Abgelenkt, eingeschüchtert von einer aggressiven Menge und von der Situation zurückgelassen - so schildert der Psychiater des verstorbenen ZI-Patienten Ante P. seine Eindrücke vom 2. Mai 2022. Gegen den 33-jährigen Psychiater war gesondert ermittelt worden, weil er zu spät versucht haben soll, den leblosen 47-Jährigen zu reanimieren. Das Verfahren wurde im November 2023 gegen eine Geldauflage von 8000 Euro eingestellt.
Tatsächlich ist es das erste Mal, dass die Öffentlichkeit endlich mehr über diesen neuen Blickwinkel auf den Polizeieinsatz erfährt, bei der Ante P. verstarb. Dem Schwurgericht des Mannheimer Landgerichts sei Dank. Denn nach einer kurzen Beratung lehnt der Vorsitzende Richter den Antrag seines Anwalts ab, die Öffentlichkeit für die Zeugenaussagen des ZI-Arztes auszuschließen. Der Anwalt hatte den Mediziner zum Gerichtstermin begleitet.
Die richterliche Begründung fällt kurz aus: Die Angaben lägen nicht unter der ärztlichen Schweigepflicht, da der Verstorbener die Aufklärung zu seinem Tod wünscht. Über die paranoide Schizophrenie, wegen der Ante P. am Zentralinstitut (ZI) für Seelische Gesundheit behandelt worden ist, sei längst medial berichtet worden.
Und so muss sich der Psychiater, der als letzter Zeuge von zehn Augenzeugen geladen ist, sich am zweiten Prozesstag mit Glatteis und erneuter Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude den Fragen der Verteidigung und Nebenklage stellen. Zuvor sollen Aufnahmen von Überwachungskameras am Marktplatz beweisen: Ante P. hat sich vor dem Fall zu Boden gegen die Polizisten gewehrt - mit zwei Faustschlägen.
Schwester von Ante P. verlässt den Gerichtssaal in Mannheim
Gezeigt wird auch das Video, das damals zigfach in sozialen Medien geteilt wurde - und die Faustschläge des Polizeioberkommissars in das Gesicht des 47-Jährigen zeigen soll. Er ist wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt, sein Kollege wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Es ist besagtes Video, gefilmt von einem 39-jährigen Bäcker aus der Bäckerei Pasam, das alle Zeugen gesehen haben und das sie auch in ihrer Erinnerung beeinflusst, wie alle während der Verhandlung einräumen.
Während die Mutter des Verstorbenen die Videos starr erträgt, verlässt die Schwester kurz davor den Saal. Zu schmerzhaft seien die Aufnahmen für sie, wie ihr Anwalt bereits vor dem Prozess erklärt hatte. Ohne ein Wort des Bedauerns über dessen Tod, schildert dann sein Arzt, wie er seinen Patienten an seinem Todestag erlebt hatte. Am Morgen habe der 47-Jährige auf der Station im ZI eine weitere Dosis des Beruhigungsmittels Tavor erhalten. Und sei aus dem Wartezimmer entwischt - bereits zum dritten Mal. Trotz Nachlaufen sei es ihm nicht gelungen, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Vielmehr habe Ante P. die H4-Wache angesteuert, um einem Freund zu helfen.
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„Ich habe den Polizisten gesagt: Er muss zurück, ist desorientiert, hat wahnhaftes Erleben und ist eigengefährdet“, berichtet der Arzt. Sein Patient, der seit Jahren mit Antipsychotika behandelt wird, sei bis zu diesem Zeitpunkt nie aggressiv gewesen, weshalb er die Polizisten nur zur fürsorglichen Zurückhaltung angewiesen habe. Vielmehr habe man Ante P.s Ängste im Alltag therapiert, habe sein Patient nur an Bluthochdruck, sonst keinen Herzproblemen gelitten.
Bei der Ansprache mit der Polizei hätte ihn sein Patient plötzlich nicht mehr erkannt und sei vor den Beamten nach dem Einsatz von Pfefferspray geflüchtet. Selbst davon beeinträchtigt, sei er zurückgefallen. Die Schläge des Mannes gegen die Polizisten habe der Arzt nicht gesehen, spricht von Abwehrhandlungen. Er sei erst später zum Geschehen gestoßen, als Ante P. bereits am Boden lag. Grund dafür sei ein Telefonat mit dem ZI gewesen. „Für mich war es das Sinnvollste, die Versorgung des Patienten zu regeln, ihm ein Bett in der Station zu sichern. Ich dachte, die Polizei hat alles im Griff.“ Minutenlang telefoniert der Psychiater und hält sich von der Menge fern. Die habe laut und aggressiv Polizeigewalt angeprangert. Er sei bewusst nicht zu den Polizisten gestoßen, habe sogar sein Namensschild abgenommen, aus Angst, selbst zur Zielscheibe der Menge zu werden - und dabei unweigerlich an die Polizeigewalt in den USA gedacht.
Zeugen berichten von aufgeheizter Stimmung
Auch die anderen Zeugen, darunter zwei Brüdern und drei Freunde, die an diesem Tag in den umliegenden Restaurants zu Mittag essen, bestätigen die aufgeheizte Stimmung. Alle Zeugen berichten vom Widerstand des 47-Jährigen, der sich „mit Händen und Füßen“ gegen die Festnahme gewehrt haben soll. Auf einige wirkt Ante P. fast wie betrunken. Einige bemängeln zudem das späte Eintreffen der Rettungskräfte.
Ein Ersthelfer will gehört haben, wie einer der Beamten Ante P. gedroht haben soll: „Wenn du nicht aufhörst, gibt’s noch mehr“. Gleichzeitig betont derselbe Zeuge: Niemand habe sich getraut, dazwischen zu gehen, da die Gefahr, durch den Mann verletzt zu werden, zu groß gewesen sei. „Ich habe mich da gefragt, was gewesen wäre, wenn die Polizisten den Mann nicht gestoppt hätten“, so der 52-Jährige. Auch der Psychiater aus der Ferne beobachtet, wie die Beamten Ante P. fesseln und sein Gesicht mit Wasser abwaschen. Das Ante P. das über sich ergehen lässt, habe er als gutes Zeichen und eine Beruhigung fehlgedeutet. Wann er gemerkt habe, dass etwas mit nicht stimmt und ob er vom Angeklagten zur Wiederbelebung aufgefordert worden sei, will der Richter wissen.
Der Arzt widerspricht: Der Zuruf eines Passanten, dass der Mann nicht mehr atme, habe ihn zum Handel veranlasst. Als er den fehlende Puls feststellt, habe er die Polizisten angewiesen, den Mann umzudrehen und loszubinden - um mit der Reanimation zu beginnen. Der Prozess wird am Mittwoch, 24. Januar um 9 Uhr fortgesetzt.
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