Mannheim. Herr Hartmann, Herr Jung, wir gehen einfach mal davon aus, dass Sie als Dekane fasten.
Ralph Hartmann: Ja, Schokolade.
Karl Jung: Ich trinke keinen Alkohol und keinen Kaffee in der Fastenzeit.
Sonst schon?
Jung: Sonst schon. Ein Glas Wein trinke ich gern, und Kaffee gehört für mich normalerweise täglich dazu. Beides faste ich schon seit 20, 25 Jahren. Trotzdem merke ich die Umstellung an Aschermittwoch oder am Tag danach jedes Mal wieder, aber ab dann läuft es eigentlich ganz gut.
Und wie schwierig ist es mit der Schokolade, Herr Hartmann?
Hartmann: Das ist wahrscheinlich leichter als Kaffee. Ich muss schon immer mal wieder ans Naschen denken, aber der Verzicht fällt mir nicht so schwer, muss ich zugeben. Ich faste auch immer unterschiedlich, habe auch schon mal auf Alkohol verzichtet. Es ist schon deutlich mehr eine Gewohnheit, dass zu einem guten Essen ein Rotwein gehört. Das Härteste aber war, auf das Auto zu verzichten.
Wieso fasten Sie beide überhaupt?
Jung: Es geht darum, zu überprüfen, wie mein Glaube ist, mein Leben, mein Lebensstil. Was kann ich anders machen, wo bin ich möglicherweise in Abhängigkeiten drin und wie kann ich da rauskommen? Es ist ein Gefühl von Freiheit, wenn ich nach ein paar Tagen ohne Kaffee merke: Das geht ja doch. Und es geht ja sogar gut, ich fühle mich lebendig. Zum anderen sehe ich die sechs Wochen Fastenzeit als Vorbereitung auf Ostern. Wo ist etwas, das mich und andere Menschen wieder stärker zum Leben im Sinne des Evangeliums hinführt? Wo kann ich mich dafür einsetzen und einbringen?
Warum fangen Sie nach der Fastenzeit denn wieder mit Kaffee an, wenn Sie sich ohne ihn doch so lebendig fühlen?
Jung: Gute Frage. Ich denke, weil ich ihn eben doch gern trinke. Das ist fast so ein kleines Ostererlebnis, wieder den ersten Kaffee oder in der Osternacht das erste Glas Rotwein zu schmecken. Das hat schon was.
Hartmann: Es geht darum, einen Unterschied zu machen. Wenn alles gleich ist, gibt es keine Erkenntnisgewinne. Und das passt gut in die vorösterliche Zeit, auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht.
Man weiß es wieder mehr wertzuschätzen.
Hartmann: Ja. Fasten hat einen großen Moment von Freiheit. Freiheit für Anfänger ist, wenn man denkt, man ist dann frei, wenn man seinen Impulsen immer folgen und tun kann, nach was einem gerade der Sinn steht. Freiheit für Fortgeschrittene heißt, dass man das tut, was man wirklich will und nicht blind Impulsen folgt.
Die Dekane und die „MM“-Fasten-Challenge
- Ralph Hartmann: Er wurde 1965 in Mannheim geboren. Nach Abitur am Moll-Gymnasium und Zivildienst studierte er evangelische Theologie und absolvierte das Aufbaustudium „Change-Management“ in Heidelberg. Seit April 2012 ist Hartmann Dekan der Evangelischen Kirche.
- Karl Jung: Er wurde 1959 in Baden-Baden geboren. 1987 wurde Jung nach dem Theologiestudium in Freiburg und München zum Priester geweiht. Seit 2005 und bis Ende 2025 ist Jung Dekan der Katholischen Kirche.
- Die „MM“-Fasten-Challenge: Seit Aschermittwoch verzichten Lea Seethaler auf Süßigkeiten und ihre Kollegen Sebastian Koch auf Alkohol und Florian Karlein auf Energy-Drinks. Sie berichten darüber: instagram.com/mannheimer_morgen.
Ist das Fasten noch zeitgemäß?
Hartmann: Heutzutage ist das Fasten ziemlich in den Hintergrund gedrängt. Das war früher viel stärker, als die Fastenzeiten kollektives Verhalten strukturiert haben. Da schiele ich gern auf den Ramadan im Islam. Das ist schon mächtig, wenn man vier Wochen lang gemeinsam den ganzen Tag über auf Essen und Trinken verzichtet und abends kollektiv das Fasten bricht. So etwas hat es in christlich geprägten Gesellschaften lange Zeit auch gegeben. Das wurde dann im Zuge von Säkularisierung und Individualisierung in den Hintergrund gedrängt. Es gibt nur wenige Momente, in denen wir als Gesellschaft in großer Breite kollektive Erfahrung machen: Weihnachten und alle zehn, 15 Jahre ein Endspiel bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. Aus der Perspektive des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist der Ramadan deswegen sehr bemerkenswert.
Wir haben den Eindruck, dass der individuelle Verzicht in der Fastenzeit wieder zunimmt.
Hartmann: Ja, aber ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben. Wahrer Luxus ist ja nicht All Inclusive auf den Malediven, sondern irgendwo hinzufahren, wo es keinen Handyempfang gibt und man sich seine Nahrung selbst beschaffen muss. Es gibt eine große Sehnsucht danach, Dinge wegzulassen.
Nehmen Sie in Ihren Gemeinden wahr, dass das Fasten vor Ostern bei den Menschen eine Rolle spielt?
Hartmann: Sehr individuell.
Jung: Die Gottesdienste sind in der Fastenzeit stärker besucht als sonst unter dem Jahr. Besonders eindrücklich finde ich den Aschermittwoch, wenn im Gottesdienst die Asche ausgeteilt wird. Da sind die Kirchen bei uns voll. Dieser Gottesdienst an Aschermittwoch ist bei vielen Menschen stark verwurzelt. Vielleicht auch, weil man dann über das eigene Leben nachdenken muss. Immerhin wird einem an diesem Tag ungeschönt gesagt: Staub bist du, zu Staub kehrst du zurück. Keine einfache Botschaft, mit der man sich auseinandersetzen muss.
Gibt es in der Tradition des Fastens Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken?
Hartmann: Ja, sehr deutliche. Die Reformation hat sich damals dagegen gewendet, dass sich vieles in Äußerlichkeiten abspielt und dass wenig innerlich nachvollzogen wird. Das führte dazu, dass man ziemlich radikal mit Äußerlichkeiten gebrochen hat, und das betraf auch das Fasten. Martin Luther hat zwar gefastet und das Fasten auch gutgeheißen, aber gleichzeitig betont, dass das Fasten nichts zum Seelenheil beiträgt. Dadurch ist das Fasten in der protestantischen Tradition deutlich, deutlich weniger stark verankert. Fasnacht und Aschermittwoch spielen in unserer Tradition deswegen gar keine Rolle. Schon in der biblischen Tradition gibt es diese Auseinandersetzung.
Zum Beispiel?
Hartmann: Jesaja, ein bedeutender Prophet, sagt an einer Stelle: Ich mag euer Fasten nicht. Der Vorwurf: Ihr tut ja nur so, wenn ihr fastet, aber gleichzeitig die Armen unterdrückt. Außen und Innen müssen zusammenpassen - das ist ein wichtiger Bestandteil des Fastens. Gerade im Alten Testament war Fasten oft Ausdruck von Trauer. Wer einen wertvollen Menschen verliert, fastet automatisch.
Wie sehen Sie das, Herr Jung?
Jung: Wichtig ist auch, das Fasten nicht nur auf den körperlichen Verzicht zu reduzieren. Vor allem in der katholischen Tradition bedeutet Fasten auch Beten, eine Intensivzeit des Glaubens. Obwohl es Fastenzeit heißt, ist das Fasten des Leibes nicht allein der entscheidende Punkt. Eigentlich geht es um eine Neuauseinandersetzung mit dem Glauben, mit der Gottesfrage: An welchen Gott glaube ich, wie glaube ich, was schenkt mir dieser Glaube? Und das Dritte ist: Nächstenliebe, Almosen geben, für die Armen und Unterdrückten da zu sein. So haben sich zum Beispiel die großen Kollekten entwickelt.
Wir verzichten - wie Sie wissen - in unserer „MM“-Fasten-Challenge auch gerade. Uns geht es darum, zu beweisen, dass wir durchhalten. Heißen Sie so etwas gut?
Hartmann: Ja, das hat mit Freiheit zu tun.
Jung: Eben, das ist eine Freiheitserfahrung. Ich kann mich frei entscheiden, ich will darauf verzichten. Vielleicht auch, um anschließend wieder mit neuer Freude genießen zu können. Vor ein paar Jahren habe ich Vollfasten gemacht: Zehn Tage nichts gegessen, nur Wasser getrunken. Das war eine immense Erfahrung für mich. Nach diesen zehn Tagen gab es zuerst eine klare Suppe und einen Tag später einen ganz kleinen Schnitz Apfel. Ich habe noch nie so intensiv einen Apfel gegessen und den Geschmack wahrgenommen. Mir ist da klargeworden, man kann Dinge durch Verzicht neu kennenlernen. Und neu wahrnehmen kann man in der Fastenzeit eben auch die anderen beide Bereiche: Glaube und Nächstenliebe.
Wie Freiheit fühlt sich der Verzicht auf Energy-Drinks nicht an. Ich habe mehrfach am Tag Lust, das Getränk zu trinken. Und das quält ganz schön.
Hartmann: Dann sollten wir die Fastenzeit bis Pfingsten ausdehnen. (lacht) Bis dahin kommt das Freiheitsgefühl bestimmt auch bei Ihnen auf.
Gehört diese Regel zur christlichen Tradition oder haben Sie die gerade erfunden?
Hartmann: (lacht) Die ist nur für Sie!
Das Gespräch entwickelt sich in eine nicht geplante Richtung … Es gibt ja aber auch die Kritik, dass Fasten aus medizinischer Sicht nicht gesund sein kann. Wie sehen Sie das als Kirchenvertreter?
Hartmann: Das ist vorstellbar. Weniger Schokolade wird mir natürlich nicht schaden, weniger Kaffee und Alkohol auch nicht. Wenn man zehn Tage lang gar nichts isst, sollte man keine körperlichen Herausforderungen haben. Wenn ich mir aber anschaue, was die Menschen so fasten, dann weiß ich nicht, was daran gesundheitsschädlich sein sollte. Und sollte es das doch sein, dann sollte man es bleibenlassen.
Sie haben vorhin neidisch auf den Ramadan geschaut, Herr Hartmann. Fällt der in den August, trinken die Gläubigen tagsüber bei über 30 Grad keinen Tropfen. Ist das gesund?
Hartmann: Kinder sollen und sollten ja nicht fasten. Geschwächte Personen auch nicht. Erwachsene Menschen können selbst darüber entscheiden.
Und die zehn Tage Vollfasten, Herr Jung?
Jung: Nein, das ist nicht gesundheitsgefährdend, wenn man es unter Anleitung und nicht alleine macht. Ich hatte am ersten Tag Kopfschmerzen. Statt wie sonst eine Tablette zu schlucken, musste ich das über Nacht aushalten - und am nächsten Tag waren sie weg. Wer natürlich an einer organischen Krankheit leidet, muss vor dem Fasten abklären, ob das funktioniert.
Hartmann: Eine Woche oder zehn Tage lang nichts essen nennt man ja auch Heilfasten. Dass man da Kopfschmerzen bekommt, liegt an der Entgiftung.
Vollfasten nur unter Anleitung?
Hartmann: Man muss nicht einen Arzt bei sich haben. Es gibt Bücher, in denen man sich informieren kann.
Jung: Ich habe damals in einer Gruppe gefastet. Wir haben uns immer am Abend für eine halbe Stunde getroffen und Tee getrunken. Da konnte jeder von seinen Erfahrungen erzählen, wie es einem geht, wie man die Welt dadurch wahrnimmt und wie schwer es einem fällt.
Dafür muss man sich doch Urlaub nehmen. Zehn Tage ohne Essen und nur mit Wasser auf der Arbeit die Konzentration hochhalten, das ist doch unglaublich schwierig.
Hartmann: Ach, das geht schon. Man wird natürlich langsamer. Und man muss mehr auf die Körperpflege achten. Denn man fängt beim Vollfasten an, etwas zu muffeln, weil beim Entgiften alles aus dem Körper kommt.
Es wäre uns natürlich grundsätzlich lieber, wenn es mehr religiöse Hintergründe oder Motivationen gebe (lacht). Das gilt für uns generell. Aber wenn jemand aus Spaß fastet oder, weil es ihm guttut, dann freue ich mich da auch drüber.
Wie schauen Sie auf die „MM“-Fasten-Challenge, die eher ein spaßiger Wettbewerb ohne religiösen Hintergrund ist?
Hartmann: Es wäre uns natürlich grundsätzlich lieber, wenn es mehr religiöse Hintergründe oder Motivationen gebe (lacht). Das gilt für uns generell. Aber wenn jemand aus Spaß fastet oder, weil es ihm guttut, dann freue ich mich da auch drüber.
Jung: Es ist natürlich okay, wenn jemand ohne religiösen Hintergrund fastet. Aber wir wollen in der Fastenzeit immer auf die größere, die ganzheitliche Sicht des Fastens aufmerksam machen - also nicht nur das Fasten des Leibes, sondern auch auf die anderen Dimensionen.
Sind Sie selbst beim Fasten schon mal gescheitert?
Jung: Ja, die Erfahrung des Scheiterns gibt es auch. Gute Vorsätze können irgendwann erlahmen.
Hartmann: Man darf das Fasten auch nicht zu gesetzlich sehen. Gerade beim Alkohol gibt es ja Situationen, in denen man um der Gemeinschaft Willen dann doch etwas trinkt.
Dem Gruppenzwang kann man doch widerstehen.
Hartmann: Natürlich, sollte man auch. Aber man muss kein Drama daraus machen, wenn man beim Fasten mal ausrutscht. Sonst wird es zwanghaft.
Ausgezeichnet!
Hartmann: Übrigens: In der klassischen Fastenzeit, in der kein Fleisch gegessen wurde, war immer der Sonntag ausgenommen.
Die Fastenzeit ist eine Zeit des Entstaubens: sowohl für Genussmittel aller Art, aber auch für die Seele, den Geist, das Herz.
Ein Cheat-Day?
Hartmann: Ja, der Sonntag - als Tag der Auferstehung - unterbricht die weltliche Routine.
Jung: Der Sonntag ist tatsächlich ausgenommen, als Tag des Herrn, als kleines Osterfest. Da sollen das Leben und die Freude im Vordergrund stehen. Wir sprechen zwar von 40 Tagen Fastenzeit - von Aschermittwoch bis Ostersonntag sind es aber 46 Tage. Eben weil die sechs Sonntage rausgerechnet sind.
Das wäre doch ein guter Moment, ein paar traditionelle Fastenregeln zu erklären.
Jung: Man hat früher auf Fleisch verzichtet. Und in der Katholischen Kirche haben wir zwei sogenannte Fasten- und Abstinenztage: den Aschermittwoch und den Karfreitag. Dann gilt die Regel: Nur eine einmalige Sättigung am Tag. Außerdem gibt es in der Fastenzeit die Vorgabe, dass man beichten soll. Über das eigene Leben nachzudenken, um Vergebung und Versöhnung zu bitten. Die Fastenzeit ist eine Zeit des Entstaubens: sowohl für Genussmittel aller Art, aber auch für die Seele, den Geist, das Herz.
Hartmann: Und es gab früher nicht nur die Fastenzeit vor Ostern. Auch die Adventszeit ist eine Fastenzeit gewesen. Viele religiösen Regeln haben zudem einen ökonomischen Hintergrund. Es macht Sinn, bevor man an Weihnachten richtig klotzen will, im Dezember vorher etwas langsam zu machen. Nicht nur wegen der eigenen Gesundheit, sondern auch, weil Fleisch gar nicht so viel verfügbar ist.
Letzte Frage. Wann dürfen wir unser Fasten brechen: Ostersamstag oder erst Ostersonntag?
Hartmann: Ostersonntag, aber der fängt ja mit dem Sonnenuntergang am Ostersamstag an. Sie schaffen das schon!
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