Zweiter Weltkrieg Kriegsende

Wie die letzten Tage vor Kriegsende 1945 abliefen

Nach dem Tode Hitlers konstituiert sich vor 80 Jahren die letzte Regierung des Dritten Reiches. Ihre einzige Aufgabe: die Beendigung des verlorenen Krieges.

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Konstantin Groß
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Symbolisches Bild für das Kriegsende: Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnet am 9. Mai 1945 in Berlin die Bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. © Archiv

Rhein-Neckar. Es ist Ende der 1970er Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert her. In der Schule behandeln wir das Thema Drittes Reich/Weltkrieg/Holocaust. Und sind aufgerufen zu eigenständiger Recherche. Die meisten in der Klasse entscheiden sich für Gespräche mit den Großeltern oder anderen Zeitzeugen. Ich dagegen möchte, wohl etwas jugendlich naiv, noch lebende Protagonisten des NS-Regimes befragen. Und zwar Karl Dönitz, den von Hitler als Nachfolger eingesetzten letzten Reichspräsidenten, und Albert Speer, den Rüstungsminister. Doch wie kommt man an sie ran? Heute wäre es dank Google kein Problem, ihre Adressen zu eruieren. Doch auch damals gelingt es. Datenschutz ist noch kein Thema.

Speer, damals über 75, wohnt in Heidelberg, Schloss Wolfsbrunnenweg, Dönitz, über 85, in Aumühle bei Hamburg. Speer kann ich also leicht aufsuchen, was dennoch bereits am Eingangstor scheitert („Nicht im Hause“). Doch Dönitz ist zu weit weg. Ich schreibe ihm einen Brief, frage nach seiner Rolle im Dritten Reich. Seine Antwort ist auch eine Art Antwort: Ein Foto in seiner Uniform als Großadmiral, mit zittriger Schrift signiert. Die Autogrammkarte eines Kriegsverbrechers.

23. Mai 1945: Ruhmloses Ende einer Regierung: Großadmiral Karl Dönitz (Mitte) und Rüstungsminister Albert Speer (links dahinter) werden von britischen Soldaten in Flensburg abgeführt. © Archiv

Denn als letzter verbliebener Getreuer wird Dönitz, Chef der Kriegsmarine, von Hitler kurz vor seinem Selbstmord am 30. April 1945 zu seinem Nachfolger bestimmt. Und am 3. Mai 1945, vor genau 80 Jahren, versammelt er bei Flensburg seine Regierung. Ihre einzige „Leistung“: den längst verlorenen Krieg zu beenden. Fünf Tage später ist es so weit.

Nahendes Ende eines fünfeinhalbjährigen Grauens

Das millionenfache Sterben beginnt mit dem Überfall Hitlers auf Polen am 1. September 1939. Halb Europa gerät unter die Herrschaft der Deutschen. 1941, mit dem Überfall auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA, wird der Kampf zum Weltkrieg und für Deutschland nicht mehr zu gewinnen. Nach der Invasion in der Normandie 1944 kommen die Amerikaner und Briten von Westen, die Sowjets von Osten. Im April 1945 rücken sie bereits in Berlin ein.

Hitler verschanzt sich dort seit 3. Februar im Führerbunker der Reichskanzlei. Die Lage ist aussichtslos, die Rote Armee steht wenige hundert Meter entfernt, ihre Geschütze sind schon zu hören. Hitler will „nicht im Moskauer Zoo ausgestellt werden“, sagt er und auch nicht enden wie sein italienischer Verbündeter Mussolini am 28. April: mit dem Kopf nach unten aufgehängt an einer Tankstelle, die Leiche bespuckt und mit Füßen getreten.

In der Nacht zum 29. April heiratet der Diktator seine geheime Geliebte Eva Braun und verfasst sein Testament. Da sein Vize Hermann Göring und SS-Chef Heinrich Himmler längst ihre Haut zu retten suchen, werden sie verstoßen und kommen für seine Nachfolge nicht in Frage. So ernennt Hitler Dönitz zu seinem Nachfolger als Reichspräsident und Oberbefehlshaber der Wehrmacht sowie Propagandaminister Joseph Goebbels zum Reichskanzler. Dann töten sich Hitler und Eva Braun, ihre Leichen werden im Garten der Reichskanzlei verbrannt. Goebbels folgt ihm an gleichem Ort Tags darauf: Er und seine Frau begehen Selbstmord, nachdem die sechs gemeinsamen Kinder (4 bis 12 Jahre) vergiftet sind.

Nicht übriggeblieben: Wo einst in Berlin Hitlers Reichskanzlei und sein Führerbunker lagen, befinden sich heute ein Parkplatz und ein Wohnblock. © Konstantin Groß

Dönitz sitzt in Schlewsig-Holstein, das noch von der Wehrmacht gehalten wird. Am 3. Mai bezieht seine Geschäftsführende Reichsregierung ihren Sitz in der Marinesportschule Mürwik bei Flensburg, mit dem Grafen Schwerin von Krosigk als Kanzler. Ihre Ziele: Am liebsten gemeinsam mit den Westalliierten gegen die Russen weiterkämpfen, zumindest aber so viele deutsche Soldaten wie möglich in den Westen bringen, damit sie dort in Gefangenschaft geraten und nicht bei den Sowjets. Den Durchhalteterror im Inneren stoppt Dönitz nicht. Weiterhin werden Menschen ermordet, die sich ergeben wollen. Und erst am 6. Mai hebt er den „Nero-Befehl“ Hitlers zur Zerstörung der Infrastruktur auf. Angehörige der SS werden mit Marinepapieren ausgestattet, um ihre Mitgliedschaft in der verbrecherischen Organisation und damit ihre Verbrechen zu verschleiern.

Am 3. Mai, 8 Uhr früh, begibt sich im Auftrag von Dönitz der Generaladmiral Hans Georg von Friedeburg zum britischen Marschall Montgomery. Tags darauf kapituliert er für die deutschen Truppen in den Niederlanden, Norddeutschland und Dänemark.

Doch es fehlt die Kapitulation für den gesamten Westen und vor allem für den Osten. Am 6. Mai trifft eine Delegation unter von Friedeburg im Hauptquartier der Westlichen Alliierten in Reims ein. Ihre Bedingung ist zunächst, nur gegenüber dem Westen aufzugeben. Das lehnt US-Oberbefehlshaber Eisenhower ab.

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Am 7. Mai, 2.40 Uhr, genehmigt Dönitz dann doch die nun bedingungslose Kapitulation. Genraloberst Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabes, unterzeichnet sie um 12.45 Uhr. Sie tritt am 8. Mai 1945, 23.01 Uhr MEZ, in Kraft. An allen Fronten sollen nun die Waffen schweigen.

Aber Sowjet-Diktator Stalin ist unzufrieden. Zwar ist die Rote Armee in Reims durch General Suslopariow vertreten. Doch Stalin verlangt einen großen symbolischen Akt, der dem Blutzoll der Russen gerecht wird: in der von ihnen eroberten Hauptstadt Deutschlands, in Berlin.

Dies geschieht am 9. Mai, 0.16 Uhr MEZ, in der besetzten Pionierschule der Wehrmacht in Berlin Karlshorst. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Spitzname „Lakai-tel“, unterzeichnet mit Generaloberst Stumpff für die Luftwaffe und von Friedeburg für die Marine die bedingungslose Kapitulation vor dem Oberkommandierenden der Roten Armee, Marschall Schukow. Der verweigert ihnen jede soldatische Ehrenbezeugung.

Mit der Kapitulation endet auch ein beispielloser Völkermord

Das hat seinen Grund. Die Sowjetunion verzeichnet den größten Blutzoll: 27 Millionen Tote, zur Hälfte Soldaten und Zivilisten. Den zweitgrößten in Europa hat Deutschland mit fast 6,4 Millionen Toten, davon 5,2 Millionen Soldaten. Danach Polen mit sechs Millionen Toten, davon 5,7 Millionen Zivilisten. Hinter der Front verüben die Deutschen den größten Völkermord der Geschichte: Die Ermordung von sechs Millionen Juden, davon 1,5 Millionen Kindern, darüber hinaus von Sinti und Roma, Homosexuellen, Christen, politischen Gegnern.

Weitere Infos zum Thema

Jahrestag: In den meisten Staaten ist der 8. Mai, Tag des Inkrafttretens der Kapitulation in Reims, Grundlage des Gedenkens, in Frankreich sogar Staatsfeiertag. In Russland wird, wie in der früheren Sowjetuion, der Tag der Kapitulation in Karlshorst (9. Mai) gefeiert.

Gedenken in Deutschland : In mehreren Bundesländern, u. a. in Hamburg, ist der 8. Mai „offizieller Gedenktag“. Arbeitsfreier Feiertag ist er 2025 nur in Berlin. Der Bundestag begeht den 8. Mai mit einem Staatsakt um 12.30 Uhr (Übertragung auf www.bundestag.de)

Museum Berlin Karlshorst : 1938 Pionierschule der Wehrmacht, 1945 Hauptquartier der Roten Armee in Deutschland, daher Ort der Unterzeichnung der Kapitulation am 9. Mai 1945, seit 1967 Museum. Infos: www.museum karlshorst.de

Literatur : unübersehbar! Über die letzten Tage im Führerbunder berichtet anschaulich Traudl Junge, 1942 bis zu Hitlers Tod seine Sekretärin, in ihrem Buch „Bis zur letzten Stunde“ (2002).

Fernsehdokus : „Hitlers letzte Tage. Das Ende im Bunker“, ZDF, 4.5., 23.40 Uhr; „Terra X History. Roadtrip 1945“, ZDF Mediathek; „Zeugnisse. Interviews mit Holocaust-Überlebenden“, ZDF Mediathek.

Spielfilme : „Der Untergang“ (2004), ZDF Neo, 7. 5., 20.15 Uhr; „Die Brücke“ (1959), 8. 5., 20.15 Uhr; „Urteil von Nürnberg“ (1961) mit Marlene Dietrich, Arte, 8. 5.,20.15 Uhr - herausragend!

Die Kapitulation der Wehrmacht ist zunächst ein rein militärischer Akt. Es gibt ja weiter eine Regierung, die von Dönitz, die zunächst auch im Amt bleibt, wenn auch unter den Augen der Alliierten. Erst am Morgen des 23. Mai wird sie während einer „Kabinettssitzung“ von britischen Soldaten verhaftet. Am 5. Juni 1945 übernehmen die vier Alliierten auch formal die Regierungsgewalt.

Hitler, Goebbels, Himmler sind tot, die verbliebene Nazi-Führung wird von den Alliierten in Nürnberg vor Gericht gestellt. Keitel und Jodl werden zum Tode verurteilt, Speer kommt mit 20 Jahren davon, Dönitz sogar mit nur zehn, trotz Kriegsverbrechen. Einer seiner Befehle von 1942 lautet, überlebende Schiffbrüchige von versenkten alliierten Schiffen nicht zu retten. Wörtlich befiehlt er: „Hart sein!“

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Nach seiner Entlassung verbreitet er seine Sicht in Büchern, malt das Bild einer ritterlichen Marine und von sich das des unpolitischen Soldaten, verschickt Autogrammkarten. Mit zunehmendem Alter stellt sich die Frage, wie die Bundesrepublik mit seinem Tode, immerhin der eines früheren Staatsoberhauptes, umgehen soll. 1969 verbietet Verteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD) die Beteiligung von Uniformierten an der Beisetzung. Als Dönitz 1980 mit 89 Jahren stirbt, bekräftigt diese Anweisung sein Nachfolger Hans Apel (SPD). Ehemalige und aktive Soldaten nehmen trotzdem teil, auch Schleswig-Holsteins Innenminister und späterer Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU).

Die Frage, was der 8. Mai bedeutet, ist lange umstritten. Zum 40. Jahrestag 1985 stellt Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU), einst selbst Offizier der Wehrmacht, für den Staat klar: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“

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