Stadtgeschichte

So endete der Zweite Weltkrieg in Mannheim

Sechs Wochen, bevor Deutschland offiziell kapituliert, ist der Zweite Weltkrieg in Mannheim zu Ende. Amerikanische Soldaten bekommen die Übergabe der Stadt telefonisch angekündigt.

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Peter W. Ragge
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US-Soldaten landen am östlichen Rheinufer bei Sandhofen. Bild: Marchivum/US Army © .

Mannheim. Bis zuletzt gibt es Durchhalteparolen. Aber auch wenn die letzte Ausgabe vom „Hakenkreuzbanner“, die am 23. März erscheint, das „zähe Halten von Sperrriegeln und Stützpunkten“ durch die heldenhafte Wehrmacht bejubelt – es ist vorbei. „Verschärfter Feinddruck“ lautet die Überschrift der Mannheimer Ausgabe der Tageszeitung der Nationalsozialisten, und an diesem Tag sind die Soldaten der US-Armee schon in Ludwigshafen. Damit naht das Kriegsende auch in Mannheim.

Trotz aller Durchhalteparolen ist den Nationalsozialisten klar, dass ihre Diktatur zu Ende geht. Bereits am 20. März beginnt die NSDAP-Kreisleitung Mannheim, Unterlagen zu vernichten. Die Wehrmacht wird angewiesen, Brücken, Energieversorgungsanlagen und Fabriken zu zerstören, damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen. Die Brücken werden tatsächlich gesprengt, in vielen Fabriken aber wird die „Nerobefehl“ genannte Anordnung Adolf Hitlers, nur verbrannte Erde zu hinterlassen, bewusst unterlaufen.

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Die Machthaber fliehen jetzt ohnehin. NSDAP-Kreisleiter Hermann Schneider setzt sich ab, schickt am 28. März auch Oberbürgermeister Carl Renninger mit den letzten Beamten nach Babstadt im Kraichgau, wo die Mannheimer Stadtverwaltung auf Anordnung des Gauleiters einen Ausweichsitz im Schloss derer von Gemmingen eingerichtet hat. Schließlich liegt Mannheim bereits seit 21. März unter starkem Artilleriebeschuss der Amerikaner, von der anderen Rheinseite und vom Norden aus.

Aber trotz der nahenden Niederlage und aller Auflösungserscheinungen – das NS-Regime zeigt in den allerletzten Tagen, ja Stunden nochmal seine ganze unbarmherzige Brutalität gegen alle, die am „Endsieg“ zweifeln. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, schreibt in seinem letzten Befehl am 27. März an alle Polizei- und SS-Dienststellen, es komme „einzig und allein auf den sturen und unnachgiebigen Willen zum Durchhalten an“. Wo eine weiße Fahne hänge, seien alle männlichen Personen vom 14. Lebensjahr an zu erschießen.

Wegen weißer Fahne standrechtlich erschossen

Das wird gnadenlos umgesetzt. Als Erich Paul, Hermann Adis und Adolf Doland, Angestellte vom Kaufhaus Vetter, in N 7 weiße Fahnen hissen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, schlagen fanatische Nazis noch mal zu. Die drei Männer werden an der alten Festungsmauer in M 6 in den Lauerschen Gärten auf Anordnung von Polizeihauptmann, Otto Hugo Böse standrechtlich erschossen, die Tat nie richtig gesühnt. Auch 18 Zwangsarbeiter auf dem Rangierbahnhof bei Seckenheim, wo an die tausend Güterwaggons gefüllt mit Lebensmitteln und Brennmaterial stehen und Plünderungen an der Tagesordnung sind, werden deswegen umgebracht – während man bei „Volksdeutschen“ duldet, dass sie sich so „versorgen“. „Endzeitverbrechen“ nennt man das.

Denn zu diesem Zeitpunkt sind amerikanische Soldaten längst in Mannheim. Mehr als 100 000 Amerikaner stehen westlich zur Eroberung bereit. Diese Zahl nennt Christian Führer, der mit dem damaligen Marchivum-Direktor Ulrich Nieß 2013 die Ära der Amerikaner in der Quadratestadt dokumentiert und dazu zahlreiche interne Kriegsberichte der US Army ausgewertet hat. Danach liegen im März 1945 acht von weltweit 88 US-Divisionen im Großraum Mannheim.

Die Behelfsbrücke der Amerikaner über den Neckar, im Hintergrund die Neckarstadt. © US Army/Marchivum

Am 26. März, 2.30 Uhr, geht es los: Mit Amphibienfahrzeugen, Sturmbooten und Schwimmpanzern stürmen amerikanische Soldaten nördlich von Mannheim das östliche Rheinufer. Sie werden von deutschen Einheiten unter Beschuss genommen, worauf die amerikanische Artillerie mit Trommelfeuer antwortet: 10 000 Granaten in 38 Minuten. Zugleich legt eine spezielle amerikanische Raucherzeugungseinheit dichten Qualm über den Rheinabschnitt – als Schutz und Tarnung.

Gegen 5 Uhr erreichen die ersten Amerikaner Sandhofen. Sie stoßen auf heftige Gegenwehr von deutschen Panzern und Scharfschützen aus Kirchtürmen. US-Kriegsberichte schildern brutale Häuserkämpfe, den ganzen Tag lang, und zählen 32 Tote und 136 Verwundete allein in Sandhofen. Zugleich werden Scharhof und Kirschgartshausen eingenommen, stoßen die US-Einheiten ins südhessische Ried, nach Viernheim und zur Bergstraße, zum Waldhof, gleich darauf an den Neckar, nach Wallstadt, Feudenheim, Heddesheim, Ilvesheim vor.

Auf Widerstand stoßen sie nur in Käfertal, wo ein Panzer aus einem Kellerfenster beschossen wird. Die Amerikaner ziehen sich daher kurz in den Käfertaler Wald zurück. Von hier aus beschießt Artillerie unablässig die Stadt, wodurch es in den letzten Kriegstagen noch 150 Tote gibt. Als Gefechtsstand dient dem Bataillon das Wasserwerk, in das am 26. März um 7.30 Uhr Panzer rollen.

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Was dann passiert, ist der Zeitung „Stars and Stripes“ der US Armee eine Schlagzeile wert: „German City surrenders by Telephone“ – Deutsche Stadt kapituliert per Telefon. Erstmals in der Kriegsgeschichte habe die kampflose Übergabe einer Stadt per Telefon stattgefunden, heißt es – auch wenn es nicht so hundertprozentig stimmt. Details weiß man, seit der damalige Stadtarchiv-Direktor Jörg Schadt in den 1990er Jahren im amerikanischen Nationalarchiv Washington den Bericht („after action report“) der 933. US-Feldartilleriebataillons entdeckt hat, der die Geschehnisse schildert.

Zwischen dem Wasserwerk und der Zentrale der Stadtwerke in K 5 gibt es eine noch funktionierende Telefonleitung. Gegen 11.30 Uhr klingelt das Telefon bei Heinrich Friedmann, Betriebsleiter des Wasserwerks. Die Amerikaner sind auf der Hut, stellen einen deutschsprachigen Offizier ab. Dann erst darf Friedmann den Hörer abnehmen. Es meldet sich Nikolaus Quintus, Bauamtmann der Stadtwerke. Mit einem Ausbesserungs-Trupp hat er im Luisenring-Bunker ausgeharrt. Nun bittet er via Telefon, die Beschießung der Stadt einzustellen, da dort keine deutschen Streitkräfte mehr seien.

Die Amerikaner verlangen erst nach dem Oberbürgermeister – aber der ist längst weg. „Das Rathaus fand ich vollständig verlassen“, notiert Quintus später in seinen Erinnerungen. Dann fordert die US Army, ein deutscher Unterhändler solle mit weißer Flagge ans südliche Ufer des Neckars bei der Friedrichsbrücke (heute Kurpfalzbrücke) kommen. Dafür bieten sie eine Feuerpause an. Quintus will sicher gehen, schickt Kundschafter los. Es stellt sich heraus, dass doch noch hundert deutsche Soldaten in der Stadt sind, und deren Chef verweigert jegliche Kapitulation. Der Adjutant des Kommandanten lässt Quintus abblitzen. Daraufhin legt die amerikanische Artillerie wieder los.

Telefonistin hat wichtige Rolle

Mehrere Telefonate gehen hin und her. Die Vermittlerin heißt Gretje Ahlrichs, Telefonistin in der Zentrale in K 5. Direkt wählen kann man damals nicht, sie muss „stöpseln“. Nachts bekommt sie Angst und bittet, in den Luisenring-Bunker fliehen zu dürfen – aber die Amerikaner weisen sie an, auf dem Posten zu bleiben. Sie wollen eine möglichst kampflose Übergabe, und Ahlrichs soll die Verbindung halten.

Auf US-Seite verhandelt der Major Don S. Mathews. Dabei dolmetscht der deutschstämmige Hauptmann und Militärarzt Franz S. Steinitz. Am 29. März morgens, es ist Gründonnerstag, ruft Quintus über Ahlrichs wieder bei Friedmann im Wasserwerk an, bittet wieder um eine Feuerpause. „Nun hielt ich die Stunde zum persönlichen Handeln gekommen, um die Leiden der zurückgebliebenen Bevölkerung zu beenden“, schreibt Quintus am 15. April 1945. Er nimmt an, über Nacht hätten die letzten Vertreter von Wehrmacht und Polizei die Stadt verlassen. Quintus radelt durch die Quadrate, zum Neckarvorland, zum Hauptbahnhof und den Rennwiesen – alles frei. Nur noch einzelne Nester mit Maschinengewehren gebe es. Die Menschen in den Bunkern aber wollten ein Ende der Kämpfe.

Major Mathews verlangt dann, Quintus oder ein Vertreter sollten zur – zerstörten – Friedrichsbrücke kommen und per Boot mit weißer Fahne über den Fluss fahren. Daraufhin schippern der frühere SPD-Stadtverordnete Georg Fuchs und einige Männer in einem kleinen Bootchen über den Neckar zum Alten Bahnhof auf die Nordseite und übergeben die Stadt formell. Laut dem US-Bericht werden die den Neckar per Schlauchboot überquerenden Amerikaner „von der Bevölkerung mit Blumen empfangen“ – das steht aber nur in diesem Papier, ist nirgendwo sonst belegt.

Gleich darauf durchkämmen US-Soldaten die Quadrate, bringen nach und nach die ganze Stadt unter Kontrolle, suchen nach versprengten Soldaten und Waffendepots, verhindern Plünderungen. Per Pontonbrücke stoßen sie von Altrip nach Rheinau und Neckarau vor, marschieren Richtung Seckenheim, wo sie nochmal beschossen werden, weiter nach Schwetzingen, Schriesheim und Heidelberg. Mit der Besetzung des „Palasthotels“ am 30. März, der Beschlagnahmung von Wohnungen, der Sanierung der zerstörten Flugplätze Sandhofen und Neuostheim sowie, beginnend bei Loretto, Übernahme der Kasernen wird Mannheim zu einer der größten US-Garnisonen weltweit mit bis zu 20.000 Soldaten und Familienangehörigen – und bleibt es bis 2011.

Am Wasserwerk Käfertal erinnert seit 1997 auf Initiative des damaligen MVV-Vorstandschefs Roland Hartung eine zweisprachige Erinnerungstafel an die dramatischen Ereignisse zum Kriegsende, die aber halfen, weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Ahlrichs arbeitet bis zum Ruhestand 1977 bei den Stadtwerken und stirbt 2012. 2017 wird die ehemalige Eduard-Spranger-Schule in der Gartenstadt in Gretje-Ahlrichs-Schule benannt. Quintus, 1952 pensioniert, stirbt bereits 1962.

Redaktion Chefreporter

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