Mannheim. Oft hat man ihn schon gehört, weit bevor man ihn sah. Seine markante Stimme, gezeichnet von unzähligen Tiraden: tief, rau und heiser. Sein fester Platz war die Filiale der VR Bank Rhein-Neckar in der Mannheimer Neckarstadt-Ost, dort, wo die Käfertaler- in die Lange Rötterstraße einmündet.
Obdachlose in Mannheim
In Mannheim gibt es laut Stadt einen „kleinen Personenkreis“, der freiwillig auf der Straße lebt. Eine genaue Zahl könne nicht genannt werden, vorsichtige Schätzungen gehen von einem bis vier Dutzend aus.
Diese Personen, die Unterbringungsangebote der Wohnungslosenhilfe nicht annehmen, werden als Obdachlose bezeichnet. Als wohnungslos gelten Menschen, die Wohnraum nutzen, ohne einen Mietvertrag abgeschlossen zu haben, etwa Notunterkünfte.
Meist saß er draußen vor der Fensterscheibe, selbst wenn es bitterkalt war oder die Sonne ihm gnadenlos in das wettergegerbte Gesicht knallte, das von braunen Haaren und einem wuschigen Bart umrahmt war. Seine permanenten Selbstgespräche - mal leise vor sich hingemurmelt, mal laut hinausgebrüllt - hatte wohl jeder im Stadtteil schon einmal gehört. So manchen mögen die Ausbrüche auch verängstigt haben. In der Neckarstadt, so viel ist klar, war der Obdachlose von der VR Bank allseits bekannt. Auf Anfrage dieser Redaktion hat die Stadt Mannheim jetzt seinen Tod bestätigt.
Stadt Mannheim: "Er lehnte die Hilfen ab, um freiwillig im öffentlichen Raum zu leben"
„Der Mann wurde von verschiedenen Stellen, darunter der städtischen Wohnungslosenhilfe, engmaschig aufgesucht“, sagt Rathaussprecherin Carolin Bison. Dabei seien ihm regelmäßig Hilfsangebote unterbreitet worden. „Er lehnte diese Hilfen ab, um freiwillig im öffentlichen Raum zu leben. Zwischenzeitlich ist er in einer Klinik verstorben“, schildert sie.
Seit geraumer Zeit schon war der Mann an seinem Stammplatz vor der großen Fensterfront nicht mehr anzutreffen. Auch am Neckarufer, wo er hin und wieder auf einer Bank unter den großen Platanen Schutz vor der Sonne suchte, tauchte er nicht mehr auf. Wie sich bei der Recherche herausstellt, handelt es sich um den Obdachlosen, der seit der zweiten Jahreshälfte 2023 sein Lager unter der Autobahnbrücke zwischen Ilvesheim und Feudenheim aufgeschlagen hatte. Den Platz in der Neckarstadt muss er also etwa in diesem Zeitraum geräumt haben.
Grablichter und Blumen unter der Autobahnbrücke in Ilvesheim lassen auf den Tod des Mannes schließen
Auch in Ilvesheim bewegte das Schicksal des auf der Straße lebenden Mannes viele Bürgerinnen und Bürger. Diese Redaktion berichtete mehrfach - zuletzt Ende März, als Blumen und Grablichter unter der Autobahnbrücke auf den Tod des Obdachlosen hindeuteten. Die offizielle Bestätigung, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt und diese tot ist, erfolgte seitens der Stadt Mannheim erst jetzt.
Wie in der Mannheimer Neckarstadt lehnte der Mann auch später in Ilvesheim jegliche Unterstützung ab. So habe ihm die Gemeinde einen Platz in einer Unterkunft angeboten, wie Bürgermeister Thorsten Walther dieser Redaktion im November 2023 gesagt hatte. Damals war der Stadt-Nomade offenbar in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen und hatte eine Verletzung am Auge davongetragen. Eine medizinische Behandlung wollte der Mann jedoch auch nicht.
Nach Informationen aus den sozialen Medien hatte der Obdachlose eine Blutvergiftung
Informationen aus den sozialen Netzwerken zufolge hatte der Obdachlose letztlich eine Blutvergiftung, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machte. Diesen überlebte der Mann nicht.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Keine Angaben macht die Stadt Mannheim auf Nachfrage dazu, ob es Hinterbliebene gibt, die sich um die Beerdigung des Verstorbenen kümmern konnten. „Aus Gründen des Sozialdatenschutzes können wir keine Aussage zum konkreten Fall treffen“, sagt Carolin Bison. Generell sei es aber so, dass, wenn es keine zur Bestattung verpflichteten Angehörigen gibt oder sie die Kosten nicht tragen können, diese auf Antrag durch den örtlichen Sozialhilfeträger, also durch die Stadt, übernommen werden.
Laut Behörden war die Fähigkeit zu einer selbstbestimmten Entscheidung nicht eingeschränkt
Eine Einweisung des Mannes in eine Klinik zu dessen eigenem Schutz kam für die Behörden zu keinem Zeitpunkt in Frage. Es habe keine Anzeichen dafür gegeben, dass seine Fähigkeit zu einer selbstbestimmten Entscheidung eingeschränkt sei, hatte die Polizei im vergangenen Winter erklärt.
Auch eine Eigen- oder Fremdgefährdung sei von ihm nicht ausgegangen. Zu diesem Schluss kam die Behörde trotz der Auseinandersetzung mit der Verletzung. Einige Anwohner hätten sich eine solche polizeilich angeordnete Unterbringung sicherlich gewünscht, denn der Obdachlose erhielt in Ilvesheim längst nicht nur Mitgefühl. Auch Beschwerden über die Zustände im Umfeld des Schlafplatzes gab es.
Die Feindseligkeit mancher zeigt sich auch jetzt noch unter der Autobahnbrücke zwischen Ilvesheim und Feudenheim. Das kleine Arrangement, das dort an den Mann erinnerte, ist zerstört worden. Ein vertrockneter Strauß Rosen liegt im Kies, die Grablichter kreuz und quer daneben, teilweise in Scherben zersplittert.
An seinem vorherigen Stammplatz in der Mannheimer Neckarstadt-Ost erinnert gar nichts mehr an den Obdachlosen. Viele Passanten werden hier aber zumindest noch seine Stimme im Ohr haben, wenn sie an der Filiale der VR Bank Rhein-Neckar vorbeilaufen. Tief, rau, heiser.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-ueber-das-traurige-schicksal-eines-mannheimer-obdachlosen-_arid,2231082.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ilvesheim.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/feudenheim.html
[4] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/ilvesheim_artikel,-ilvesheim-ilvesheim-obdachloser-unter-der-a6-bruecke-offenbar-tot-_arid,2190078.html
[5] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/ilvesheim_artikel,-ilvesheim-obdachloser-zwischen-feudenheim-und-ilvesheim-verletzt-das-sagen-stadt-und-polizei-_arid,2146672.html