"MM"-Redakteure fasten

Tagebuch des Verzichts: So liefen die ersten Wochen der Fasten-Challenge

Fiese Kollegen, Kopfschmerzen, Verlangen: "MM"-Lokalreporterin Lea Seethaler und ihre Kollegen Florian Karlein und Sebastian Koch fasten seit Aschermittwoch - und bilanzieren ihre ersten zwei Wochen. Sind sie alle noch im Rennen?

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Zuversicht sieht anders aus: Sebastian Koch (l.), Lea Seethaler und Florian Karlein fasten ab Aschermittwoch. © Christoph Blüthner

Tag 1: Keine Chance auf Revanche

Kann doch nicht sein. Ich wache an Aschermittwoch auf, und mein erster Gedanke ist, dass ich den Arbeitstag komplett ohne Energy-Drink bewältigen muss. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mir am Tag davor noch mal richtig etwas gegönnt habe: drei Dosen, um die Vorräte im Körper aufzufüllen. Klar, weit komme ich damit eh nicht, aber die Motivation ist nach wie vor groß. In der Konferenz wendet Sebastian dann fiese Tricks an. Direkt neben mir öffnet er eine Dose, um sie genüsslich abzuziehen. Ich kann es ihm nur schwer heimzahlen – er verzichtet ja auf Alkohol. Käme wohl nicht gut.

Florian Karlein entsagt den Energy-Drinks. © Christoph Blüthner

Tag 2: Verlockt Verbotenes?

Unglaublich wie oft man daran denken kann, eine blöde Getränkedose zu öffnen. Dabei hatte ich doch schon Tage, selten auch mal mehrere hintereinander, an denen ich keinen Energy-Drink zu mir genommen habe. Aber dann hätte ich ja dürfen, es war meine Entscheidung. Ist es jetzt schwieriger, weil es gerade wirklich verboten ist?

Tag 4: Das erste richtige Tief

Heute Vormittag habe ich das erste richtige Tief. Ich vermisse meinen Energy-Drink tatsächlich. Auf einer längeren Autofahrt bin ich schlecht gelaunt – eigentlich eine klassische Situation, in der ich nippe.

Tag 5: Kopfschmerzen klopfen an

Heute kommen Kopfschmerzen dazu. Meine Mutter – aber nicht nur sie – hatte mich vorgewarnt, dass die kommen würden, wenn ich meinen Körper nicht weiter regelmäßig mit Stoff versorgen würde. Ich frage mich jetzt: Sind die Kopfschmerzen tatsächlich eine physische Reaktion oder eine psychische. Oder anders: Rede ich sie mir nur ein?

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Tag 8: So oft …

Das Tief dauert an. Montags arbeite ich im Büro, da bin ich etwas abgelenkt. Es hilft, dass meine Energy-Drinks dort nicht so einfach verfügbar sind. Zuhause ist das ganz anders. Dienstags und mittwochs erlebe ich dagegen wieder eine Situation, die mir vor Augen führt, wie oft ich zu einer Dose greife – Inhouse-Seminar. Bei solchen Gelegenheiten steht eigentlich immer ein Energy-Drink vor mir auf dem Tisch. Dass das so ist, war mir schon vorher bewusst. Aber die Zahl der Alltagssituationen, in denen das so ist, wächst und wächst und wächst …

Tag 9: Verdammtes Homeoffice

Die zwei Paletten mit Dosen auf dem Kühlschrank lachen mich an, verhöhnen mich regelrecht. Wenn ich die Augen über den Laptop hebe, liegen sie direkt in meinem Blickfeld. Im Stundentakt habe ich Lust auf den Citrus-Geschmack, habe ich das Bedürfnis, mir einen Energy-Drink zu öffnen. Gegen 13.45 Uhr ist es am schlimmsten. Kurz vor einer Konferenz bringen mich das Verlangen und die Gewohnheit fast dazu, es wirklich zu tun. Mein Glück ist, dass es im Haus keine eisgekühlten Dosen mehr gibt. Meine Frau hat den Kühlschrank leergeräumt. Puh – sonst hätte ich die Fasten-Challenge an Tag 9 womöglich verloren.

Tag 13: Ich halte das durch!

Es geht bergauf. Kopfschmerzen habe ich schon länger keine mehr. Die Momente, in denen ich zu einer Dose greifen will, sind zwar nicht seltener, aber die Sehnsucht kürzer, das Verlangen ebbt schnell wieder ab. Jetzt bin ich sicher: Ich halte das durch!

Tag 16: Achterbahnfahrt

Vielleicht auch doch nicht. Ein extrem stressiger Arbeitstag – aber kein Energy-Drink zur Belohnung. Und dann noch einen Termin in einem Getränkemarkt mit etlichen Paletten an Dosen. Als ob jemand mit meinem Lieblingsleckerli direkt vor meinem Gesicht wedelt. Am Donnerstag ist immerhin ein Drittel geschafft. 

Sebastian Koch lässt den Alkohol im Kühlschrank stehen. © Christoph Blüthner

Tag 1: Die Bayern machen’s schwer

Im Gegensatz zu Lea und Florian fällt es mir leicht, den Tag über zu verzichten. Schon am Montag und Dienstag habe ich keinen Alkohol getrunken, das Verlangen ist auch heute nicht da. Alles gut, denke ich. Am Abend werde ich fast schon übermütig und lade Freunde ein. Wir schauen das Champions-League-Achtelfinalhinspiel der Bayern gegen Lazio Rom. Überflüssig zu erwähnen, dass es Bier gibt – zumindest für die drei anderen, die gut gelaunt mit meinem Bier an meinem Couchtisch sitzend anstoßen. Ich schlürfe derweil Mineralwasser. Jetzt ein Bier wäre schön, denke ich mir kurz. Noch dazu als in der 69. Minute Lazio das Führungs- und, wie sich herausstellt, auch das Siegtor macht. Und das alles bei lauwarmen Sprudelwasser …

Tag 3: Besuch in der Kneipe

Am Freitag habe ich noch immer kein Alkohol getrunken. Es fällt mir immer noch nicht schwer, darauf zu verzichten. Mit Kolleginnen und Kollegen treffe ich mich nach Feierabend in unserer Lieblingskneipe. Meine Bestellung verwundert den Chef – aber nur kurz. „Ach, du darfst ja nicht, das habe ich gelesen. Selbst Schuld“, sagt er mit einem Lachen. Dass ich dann gleich zwei Wasser gebracht bekomme, zeugt aber hoffentlich nicht von der doch großen Konfusion, die meine Bestellung ausgelöst haben könnte – sondern einfach nur von einem kleinen Kommunikationsproblem. Der Kneipenbesuch jedenfalls verläuft, bis auf das fehlende Bier, wie immer. Wir unterhalten uns über die Arbeit, über Privates, wir lachen – und sind mit die Letzten, die bezahlen. Ein Abend wie jeder andere auch.

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Tag 4: Hallenfußballturnier

Mit einer „MM“-Mannschaft spiele ich beim Fußballturnier in der Lilli-Gräber-Halle. Den einen oder anderen Spruch muss ich schon über mich ergehen lassen, als ich einen Bon für eine Flasche Wasser bestelle. Statt wie im Vorjahr ins Finale einzuziehen, werden wir am Ende Sechster – bei sieben Mannschaften. Das aber ist sicherlich nicht der Abstinenz des Torwarts geschuldet, sondern vielen kurzfristigen Ausfällen und einer überwiegend verheerend-desaströsen Chancenauswertung des Stürmers. Da wird nochmal drüber zu reden sein – bei einem Bier nach der Fastenzeit!

Tag 6: Ein Alkohol-Interview

Am Montag treffe ich ZI-Forscher Falk Kiefer, um mit ihm darüber zu sprechen, wie Alkohol im Körper wirkt und welche Folgen er hat. Ich denke noch Tage später an das Gespräch und die Folgen, vor denen Kiefer warnt. Aber deshalb ganz auf Alkohol verzichten?

Tag 8: Apropos Folgen

Ich habe ja auch beobachten wollen, wie sich die Abstinenz auf mein Stottern auswirkt. Nach mehr als einer Woche stelle ich fest: Bislang hat sich nichts verändert – weder in die eine noch in die andere Richtung. In der Forschung ist die Wirkung von Alkohol auf die Sprechflüssigkeit übrigens umstritten. Auch in Gesprächen, die ich in den letzten Tagen mit anderen stotternd sprechenden Menschen geführt habe, gibt es ungefähr genauso viele, die sagen, Alkohol entspannt den Redefluss, wie solche, die sagen, das Stottern verschlechtert sich.

Tag 10: Jetzt ein Bier …?

Der Samstag in Mannheim ist stressig. Es gibt viele Demonstrationen und viele Gespräche, die ich währenddessen als Reporter auf der Straße führe. Als ich am Ende eines langen und kräftezehrenden Tags am Abend die letzte Meldung geschrieben habe und auf der Couch sitze, denke ich kurz an ein Bier, um den Feierabend einzuläuten. Der Gedanke ist nur kurz, vielleicht eine halbe, höchstens eine Minute. Ich bleibe standhaft und umklammere – mal wieder – die Wasserflasche, die dieses Mal aber wenigstens gekühlt ist. Weil ich die letzten Tage abends nie an ein Feierabendbier gedacht habe, bleibt dieser Moment dennoch in Erinnerung. 

Lea Seethaler verzichtet komplett auf Süßigkeiten. © Christoph Blüthner

Tag 1: Süße Versuchung

Manchmal frage ich mich, wo die Kamera ist und ob ich zumindest Rechte an dieser schlechten Sitcom „Büroleben“ habe. Am ersten Fastentag tischt die zuckersüße Kollegin zum Ausstand Törtchen auf. Schoko und Himbeer-Vanille – na toll! Ich sitze versteinert in der Konferenz. Bin traurig, dass ich nicht zugreifen kann. Kollege Koch entpuppt sich als unfairer Fasten-Gegner. Er reißt zu Konferenzbeginn genüsslich eine XXL-Tafel Schokolade auf. Stopft sie sich vor allen in den Mund, streckt mir die Packung hin und sagt: „Lea, Schokolade?“ Chef Karlein wiederum erlaubt, „die Himbeere vom Törtchen zu essen“. Wer diese Kollegen hat, braucht keine Feinde.

Tag 2: Auf Solidarität folgt Heißhunger

Solidarität ist das, was ich erfahre. Durch die Redaktion und das gesamte Unternehmen hinweg. Nachdem die beiden eingangs genannten Kollegen meine Durchhaltewahrscheinlichkeit mit vier Prozent bewerteten, erhalte ich massig E-Mails und Textnachrichten. Die Botschaft: „Du bist mehr als vier Prozent! Wir glauben an dich!“ Viele, auch im engeren Umfeld, erklären, solidarisch mitzufasten. Das streichelt meine Seele fast so wie Alpenmilch zartschmelzend. Aktuelles Befinden trotzdem: Mir geht es grottig. Attacke Heißhunger! Und konkret: Ich will Schoki!

Tag 3: Der Zoo Büro

Im Büro scheint ein Zoo eröffnet zu haben. Das Tier bin ich, die fastende Lea. Zwei Kollegen eines anderen Ressorts sind besonders gut im Starren. Ein Kopf quetscht sich in der Kantine durch die Sichtschutzwand, um „nach mir zu gucken“. Während ich Forschungen anstelle („Darf ich Ahornsirup?“), die Höllenzeit zu überleben, traut man mir wohl nicht. Ich schnappe sogar auf, dass Kollegen überlegen, wie sie mir den Blutzucker messen können. Um zu kontrollieren! Und da werden Muffins weggezogen, sobald ich an einen Tisch laufe. Unfassbar! Doch ich fühle: Sie glauben an mich und wollen mich nur schützen! Indes lenke ich mich mit ausgedehnten salzigen Gastrotouren (Burger! Und: All you can eat-Buffet! Oder: Stundenlang Frühstücken gehen!) ab.

Tag 7: Der Abend: Einst köstlich und labend

Attacke Heißhunger, Nummer 100. Ich habe immense Schwierigkeiten. Denke oft ans Aufgeben, um die Lust nach Süßem zu stillen. Die Abendstunden sind schlimm. Zuckerfallen überall.

Tag 9: Demoralisieren

Ich habe das Gefühl, Kollege Schmidhuber wurde eigens eingestellt, um mich zu demoralisieren. Ungefähr zehn Mal am Tag betont er, dass er sicher sei, dass ich es nicht schaffe. Immerhin ergänzt er: Er selbst scheiterte, als er Süßes fasten wollte, immer an Tag drei – und ich sei jetzt schon weiter als er.

Tag 12: Dattel, Freund und Helfer: Mir geht es schlecht

Sind das Schweißausbrüche? Mir geht es schlecht. Mittlerweile habe ich mir nicht nur ein großes Equipment an (ungesunden) Salzigkeiten einverleibt, sondern bin auch abhängig von Kaffee geworden. Das rächt sich mit Magenschmerz. Derweil sichert mein Überleben einzig die Dattel, Freund und Helfer.

Tag 13: Reizfigur Sebastian Koch

Kollege Koch entwickelt sich immer mehr zur Reizfigur. Er brachte mir bereits vom Politikergespräch alle Teekekse gesammelt auf einem Teller. Zeit für einen Rückschlag. Vielleicht mit einer Bierflasche? Ich werde echt launisch. Wenn ich ihn mit Karlein vergleiche, könnte doch auch er mal etwas leiden!

Tag 14: Ich kann mich nicht konzentrieren

Ich sehe überall das, nach dem ich mich sehne. Da lief an Tag eins die Nachricht, dass Kamelle auf Fußballplätze geschmissen werden, jetzt spielt im Radio ein Lied von Sarah Zucker. Und ja, das verrostete Stahlrohr auf der BBC-Brücke erinnert mich an eine riesige Zuckerstange. Nachdem ich in den Redaktionskalender eintrage, ein Politiker „kandiert“ für die Europawahl, gehe ich in den Feierabend. 

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