Kandidateninterview

OB-Kandidat Fojkar: „Müssen Mannheims Identität gerecht werden“

Seine Nominierung war eine Überraschung: Raymond Fojkar ist Grünen-Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl. Er spricht über den Findungsprozess, wie er mit sozialen Medien umgehen möchte - und seine Ziele für Mannheim

Von 
Sebastian Koch
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Ist in der Neckarstadt-West groß geworden und verbindet mit der Neckarwiese die eine oder andere Kindheitserinnerung: der Grüne Oberbürgermeisterkandidat Raymond Fojkar. © Christoph Blüthner

Mannheim. Herr Fojkar, Sie sind viele Jahre Stadtrat. Trotzdem war Ihre Nominierung eine Überraschung. Haben die Grünen einfach niemand anderen gefunden?

Raymond Fojkar: Die Kommission hat intensiv gearbeitet und als Mediziner halte ich die Schweigepflicht für ein hohes Gut. Ich glaube, sie hatte mich nicht auf dem Schirm, weil ich mich etwas zurückgezogen habe, um meine Schwiegermutter zu pflegen. Diese Situation hat sich geändert und dann habe ich klar gesagt: Ich will’s, ich kann’s und ich werd’s. Ich traue mir Oberbürgermeister zu.

Sie haben doch nicht erst Mitte Januar überlegt zu kandidieren?

Fojkar: Ich bin mir - wie meine Partei - sicher gewesen, dass Peter Kurz wieder antritt. Für mich war es nicht vorstellbar, dass er die Buga eröffnet und die Früchte nicht erntet. Oder, dass er die Klinikumsfusion in andere Hände legt. Ich habe im November über eine Kandidatur nachgedacht, als er erklärt hatte, nicht anzutreten. Für mich war aber klar, dass ich meine Schwiegermutter beim Sterben begleiten möchte. Deshalb habe ich mich nicht schon früher gemeldet.

Raymond Fojkar - Erfahrener Stadtrat

  • Raymond Fojkar wurde am 17. Januar 1964 in Mannheim geboren und ist in der Neckarstadt-West aufgewachsen.
  • 1983 machte er sein Abitur am Karl-Friedrich-Gymnasium und studierte anschließend unter anderem Humanmedizin in Heidelberg und Mannheim.
  • Als Kinder- und Jugendpsychiater praktiziert Fojkar in der Innenstadt, wo er gemeinsam mit seiner Ehefrau auch wohnt.
  • Seit 2003 ist Fojkar bei den Grünen, für die er seit 2009 im Gemeinderat sitzt. Mit Gerhard Fontagnier ist er dienstältester Stadtrat seiner Fraktion.
  • Fojkar ist Mitglied im Ausschuss für Jugendhilfe, Gesundheit, Bildung und Schulbeirat sowie im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Er ist Aufsichtsrat der Universitätsmedizin Mannheim und Erster Vorsitzender des Gesundheitstreffpunktes Mannheim

Haben Sie sich nie gefragt, ob für die Grünen nicht eine Person antreten müsste, die politisch mehr Gewicht hat und bekannter ist?

Fojkar: Nein. Ich habe mich gefragt, ob es eine Frau sein sollte. Wir haben Frauen, die Verantwortung tragen. Aber es ist unfair, wenn man die drängt, Verantwortung, die sie sich in Berlin, in Stuttgart oder im Rathaus erarbeitet haben, aufzugeben, nur damit eine Frau kandidiert. Aber ja: Irgendwann muss eine qualifizierte Frau an der Verwaltungsspitze stehen. Die anderen großen Fraktionen haben auch keine nominiert. Das zeigt, dass nach 52 Jahren SPD-Verwaltungsführung strukturelle Voraussetzungen, damit eine Frau ein Amt übernimmt, das 24/7-Einsatz fordert, in Mannheim fehlen.

Sind Sie gegen SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle und Kämmerer Christian Specht Außenseiter?

Fojkar: Nein.

Lassen Sie uns über Inhalte sprechen. Sie sind in der Fraktion fürs Thema Gesundheit zuständig. Wie stehen Sie zur Klinikumsfusion?

Fojkar: Ich habe immer gesagt, man muss aufpassen. Am Klinikum sind jahrelang Investitionen nicht geleistet und Gelder falsch verwendet worden. Natürlich kann man sich vom Land mehr Krankenhausinvestitionen wünschen - so schlecht steht das da aber gar nicht da. Schon vor dem Hygieneskandal hat es am Klinikum Entwicklungen gegeben, die vielen aufgestoßen sind, weil sie im Alleingang durchgesetzt worden sind. Jetzt zu sagen, wir sind in einer Not und das einzig sinnvolle ist eine Fusion - schwierig. In der Sache halte ich die Fusion für richtig. Es ist aber falsch, dass wir immer nur fordern. Als Oberbürgermeister wäre ich da anders unterwegs. Ich traue mir zu, die Gemüter zu beruhigen und zu sagen: „Freunde, lasst uns darüber reden, wie wir das gut gestalten können.“ Das geht nur gemeinsam und nicht gegeneinander und auch nur mit regelmäßiger Präsenz in Stuttgart - auch bei anderen Themen.

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Sie haben ein gutes Verhältnis zum Karlsruher OB Frank Mentrup und loben, wie er zivilgesellschaftliche Probleme anpackt. Hat die Mannheim auch?

Fojkar: Ich glaube, dass sich hier viele nicht gehört fühlen. Es gibt Prospekte, in der die Verwaltung Mannheim schön zeichnet. Das ist es auch. Aber es taucht nie auf, dass es Bettlerinnen und Bettler gibt, dass es Suchtkranke gibt, die von A nach B geschoben werden. Dass 20 Prozent der Kinder in Armut leben. Ich kenne aus meiner Praxis viele, die sich mit Eltern zu viert zwei Zimmer teilen. Die existieren in der Öffentlichkeit gar nicht. Das sind Menschen, um die wir uns endlich kümmern müssen. Kurz bemüht immer den kurfürstlichen Aufruf „Ihr Menschen aller Nationen kommt nach Mannheim“. Wenn das unsere Identität ist, müssen wir der gerecht werden.

Apropos Identität: Für Ihre Partei ist es wichtig, dass Mannheim bis 2030 klimaneutral ist. Welche Aufgaben wollen Sie schnell umsetzen, um das zu erreichen?

Fojkar: Ich würde Strukturen anpassen. Wir haben mit Diana Pretzell und Dirk Grunert zwei hervorragende Dezernenten der Grünen, die Freiheiten brauchen, um Aufgaben umzusetzen: Umwelt und Bildung. Da muss ein OB seine Richtlinienkompetenz nutzen und dem Kämmerer auch sagen, dass Dinge Priorität haben. Der will die Ziele nach eigener Aussage ja selbst erreichen. Man merkt es aber nicht.

Sie sind ein versierter Sozialpolitiker. Muss man sich als Grüner immer öfter zwischen erträglicher Sozialpolitik und effizientem Klimaschutz entscheiden?

Fojkar: Das ist ein Spagat.

Wie lösen Sie den?

Fojkar: Das werden wir nur schaffen, wenn wir mit Finanzen anders umgehen. Unsere Art von Verkehrs- und Klimaschutzpolitik wird teilweise als ideologiegetrieben verunglimpft. Wenn ich als Unternehmer sehe, dass etwas auf mich zukommt, was meine Arztpraxis zerstört, werde ich alles tun, um das zu verhindern - auch Schulden aufnehmen. Das müssen wir machen. Mannheim gehört zu den heißesten Städten in Deutschland und es ist eine nicht gutzumachende Schuld, jetzt nicht beherzt zu handeln. Das ist Weitblick. Das heißt auch, wir müssen mehr Fachkräfte für die Stadt gewinnen. Dafür müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die wir haben. Das ZEW, die Mannheimer Hoch- und Berufsschulen, die Universität: In Mannheim ist so viel Wissen vorhanden. Das müssen wir abrufen und in die Praxis umsetzen.

Wo wir über Geld sprechen: NTM, Bibliothek, Multihalle, Klimaschutz, Schulen - es gibt viele Projekte, aber immer weniger Geld. Wie kommt das zusammen?

Fojkar: Ich komme aus der katholischen Jugendverbandsarbeit, bei der ein Verband die Arbeitsweise nach einem Dreiklang geprägt hat: Sehen, urteilen, handeln. Wir müssen priorisieren, was wir schnell umsetzen - mit Blick auf Nachhaltigkeit. Wir müssen Pflichtaufgaben der Kommune umsetzen - auch wenn wir Schulden machen: Schulen sanieren. Eine wirklich moderne Stadtbibliothek verwirklichen, die im besten Sinne Bildungsgerechtigkeit und lebenslanges Lernen ermöglicht. Wir haben oft das Denken, dass Dinge aus diesen und jenen Gründen nicht möglich seien. Ich will als Oberbürgermeister Wege finden, um Lösungen für ein gutes Leben in Mannheim zu ermöglichen und ich möchte hören, was möglich ist. Nur so kommen wir voran.

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Was halten Sie von einer autofreien Innenstadt?

Fojkar: Als Mediziner sage ich: Die Lebensqualität für die Menschen nimmt zu, vor allem für Kinder. Vor der Buga 1975 hatten wir die gleichen Debatten. Als ob das der Todesstoß des Handels wäre. Im Gegenteil. Die Fußgängerzonen sind hochpreisig. Aber auch hier: Wir müssen das Fachwissen der Gesellschaft und des Handels nutzen, um gute klima-und handelsfreundliche Lösungen zu finden. Das Land hat jetzt eine Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und -Mitwirkung. Die würde ich als Oberbürgermeister mal nach Mannheim holen, damit sie uns berät, wie Mitwirkung funktionieren kann.

Ich habe versucht, mich auch auf sozialen Medien über Sie schlauzumachen - und nichts gefunden. Man sagt Ihnen auch nach, Sie hätten kein Handy. Stimmt das? Kann man ohne digitale Medien einen OB-Wahlkampf führen?

Fojkar: (lacht). Natürlich nicht. Ich weiß, dass wir viele Gruppen nur über soziale Medien erreichen. Selbst habe dafür aber zu wenig Zeit. Selbstverständlich werde ich aber auf sozialen Medien sein und mich dabei gerne von jungen Kolleginnen und Kollegen unterstützen lassen. Ein OB macht auch nicht alles allein (lacht). Übrigens: Die wirklich guten Leute sind ja nicht die, die das modernste Handy haben, sondern die, die jemanden haben, der ihre guten Ideen in den sozialen Medien richtig vermitteln kann (lacht).

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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