Zweiter Weltkrieg Kriegsende

Warum der Handschlag von Torgau Geschichte schrieb

Vor 80 Jahren, am 26. April 1945, entsteht ein Foto, das Geschichte schreibt: Amerikanische und sowjetische Soldaten begrüßen sich bei Torgau. Die nahende Niederlage von Nazideutschland ist nun endgültig besiegelt.

Von 
Konstantin Groß
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Der historische Handschlag von Torgau, für dieses Foto nachgestellt am Tag darauf, dem 26. April 1945. © dpa

Mannheim. Gründonnerstag 2025. Später Nachmittag. Das lange Osterwochenende steht bevor. Die meisten aus dem Rathaus von Torgau sind bereits im wohlverdienten Feierabend. Nicht so Daniela Eichler. Sie hat noch viel zu tun. „Das wird ein eindrucksvolles Ereignis“, freut sich die für Veranstaltungsmanagement zuständige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung.

Denn am jetzigen Wochenende wird vor Ort der 80. Jahrestag eines Vorgangs gefeiert, der Weltgeschichte schreibt: Auf der Brücke bei der sächsischen Kleinstadt begegnen sich am 25. April 1945 amerikanische und sowjetische Truppen. Damit erfolgt der Lückenschluss („Link up“) um die Deutsche Wehrmacht. Nicht einmal zwei Wochen später ist der Krieg in Europa zu Ende.

Der Handschlag der Soldaten wird am Tag darauf, dem 26. April 1945, also an diesem Samstag vor 80 Jahren, nachgestellt. Das Foto davon macht Geschichte, wird eine Ikone der Historiographie. Dennoch zeigt es nur die halbe Wahrheit. Denn die wirklich erste Begegnung der beiden Armeen findet bereits einige Stunden zuvor statt: ebenfalls an der Elbe, aber bei Strehla, 30 Kilometer südöstlich von Torgau.

Die eigentlich erste Begegnung erfolgt Stunden zuvor

Albert Kotzebue, Leutnant der US-Army und ferner Nachfahre des 1819 in Mannheim ermordeten Literaten, überquert dort mit drei Männern in einem Boot den Fluss. Dabei begegnet er Alexander Gordejew, Oberstleutnant der Roten Armee. Doch um sie herum bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: Das Elbeufer ist voller Leichen, um die 300 tote Frauen, Kinder, alte Menschen, viele Tiere. Drei Tage zuvor hat die Wehrmacht die hiesige Brücke gesprengt, mitsamt Hunderten deutscher Flüchtlinge aus dem Osten, die in letzter Minute über den Fluss in Richtung Westen wollen.

Brückenkopf der 1945 zunächst wiederhergestellten und 1994 abgerissenen alten Brücke, im Hintergrund die 1993 in Dienst gestellte neue Brücke. © Konstantin Groß

„Jeder erkannte, dass dies nicht der Ort für eine historische Begegnung war“, erläutert der Torgauer Historiker Uwe Niedersen. Vor allem nicht passend für Fotos, die eine positive Botschaft in die Welt tragen sollen: den nahen Sieg der Anti-Hitler-Koalition über Nazi-Deutschland. Zudem befürchtet die sowjetische Seite, angesichts möglicher Fotos von der Nazi-Propaganda für die Toten verantwortlich gemacht zu werden. Auch Begegnungen an anderen Stellen finden keinen Eingang in die Geschichtsbücher. Alleine Torgau gelangt zu historischer Berühmtheit.

Und das kommt so: Eine US-Patrouille unter Führung von William Robertson begibt sich am Vormittag des 25. April aus Wurzen Richtung Elbe. Auf dem Weg berichten ihnen befreite britische Soldaten, dass in Torgau GIs gefangen seien. Robertson entscheidet, sie zu befreien. Doch die Amerikaner finden Torgau verlassen vor: Am 14. April wurde die Stadt zur „Festung“ erklärt, die Bevölkerung aufgefordert, sie zu räumen. Die 1878 erbaute Brücke wird am Morgen jenes 25. April von der Wehrmacht gesprengt.

In Torgau erfahren die Amerikaner jedoch, dass am östlichen Elbeufer die Sowjets angekommen sind. Mit roter und blauer Wasserfarbe aus einer Drogerie wird ein Bettlaken als Sternenbanner gestaltet. Im Schloss direkt hinter dem Brückenkopf steigt Robertson den Turm empor und hisst die selbst gebastelte US-Flagge aus dem Fenster.

Infos und Tipps zum historischen Ereignis in Torgau

Lage: Torgau (20.000 Einwohner) liegt im Norden des Freistaates Sachsen am Westufer der Elbe. Entfernung von Mannheim: 524 km.

Anfahrt : über A 4/A 5. Per Bahn: Abfahrt Hbf. MA 9.32 Uhr, Umstieg Leipzig, Ankunft Torgau 14.48 Uhr.

Übernachten : Hotel „Goldener Anker“ am Marktplatz gegenüber Rathaus, erstes Haus am Platze, gegründet 1767, DZmF 180 Euro.

Authentische Location : Alte Elbbrücke, erbaut 1878, zerstört 1945, wieder aufgebaut, wegen Baufälligkeit 1994 abgerissen. Seither nur noch Brückenkopf erhalten. Daneben neue Brücke, 1993 eingeweiht.

Gedenkstätten : „Denkmal der Begegnung“ von 1945 nach Entwurf des sowjetischen Architekten Avraham Miletzki, an der Spitze Darstellung der Flaggen der USA und der UdSSR; gegenüber Gedenkstein von 1975, errichtet durch die DDR, verschweigt US-Engagement.

Ausstellungen : „80. Jahrestag Ende II. Weltkrieg“, Stadtmuseum; Fotoausstellung der Stiftung Fotoarchiv Bräunlich, noch bis 7. Mai; „Soldaten an der Elbe“, Verein Europa Begegnungen, Schlossstraße.

Gedenkveranstaltungen : Jährlich „Elbe Day“ zur Erinnerung an die Begegnung von 1945 um den 25. 4. herum mit Volksfestcharakter.

80. Jahrestag : vom 25. bis 27. April 2025: Samstag, 26. April, 13-23 Uhr Musik auf der Festbühne; 21.30 Uhr Laser-Feuerwerk; Sonntag, 27. April: 10.30 Uhr Festgottesdienst; 11.30-16 Uhr: Musikprogramm.

Mehr Infos : www.elbeday.de. -tin

Am Brückenkopf auf der anderen Seite werden die sowjetischen Soldaten aufmerksam und schießen rote Leuchtraketen ab. Gemäß früherer Absprache für derartige Begegnungen müssen die Amerikaner eigentlich zu ihrer Identifizierung nun mit grünen antworten, doch sie haben keine mehr. So halten die Russen die selbst gemachte US-Flagge für eine Falle und nehmen die Amerikaner unter Feuer. Erst mit Hilfe eines aus dem Gefängnis befreiten sowjetischen Offiziers gelingt es, das Missverständnis aufzuklären.

Robertson und seine Kameraden begeben sich zur zerstörten Brücke und erklimmen sie über die Stahlbögen. Von der Ostseite kommen ihnen Alexander Silwaschko, Leutnant der Roten Armee, und seine Männer entgegen. Wortlos umarmt man sich. Es ist 16 Uhr. Doch alle spüren: Das Ereignis ist zu groß für sie, seine Dokumentation Sache für höhere Ränge. Sie beschließen, die Vorgesetzten zu informieren.

Am folgenden Tag, dem 26. April, treffen denn auch die Kommandeure der amerikanischen und sowjetischen Einheiten in Torgau ein. Ihr Zusammentreffen wird nun zelebriert und fotografisch dokumentiert. Dabei reichen sich die Offiziellen die Hand. Bekannter als dieses gestellte Motiv ist heute jedoch ein anderes Foto, das der Reporter Allan Jackson von der Nachrichtenagentur „American News Service“ auf der zerstörten Brücke schießt. „Nicht in die Kamera schauen“, sagt er, um einen ungestellten Eindruck zu schaffen.

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Am Abend des 26. April werden die Fotos in Washington, London und Moskau mit gleichlautenden Presseerklärungen über das Treffen veröffentlicht. Darin bekräftigen die drei Alliierten ihren gemeinsamen Willen zur vollständigen Niederwerfung des Dritten Reiches. Im Führerbunker in Berlin erlischt damit die letzte Hoffnung, die nach dem Tode des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt am 12. April aufgekeimt war, die Allianz des Westens mit der Sowjetunion werde zerbrechen. Vier Tage später begeht Hitler Selbstmord, wiederum eine Woche darauf kapituliert Deutschland, der Zweite Weltkrieg in Europa ist beendet.

Politische Rahmenbedingungen prägen die Art des Gedenkens

Was danach geschieht, ist ein Paradebeispiel dafür, wie historische Ereignisse unter aktuellen politischen Vorzeichen interpretiert werden. In der Zeit des Kalten Krieges wird das Ereignis im Allgemeinen und das Foto im Speziellen weder von Amerikanern noch von Sowjets offensiv verbreitet. Von den Sowjets nicht, weil sie die Bedeutung der Westalliierten für den Sieg über Hitlerdeutschland negieren und ihn für sich alleine reklamieren, von den Amerikanern, weil sie vergessen machen wollen, dass sie einst Verbündete des kommunistischen Diktators Stalin waren, der nun ihr weltpolitischer Hauptfeind ist.

Geschichtsklitterung a la DDR: Der 1975 am Elbeufer aufgestellte Gedenkstein rühmt die Befreiung durch die Sowjetarmee; die Beteiligung der US-Armee bleibt unerwähnt. © Konstantin Groß

Diese Atmosphäre spürt auch Joe Polowsky, Sohn jüdischer Auswanderer aus der Ukraine und an jenem 25. April 1945 als Dolmetscher Angehöriger des US-Stoßtrupps von Leutnant Kotzebue. Nach dem Krieg Taxifahrer in Chicago, widmet er sein Leben dem Gedenken an das Treffen an der Elbe, fordert die UNO auf, den 25. April als „Weltfriedenstag“ zu proklamieren, wirbt dafür bei Sowjetchef Nikita Chruschtschow im Kreml und auch bei DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht, den er 1961 in Ostberlin besucht, just im Jahr des Mauerbaus. So gerät auch er wegen „unamerikanischer Umtriebe“ ins Visier des berühmt-brüchtigten Kommunistenjägers Senator McCarthy.

Doch Polowsky bleibt unverdrossen. Alljährlich am 25. April hält er auf der Michigan Avenue Bridge in Chicago eine Mahnwache ab. Gemäß seinem testamentarischen Wunsch findet er seine letzte Ruhe 1983 auf dem Friedhof von Torgau. Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker persönlich erteilt dafür die Genehmigung. Denn die DDR feiert das Ereignis an der Elbe als Beispiel dafür, wie Deutschland durch die Sowjetunion vom Faschismus befreit wurde. Auf dem Gedenkstein von 1975 heißt es: „Ruhm dem Sowjetvolk. Dank für seine Befreiungstat.“ Von den USA ist keine Rede.

Die Haltung im Westen zu dem Ereignis ändert sich, als Michael Gorbatschow und Boris Jelzin in Moskau regieren. Zum 50. Jahrestag 1995 erhalten Alexander Silwaschko und William Robertson die Ehrenbürgerschaft der Stadt Torgau. Zum 70. Jahrestag 2015 nehmen die Botschafter der USA und Russlands, John Emerson und Wladimir Grinin, gemeinsam mit Veteranen und Zeitzeugen an der Gedenkfeier teil.

Doch das Klima ist bereits durch Russlands Überfall auf die Krim im Jahr zuvor belastet. Und heute? Erneut sind die Feiern von politischen Rahmenbedingungen geprägt. Ob der Russische Botschafter dabei willkommen ist, bleibt bis zuletzt umstritten.

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