Landgericht

Neues zum Marktplatz-Prozess: Fragen und Antworten zu Videos, Leichenschau und Angeklagten

Was genau ist am 2. Mai 2022 beim tödlichen Polizeieinsatz auf dem Mannheimer Marktplatz passiert? Am Mannheimer Landgericht läuft der Prozess. Zwei Beamte sind angeklagt. Hintergründe und neue Details

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Lisa Uhlmann
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Großes öffentliches Interesse: Bislang war der Gerichtssaal voll besetzt bei der Verhandlung zu dem tödlichen Polizeieinsatz am Mannheimer Marktplatz vor knapp zwei Jahren. © Christoph Blüthner

Mannheim. Wer sind die angeklagten Polizisten, woher stammen die Videos in den sozialen Medien und welche Rolle spielt der behandelnde Arzt im Fall des tödlichen Polizeieinsatzes am Mannheimer Marktplatz? Fragen und Antworten zu Hintergründen, neuen Details und Eindrücken aus dem Gerichtssaal am Mannheimer Landgericht.

Wer sind die Polizisten?

Auf der Anklagebank sitzen zwei Kollegen. Dem älteren Angeklagten, einem 27-jährigen Polizeioberkommissar, wird schwere Körperverletzung im Amt mit Todesfolge vorgeworfen. Der sportliche Beamte ist in Bayern aufgewachsen und gibt an, eine langjährige Partnerin zu haben. Nach dem Abitur hatte er sich für ein Studium zum so genannten gehobenen Polizeidienst entschieden.

Vertreten die Polizisten: Die Anwältinnen Miriam Haas (l.) und Andrea Combé. © Christoph Blüthner

Als Polizeioberkommissar verdient er zwar mehr als Beamte im mittleren Dienst, trägt bei Einsätzen aber auch mehr Verantwortung. 2018, direkt nach dem Studium, hat der 27-Jährige im Innenstadtrevier H4 angefangen zu arbeiten. Seit dem Vorfall am 2. Mai 2022 ist er vom Dienst suspendiert und erhält seit fast zwei Jahren nur 50 Prozent seines Gehalts.

Sein Kollege, ein 26-jähriger Polizeihauptmeister, ist gebürtiger Mannheimer und gibt an, ebenfalls behütet aufgewachsen zu sein. Nach dem Abitur 2015 hatte sich durchtrainierte Mann mit Glatze für eine Ausbildung zum Polizisten und damit für den mittleren Dienst entschieden. Seit 2019 arbeitet er in der H4-Wache. Dem 26-Jährigen wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Und auch er wurde nach dem Vorfall sieben Monate lang suspendiert. Seit Dezember 2022 darf er aber wieder im Innendienst arbeiten.

Warum gibt es keine Fotos von den Polizisten im Gerichtssaal?

Üblich ist es, dass die Presse Video, Bild- und Tonaufnahmen zum Prozessauftakt und zur Urteilsverkündung im Gerichtssaal anfertigen darf. Dort gilt aber generell: Mit dem Erscheinen des Gerichts herrscht ein striktes Aufnahmeverbot - auch für die Presse. Diese Regelung nutzen die beiden Angeklagten für sich: Sie haben bislang nie vor dem Erscheinen des Gerichts den Saal betreten, um so nicht fotografiert zu werden.

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Das hat Gründe: Direkt nach dem Vorfall waren auf die Polizisten in den sozialen Medien nicht nur Hass und Hetze niedergeprasselt, sondern auch Name und Wohnort eines Angeklagten veröffentlicht worden.

Welche Rolle spielt der behandelnde Arzt?

Auch gegen den Psychiater, der Ante P. am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) behandelt hatte, hat die Staatsanwaltschaft zunächst ermittelt, aber später das Verfahren eingestellt. Der 33-Jährige hatte am zweiten Prozesstag deshalb nur als Zeuge ausgesagt und seine Sicht auf den 2. Mai geschildert.

Seine fachliche Einschätzung seines Patienten: Aggressive oder bedrohliche Züge habe er nie wahrgenommen - auch nicht an seinem Todestag. Weil sich sein Zustand übers Wochenende stark verschlechtert hatte, hatte er angeordnet, Ante P. ein gängiges Beruhigungsmittel zu geben - allerdings nicht zu viel, um eine Überdosierung zu vermeiden.

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Zudem sei er sich nicht sicher gewesen, ob sein Patient die verschriebenen Pillen morgens eingenommen hatte. Der Eindruck des Mediziners von Ante P. an diesem Tag: Der 47-Jährige habe verwirrt und durcheinander gewirkt, sprunghafte Gedanken geäußert, die ihn gelenkt hätten. Nach dem Gespräch und durch die kurze Berührung am Arm durch einen der Polizisten habe sich Ante P. wohl bedroht gefühlt. Angesprochen auf die Schläge gegen die Beamten ist der Arzt überzeugt: Sein Patient habe sich nur selbst schützen und befreien wollen, statt gezielt jemandem zu schaden.

Woher stammt das Video, das tausendfach in dem sozialen Meiden geteilt worden ist?

Die Szenen, die die Faustschläge des Polizisten ins Gesicht des am Boden liegenden Ante P. zeigen, stammen von einem türkischsprachigen Bäcker. Der 39-Jährige ist im Prozess als Augenzeuge geladen und erklärt per Dolmetscherin: Er habe an diesem Tag in einer nahe gelegenen Bäckerei gearbeitet und eigentlich nur Zigaretten holen wollen.

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Lautes Geschrei am Marktplatz habe ihn zum Einsatzort gelockt, wo er die Ereignisse gefilmt hat. Zurück in der Bäckerei hat er dann das Handyvideo an Kollegen weitergeleitet - und auf Anfrage auch an einen türkischen Fernsehsender. Er habe damit nur das Gerücht entkräften wollen, dass Ante P. zuvor in seiner Bäckerei gegessen und nicht bezahlt habe.

Wo, wie und warum war Ante P. in Behandlung?

Seit 2017 war Ante P. wegen seiner paranoiden Schizophrenie in Mannheim am ZI in Behandlung. Seit vielen Jahren nahm Ante P. wegen seiner Krankheit Antipsychotika ein. Am ZI wurde er zunächst stationär behandelt, später in die sogenannte Stationsäquivalente Behandlung (StäB) aufgenommen.

Dabei besucht ein medizinisches Team den Patienten täglich in ihrer eigenen Wohnung. Auf Anfrage erklärt das ZI, aktuell 14 erwachsene Patienten und fünf jüngere Patienten so zu therapieren. Pro Jahr behandeln die Ärzte laut ZI mehr als 36 000 Patienten und Patientinnen stationär, also in der Klinik. Dazu kommen noch einmal über 100 000 Besuche der ambulanten Sprechstunde.

Wie ist die Stimmung im Gerichtssaal?

Immer wieder beanstandet Verteidigerin Miriam Haas Formulierungen oder aus ihrer Sicht suggestive Fragen an Zeugen der Nebenklage. Davon lässt sich aber Opferanwalt Thomas Franz, der die Mutter von Ante P. vertritt, nicht aus der Ruhe bringen. Am zweiten Prozesstag hatte die Verteidigung der Nebenklage vorgeworfen, neben ständig wechselnden Anwälten Details aus den Gerichtsakten an die Presse weitergeben zu haben.

Darin sieht Franz aber keine Beeinträchtigung der Verteidigungsfähigkeit und verweist auf ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshofs. Ein Machtwort samt Schlag auf den Tisch muss der Vorsitzende Richter am dritten Verhandlungstag sprechen. Denn die Rechtsmedizinerinnen Marion Stein sowie der Gutachter der Verteidigung, Peter Betz, attackieren Rechtsmedizinerin Kathrin Yen sowie ihren Assistenzarzt mit ihren Nachfragen immer wieder scharf. Der Richter mahnt, damit aufzuhören, sich gegenseitig die fachliche Kompetenz abzusprechen und professionell dem Gericht die fachliche Sichtweise zur Todesursache und den Befunden zu schildern.

Wer sitzt im Publikum?

Neben vielen jungen Polizisten und Polizistinnen, die alle die Angeklagten persönlich kennen, verfolgen auch ehemalige Kollegen und Kolleginnen von Ante P. aus der arbeitstherapeutischen Werkstätte sowie Aktivisten der Initiative 2. Mai, die sich nach seinem Todesfall gegründet hatte, die Verhandlung. Der Prozess ist auch wichtig für das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, wo der Verstorbene bis zu seinem Tod in Behandlung war, sowie für das Polizeipräsidium Mannheim selbst, dem Arbeitgeber der Angeklagten. Der Ausgang des internen Disziplinarverfahrens und damit die berufliche Zukunft der Beiden richtet sich nach dem Urteil.

Wen hat das Gericht bislang als Zeugen befragt?

Neben dem Dienstgruppenleiter, einem Kripobeamten der Spurensicherung sowie mehreren Augenzeugen, die den Einsatz am Marktplatz miterlebt haben, hat auch ein Assistenzarzt der Heidelberger Rechtsmedizin von der Leichenschau berichtet. Diese hatte er noch im Uniklinikum Mannheim vor Ort im so genannten Schockraum durchgeführt.

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Im Beisein von Beamten hatte er den Leichnam nur wenige Minuten nach dem Ende der Reanimation untersucht. Er berichtet von ersten Spuren des Todes wie Totenflecken und einsetzender Leichenstarre. Weil sich die Organwerte etwa von Herz und Lunge durch verabreichte Medikamente bei der Reanimation verändert hatten, hatte der Rechtsmediziner schon bei der Leichenschau eine Obduktion empfohlen, um die Todesursache eindeutig zu bestimmen.

Was sagt die linke Initiative 2. Mai zum Prozessverlauf?

Die Aktivisten haben schon ihre Mitschriebe und Eindrücke von beiden Prozesstagen veröffentlicht. Darin fällt ihnen auf: Besonders Zeugen, die „nicht als weiß gelesen wurden“, seien tendenziell stärker hinterfragt und mit Widersprüchen konfrontiert worden. Ebenso, dass ein 19-jähriger Augenzeuge berichtet, bei der polizeilichen Vernehmung unter Druck gesetzt worden zu sein, keine Falschaussagen zu machen.

Parallel zum Mannheimer Prozess verfolgt die Initiative eine zweite Verhandlung in Dortmund. Dort stehen drei Polizisten und zwei Polizistinnen nach tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Geflüchteten vor Gericht. Beim Einsatz am 8. August 2022 war der aus dem Senegal stammende Mouhamed Dramé mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole eines Polizisten erschossen worden. Dass beide Prozesse gleichzeitig verhandelt werden, ordnet die Initiative als einzigartig ein. Eine erneute Mahnwache sei erst wieder zur Urteilsverkündung geplant. Das Interesse an den beiden vergangenen Mahnwachen sei gering gewesen.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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