaufwand enorm“, sagt er.
Das aber möchte der 55-Jährige sicherlich nicht als Beschwerde verstanden wissen. Schließlich sei er gut vernetzt und komme deshalb auch ohne Büro an die für ihn relevanten Informationen und Einladungen, ist er überzeugt. Und schließlich hat er sich ja auch bewusst für diese Situation entschieden. Als Kremer im April vergangenen Jahres für Patrick Haermeyer in den Gemeinderat nachrückte, gehörte er dort der Grünen-Fraktion an. Es folgten politisch aufregende Wochen und Monate, in denen die Partei nicht nur die Oberbürgermeisterwahl verlor - sondern auch Kremer, der im August für viele überraschend und mit scharfer Kritik an der Politik der Grünen aus Partei und Fraktion austrat.
Bereut hat Kremer diesen Schritt nicht. Der Stadtrat hatte erklärt, die Wahlperiode ohne Fraktion im Rücken zu beenden. „Ich kann ungezwungener in Diskussionen einsteigen und meine Meinung sagen, ohne sie hinter der Fraktion verbergen zu müssen“, sagt er. „Eine ganze Periode als freier Stadtrat würde ich aber niemandem raten.“
Im Gespräch im „Café am Rathaus“ ist Kremer ein eher zurückhaltender Vertreter seiner Zunft. „Umtriebig, aber in sich ruhend“, charakterisiert er sich selbst. Der 55-Jährige erzählt zunächst von seiner Arbeit als Angestellter der Baugenossenschaft, für die er als Immobilientechniker tätig ist. Außerdem führt der ausgebildete Sozialberater in der Immobilienwirtschaft Sozialberatungen durch - eine Aufgabe, „die zurzeit immer größer und wichtiger wird“ und die auch seine Politik prägt. „Wir müssen in der Arbeiterstadt Mannheim auch Menschen mitnehmen, die ein durchschnittliches Gehalt oder ein bisschen weniger verdienen“, hatte er im August nach seinem Austritt erklärt.
Vor 55 Jahren in Unna geboren, kam Kremer später als Teenager mit seinen Eltern nach Mannheim. „Einschneidend“ sei der Umzug für den Jugendlichen gewesen, erinnert er sich. Heute erzählt er das mit einem fast spitzbübischen Grinsen, und ein kurzes Lachen ist zu hören - wie oft im Gespräch. Damals aber hatte sich die Begeisterung über die Luftveränderung in engen Grenzen gehalten.
Wenn Kremer weder Vorlagen studiert noch Termine als Stadtrat wahrnimmt, fordert ihn sein Enkel. Den kleinen Jungen, der demnächst eingeschult wird, pflegen seine Frau und er gemeinsam. Sonntags trifft man Kremer oft in der Liebfrauenkirche, wo er die Lesung hält. Innerlich sei er häufig sehr aufgewühlt, sagt er. „Aus dem Glauben schöpfe ich dann viel Kraft und Ruhe.“
Warten auf den Schlussknall
Als Fraktionsloser kann Kremer an Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse teilnehmen. Auch Anträge darf Kremer stellen - was er aber noch nicht getan hat. „Das hebe ich mir für den Schlussknall auf“, kündigt er an, und wieder ist das ihm typische Grinsen zu erkennen.
Welche Inhalte die Anträge genau haben, verrät Kremer noch nicht. Er richtet seine Politik an Bedürfnissen der Schwächeren der Gesellschaft aus. Kremer spricht viel über sozialen Wohnungsbau, hohe Mieten oder über Möglichkeiten zur Teilhabe sozial schwächer Gestellter. Diese Punkte habe er in der Politik seiner ehemaligen Partei vermisst.
Eine neue politische Heimat hat Kremer noch nicht gefunden. Als freier Stadtrat könne er Fraktionen politisch besser auf die Füße treten, ist er trotz der strukturellen Nachteile der Form seines Mandats überzeugt. „Parteien neigen oft dazu, Entscheidungen nicht zu treffen, sondern sie endlos zu diskutieren und totzureden.“ Das habe man beim Verkehrsversuch oder - ganz aktuell - bei der Umbenennung von Straßen in Rheinau-Süd beobachten können. „Gefühlt diskutieren wir die Umbenennungen seit mehr als zwei Jahren und sind noch keinen Schritt weitergekommen.“
Eine Zukunft im Sozialen
Fühlt sich Kremer denn trotzdem noch als Grüner? „Nein“, antwortet er genauso entschieden wie kurz. Seine Zukunft sieht er im Sozialen, wohl bei der SPD. Gespräche habe es bereits gegeben. Für den nächsten Gemeinderat aber wird Kremer nicht kandidieren. Der Aufwand sei zu groß, sagt er - und reiht sich damit in eine illustre Runde mehrerer Stadträte ein, die aus dem selben Grund auf eine neuerliche Kandidatur verzichten.
Kremer wolle sich wieder mehr um seinen Enkel kümmern. „Ich will den besonderen Herausforderungen gerecht werden, vor denen mein Enkel in der wichtigen Zeit steht, wenn er eingeschult wird.“ Ein Abschied auf Dauer soll das aber nicht sein. „Fünf Jahre gehen schnell vorbei“, sagt er.
So schnell diese Jahre vergehen, so viel kann in dieser Zeit politisch geschehen. Das wird Kremer als politisch Interessierter verfolgen. „Ich wünsche der Stadt eine sozial-gerechte Politik - und dass das Miteinander mehr gefördert wird.“ Gelingt das nicht, hat Kremer in fünf Jahren wieder eine politische Aufgabe. Dann vielleicht auch wieder mit einer Fraktion im Rücken.
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