Landgericht

Prozessauftakt nach tödlichem Polizeieinsatz: Wer ist schuld am Tod von Ante P.?

Gegengutachten zur Todesursache, Aussagen der Polizisten und letzte Aufnahmen von Ante P: Schon zum Prozessauftakt nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz zweifelt die Verteidigung die gesamte Anklage an

Von 
Lisa Uhlmann
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Blicken gespannt zum Richter: Die Mutter und Schwester (Mitte) des verstorbenen Ante P. sind als Nebenkläger am Prozess beteiligt. © Christoph Blüthner

Mannheim. Ist Ante P. nach einem Polizeieinsatz am Marktplatz durch die Hände von zwei Polizisten gestorben - oder doch an einem Herzstillstand? Genau um diese Frage dreht sich seit dem frühen Freitagmorgen der Prozess am Mannheimer Landgericht. Einer der beiden, ein Polizeioberkommissar, ist wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt. Der andere, ein Polizeihauptmeister, wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Die Anklage der Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf ein Gutachten der Rechtsmedizin Heidelberg, zudem zeigen zahlreiche Videoaufnahmen den gewaltsamen Einsatz samt Faustschlägen ins Gesicht des Verstorbenen.

Prozess um tödlichen Polizei-Einsatz am Marktplatz: Zwei Polizisten angeklagt

Laut Anklage soll der 27-jährige Polizeioberkommissar dem psychisch erkrankten Mann mehrfach gegen den Kopf geschlagen und ihn an der Nase verletzt haben, die blutete. Weil der 47-Jährige minutenlang auf dem Bauch lag, soll das Blut in seine Atemwege gelangt sein.

Laut Gutachten erstickte Ante P., weil ihn erstens niemand auf die Seite drehte und er zweitens das Blut nicht abhusten konnte. Weder das zuvor eingesetzte Pfefferspray noch die vier Faustschläge ins Gesicht seien polizeirechtlich gerechtfertigt. Mehr noch: Sie seien mitursächlich für den Tod gewesen, der vorhersehbar und vermeidbar gewesen ist, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Verteidigung legt Gegengutachten vor

Direkt nach der Verlesung der Anklage ergreift der Hauptangeklagte das Wort: „Das Geschehen und der Tod des Mannes gehen mir sehr nahe und beschäftigen mich bis heute. Ich möchte für meine Fehler geradestehen und dabei helfen, den Fall aufzuklären“, erklärt der suspendierte Polizist gefasst. Er hat für seine Einlassung das Jackett seines Anzugs ausgezogen. Mit selbst angeforderten Gegengutachten stellt dann dessen Verteidigerin Andrea Combé und die seines Kollegen, Anwältin Miriam Haas, die Gutachten der Rechtsmedizin Heidelberg zur Todesursache des Verstorbenen in Frage - und somit auch die Anklage der Staatsanwaltschaft.

Die Gegengutachten sollen beweisen: Der 47-Jährige soll an einen Herzstillstand nach einem Kreislaufversagen gestorben sein - und soll schon vorher an Herzproblemen gelitten haben. Durch die Gegenwehr und das ausgeschüttete Adrenalin soll das Herz des Mannes versagt haben. Eine Reanimation vor Ort, aber auch das Umlagern in die stabile Seitenlage hätten seinen Tod laut Verteidigung also nicht verhindern können.

Angehörige von Ante P. sitzen mit im Gerichtssaal

Der Verteidigung und ihren Mandaten gegenüber sitzen mit angespannten Mienen die Mutter und Schwester des Mannes, der diesen Polizeieinsatz nicht überlebt hat. Auf die Polizisten aus der H4-Wache trifft der psychisch erkrankte Ante P., weil sein Arzt den verwirrt wirkenden Mann nicht zur Rückkehr überreden kann und deshalb die Polizei um Hilfe bittet. Der 47-Jährige litt an einer paranoiden Schizophrenie und war seit mehreren Jahren am Zentralinstitut (ZI) für Seelische Gesundheit in Behandlung. Er wurde täglich von ZI-Mitarbeitenden zu Hause besucht und therapiert.

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Wie und warum der 137 Kilogramm schwere Mann an diesem 2. Mai mit den Polizisten aneinandergerät, dazu gibt es am ersten Verhandlungstag mehrere Sichtweisen, sowohl vom Hauptangeklagten als auch vom Dienstgruppenleiter der H4-Wache, zwei unbeteiligte Augenzeugen und einer Krankenschwester des ZIs, die als Zeugen geladen sind. Letztere hatte Ante P. nur wenige Stunden vorher freiwillig und ohne Zwischenfälle in die Klinik begleitet. Ihre Schilderungen zeichnen das Bild eines sanften, aber doch deutlich von seiner psychischen Krankheit mitgenommenen Mannes.

Krankenschwester schildert Zustand von Ante P. 

Und machen eindrücklich klar: Am Tag seines Todes muss Ante P. große Angst gehabt haben, hatte sich sein Zustand sichtbar verschlechtert. Schon in der Nacht und die Tage davor hatte er nicht mehr geschlafen. Ante P. und seine Mutter hatten deshalb immer wieder besorgt beim ZI angerufen. Am Morgen des 2. Mais sei die Krankenschwester zu seiner Wohnung gefahren.

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Dort öffnet ein sichtlich beunruhigter und verängstigter Ante P. die Tür. Gemeinsam beschließen sie, zum ZI zu fahren, um ihm dort besser helfen zu können. Ante P. steigt ins Taxi, das ihn zur weiteren stationären, aber offenen Behandlung ins Zentralinstitut bringt. Um seine Angst zu mildern, verabreicht ihm die Krankenschwester das Beruhigungsmittel Tavor. Angekommen, übergibt sie ihren langjährigen Patienten dann an die Stationsärzte.

Aktivisten der "Initiative 2. Mai" beobachten den Prozess

Im Gerichtssaal lauschen die Angehörigen, die als Nebenkläger im Prozess auftreten, den Worten der Zeugen und Angeklagten. Der jüngere Angeklagte wirft immer wieder angespannt Blicke ins Publikum. Während Ante P.s Mutter gefasst wirkt, fixiert seine Schwester den Hauptangeklagten im Anzug mit scharfem Blick. Die beiden Frauen sind an diesem Tag die ersten in der Warteschlange zum Gerichtssaal. Im Publikum selbst sitzen frühere Arbeitskollegen von Ante P. , Aktivisten der Initiative „2. Mai“ und viele junge Polizeikollegen.

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Detailreich erinnert sich der ältere Polizist in seiner Einlassung an den Einsatz: Begleitet von dessen Arzt suchen die Beamten Ante P., den sie auf der Höhe der türkischen Bäckerei Taksim entdecken. Auf später gezeigten Aufnahmen, die von Kameras des ZIs und von einem Dönerladen stammen, ist deutlich die große Gestalt Ante P.s zu sehen.

Langsam und bedächtig läuft der ZI-Patient umher und an Passanten vorbei, sogar zur Klinik zurück, wechselt dort sogar wenige Worte mit seinem Arzt. „Leise und in sich gekehrt“, so habe Ante P. beim ersten Kontakt gewirkt, sagt der Polizeioberkommissar aus. Als ihn dann sein Kollege am Arm berührt, habe sich der Mann versteift und direkt abgewandt. Sein Kollege habe ihn erneut am Arm gepackt, Ante P. aber reißt sich los, läuft davon.

Der Angeklagte habe ihm hinterhergerufen, verfolgt und mit Pfefferspray versucht zu stoppen. „Aber das hat keine Wirkung gezeigt“, so der Polizeioberkommissar. Im Gegenteil: Der 137 Kilo schwere Mann habe sich umgedreht und ihm zwei Kinnhaken verpasst. Benommen davon sei er zurückgetaumelt, während sein Kollege versucht habe, den Mann zu Boden zu bringen. Der habe sich heftig gewehrt und „wirres Zeug“ gerufen.

Polizisten schildern ihre Sicht des Tages

Immer wieder reißt Ante P. seinen Arm los, glaubt der Polizeioberkommissar, dass ihn der ZI-Patient sogar beißen will. Diese Beißversuche bestätigt später auch ein weiterer Zeuge, der als Geschäftsführer einer türkischen Metzgerei den Vorfall direkt vor seiner Fensterscheibe beobachtet hat. Er berichtet auch: Der zweite Angeklagte habe Ante P. ins Gesicht geschlagen und ihn dann von hinten zu Boden gebracht.

Danach hätten die Polizisten dem Mann Handschellen angelegt. Beim Umdrehen hätten die Polizisten erkannt, dass etwas nicht stimme - und sofort die Handschellen gelöst. „Aber er hat keinen Mucks mehr gemacht. Ich glaube, da ist er gestorben“, so der Zeuge. In seiner Aussage beteuert der Polizist: Er sei davon ausgegangen, dass der anwesende Arzt auf seinen Patienten achte.

Tatsächlich habe Ante P.s Arzt den Puls und die Pupillen überprüft. „Aber ich musste den Arzt auffordern, mit der Herzdruckmassage zu beginnen.“ Ein weiterer Zeuge, ein Abiturient und Restaurantgast, meint sich an ein blau angelaufenes und blutverschmiertes Gesicht des 47-Jährigen zu erinnern. Beiden Zeugen fällt es sichtlich schwer, sich nach knapp zwei Jahren zu erinnern. Mit ihrer vehementen Befragungstechnik setzt Verteidigerin Miriam Haas beide Zeugen unter Druck - und erntet dafür Unverständnis im Publikum. Der Prozess wird am Mittwoch, 17. Januar, um 9 Uhr fortgesetzt.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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