Trauer

Mannheimer Tierfriedhof: Letzte Ruhestätte für geliebte Haustiere

Der Mannheimer Tierfriedhof feiert sein 20-jähriges Bestehen. Dieter Siegrist engagiert sich mit seiner Frau Gaby seit 18 Jahren ehrenamtlich und kann von vielen herzergreifenden Momenten erzählen

Von 
Kilian Harmening
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Trauern mit Liebe zum Detail:Der Mannheimer Tierfriedhof zeugt von berührenden Liebesgeschichten zwischen Mensch und Tier.

© Kilian Harmening

Ritualisierte Streicheleinheiten, bezeichnet es Dieter Siegrist. Damit meint er Menschen, die über einen langen Zeitraum Tag für Tag das Grab ihres verstorbenen Haustiers aufsuchen. Menschen, die diese Gräber mit teils unvorstellbarer Liebe zum Detail gestalten. Menschen, die ihren ins Herz geschlossenen Hund plötzlich nicht mehr anfassen können, weswegen sie stattdessen die frühere Hundeleine auf dem Grab platzieren. „Ich vermisse dich“, ziert auf dem Mannheimer Tierfriedhof das Grab der Katze Minnak, die Anfang Mai starb. Ihre Halterin, eine türkische Frau, hat das Grab gestaltet - mit Katzenfigürchen, rosa Blumen, goldenen Perlen, weißen Steinchen und einem rosa Herz.

Auf nicht wenigen Gräbern werden die verstorbenen Haustiere hier behandelt wie einstige Mitmenschen. Hunde-Grabsteine aus edlem Marmor zieren zahlreich das Blickfeld auf der linken Seite des Tierfriedhofs. Rund 400 solcher teils aufwendig gestalteten, teils einfacher gehaltenen Tiergräber reihen sich dort ein. Laufzeit der Gräber: Fünf Jahre. Bei den Mini-Gräbern für Vögel oder Meerschweinchen sind es drei Jahre.

Dieter und Gaby Siegrist halten den Tierfriedhof seit18 Jahren mit Herzblut am Leben. Ans Aufhören denken sie keine Minute.

© Kilian Harmening

Andere Haustierbesitzer haben sich lieber für eine unauffälligere und preiswerte Bestattung entschieden. Von ihren Tieren nahmen sie auf der rechten Seite des Geländes, der „anonymen Wiese“, Abschied. Auch hier dürften nochmal genauso viele Tiere unter der unauffälligen grünen Grasdecke liegen, schätzt Dieter Siegrist, der sich damit allerdings deutlich unsicherer ist als mit der ersten genannten Zahl. Denn genau nachvollziehen, wie viele Tiere er hier in den vergangenen 20 Jahren anonym bestattete oder bestatten ließ, kann auch er nicht mehr. In diesem Jahr feiert der Tierfriedhof Mannheim-Neckarau sein 20-jähriges Bestehen: Anlass für einen Vor-Ort-Besuch des „MM“.

Einer bestattete seinen Hund auf dem Mannheimer Tierfriedhof - danach starb er selbst

Viel hat er richtig gemacht, damit es soweit kam, lässt Siegrist auch ein wenig Stolz durchblicken, wie sehr er es geschafft hat, den Tierfriedhof in Mannheim zu etablieren. Dabei präsentiert er sich ansonsten als höchst bescheidene, altruistische Seele. Seit 18 Jahren engagiert er sich gemeinsam mit Ehefrau Gaby Siegrist ehrenamtlich für das Gelände.

Einen Fehler nennt er, den er ein wenig bereut: Die vielen Geschichten, die sich hinter den unzähligen Tiergräbern und Tierbesitzern verstecken, nie aufgeschrieben zu haben. Nie ist es zu spät, mit einem Gästebuch anzufangen! Aber für den Moment kann er daher nur auszugsweise berichten - von den prägnantesten und herzergreifendsten Momenten, die ihm als Tierfriedhof-Verwalter gemeinsam mit seiner Ehefrau besonders im Gedächtnis blieben. Offizieller Betreiber der Anlage ist der Tierschutzverein Mannheim.

Inge Rashid ist jeden Tag vor Ort. Sie behält besonders die Gräber im Auge, für die ein Pflegeauftrag vorliegt. © Kilian Harmening

Er denkt dabei an einen Mann, der erst zehn Jahre nach dem Tod seines Hundes die Urne aus dem Wohnzimmer brachte, um sie begraben zu lassen. Danach hat der Mann das Grab nicht ein einziges Mal wieder besucht, wunderte sich Dieter Siegrist. Neugierig geworden, musste er später herausfinden: Der Mann ist verstorben. Die Bestattung der Urne wollte er vor seinem eigenen Tod unbedingt noch hinter sich bringen.

20 Jahre dauerte es, bis die Stadt Mannheim einen Ort anbot

Hinter einem anderen Grab steckt eine türkische Tierbesitzerin, die unter Depressionen leidet. Knapp 10 Jahre alt ist ihr Hund geworden, den sie für 4000 Euro bestatten ließ, obwohl sie aufgrund ihrer Krankheit nicht arbeitet und kein eigenes Einkommen hat. Zwei Jahre lang besuchte sie das aufwendig gestaltete Grab an jedem einzelnen Tag, inzwischen ein bis zwei Mal pro Woche. Selbst eine Wohnsitzlose, eine andere Frau, habe viel Geld für das Grab ihres Hundes ausgegeben. Ein weiterer Fall: Eine Hecke, die aus dem Grab herauswuchert und die vorgegebene Maximalhöhe von 50 Zentimetern längst überschreitet.

Siegrist versuchte, den Grabbesitzer zu kontaktieren. Vergebens, bis er einen Zettel die betroffene Hecke hing: „Bitte Kontakt mit der Friedhofsverwaltung aufnehmen“. Keine Reaktion. Einige Zeit später fand er den Zettel an einem anderen Rosenbusch wieder, der ebenfalls höher als 50 Zentimeter war. Ein Ablenkungsmanöver das Grabbesitzers.

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Die Hecke einfach kürzen? Das wiederum bringt Dieter Siegrist nicht übers Herz, bis heute wuchert die Hecke zu hoch. Sein Motto: Herzlichkeit über jede Strenge setzen. Wobei es eine Einschränkung gibt: Auf dem Tierfriedhof darf nur noch bar bezahlt werden. Denn einer hielt sein Versprechen nicht, nach der Bestattung den erforderlichen Geldbetrag zu überweisen. Dieter Siegrist, der zu sehr auf Vertrauen gesetzt hatte, war auf den vielen Kosten sitzen geblieben.

Die ersten Bestrebungen, einen Tierfriedhof in Mannheim auf die kommunalpolitische Tagesordnung zu bringen, reichen bis ins Jahr 1984 zurück. Schwung kam in das Thema aber erst zur Jahrtausendwende, berichtet Rolf Schmidt dieser Redaktion, der von 2000 bis 2008 Bürgermeister in Mannheim war. Als Schmidt 2000 von dem Wunsch nach einem Tierfriedhof erfuhr, sei er schnell davon überzeugt gewesen, und besuchte Beispiele bei Nürnberg und in München. „Eindrucksvoll wurde uns dort geschildert, wie sehr das ein Bedürfnis ist gerade für ältere Menschen, die ein Tier verlieren, einen Ort zu haben, um ihre Trauer zu praktizieren“, erinnert sich Schmidt zurück. Ein Gelände, das zunächst zur Erweiterung des Neckarauer Friedhofs vorgesehen war, kam in die nähere Untersuchung. Am 1. August 2004 schließlich startete dort der Betrieb des ersten Mannheimer Tierfriedhofs.

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Seitdem bestatten hier Tierbesitzer aus der gesamten Metropolregion ihre Tiere. Denn es gibt nicht viele Städte, die einen eigenen Tierfriedhof aufweisen können. Ein „Privileg“ Mannheims, das aus der Sicht jedes Tierfreunds keines sein sollte. Dieter Siegrist berichtet aus früheren Zeiten, als einer seiner Hunde starb. „Da musste ich meinen Schäferhund in einen Container mit Schlachtabfällen werfen“, schildert er. „Das war damals üblich.“

Nun sieht Siegrist, wie sehr das Gelände akzeptiert, angenommen und gebraucht wird. Dass das Gelände weiter wächst, glaubt er aber nicht: Dem „rollierenden System“ sei Dank, welches festlegt, dass jedes Grab nach Ablauf der fünf Jahre wieder neu belegt wird.

Seinen Hund „entsorgte“ er zwischen Schlachtabfällen

Siegrist bezeichnet es als schönes und herzergreifendes Geschäft, dem er sich ehrenamtlich widmet. Aber er müsse sich abhärten von den Geschichten, um das jeden Tag machen zu können, sagt er. Im Laufe der Jahre hat er es geschafft, den Tod fremder Tiere nicht mehr emotional zu betrachten, sondern die für ihn notwendige Distanz zu wahren. Seine Frau Gaby Siegrist hat ihr Handy „Tag und Nacht am Leib“. Würdelos sei es, wenn verstorbene Tiere über Nacht zu Hause warten müssten. Das Ehepaar bietet an, die Tiere jederzeit sofort kühl einzulagern.

„Das ist ein schöneres Wort für: In den Tiefkühler legen“, gibt Siegrist zu. Die Organisation von Tier-Begräbnissen ist ein sehr spontanes Geschäft, lässt er durchblicken, keinesfalls durchgetaktet. Zehrt das an den Kräften? Ans Aufhören denkt er noch lange nicht, stellt er klar: „Frühestens, wenn mich mein Körper dazu zwingt.“ So weit sei es aber noch lange nicht, betont er immer wieder, denn die körperliche Arbeit hat er abgegeben. Inge Rashid unterstützt die tägliche Grünpflege auf Minijob-Basis.

Aus Dankbarkeit strichen Alfred und Sylvia Kopke alle Bänke und die kleine Kapelle auf dem Tierfriedhof neu. Ihr Hund wurde hier bestattet.

© Kilian Harmening

„Ich habe mich früher ja auch mal mit Psychologie beschäftigen müssen. Das was hier passiert, sind komprimierte Liebesgeschichten zwischen Mensch und Tier“, äußert Siegrist mit Blick auf die Gräber, die ein besonderer Blickfang sind und nachts sogar leuchten. Außerdem stellt er fest: „Bei manchen Leuten hat das Grab seine Aufgabe schon erfüllt.“

Als „Ort der Ruhe“ schätzt Alfred Kopke das Gelände, der seit September in Pension ist: „Dieser Ort strahlt Ruhe aus. Absolute Ruhe.“ Mitten in der Natur, am Rand von Mannheim-Neckarau, lässt sich hier auch für ihn sein Umfeld vergessen. Der Brunnen auf dem Tierfriedhof, der diese Wirkung verstärkt, plätschert unaufhörlich vor sich hin. Vor Kurzem, an einem Montagabend im August, musste seine Hündin Molly eingeschläfert werden.

Sehr viel Herzlichkeit auf dem Mannheimer Tierfriedhof

Dieter und Gaby Siegrist fuhren noch am selben Abend zu ihm und übernahmen die Bestattung am nächsten Tag. An Menschlichkeit nicht zu übertreffen, erzählt Kopke, der währenddessen Gänsehaut bekommt: „Ich hab so etwas Herzliches schon lange nicht mehr erfahren dürfen“, lobt er. „Und das ist jetzt keine Show, weil Sie da sind“, äußert er gegenüber dem „MM“. „Da war mir sofort klar: Hier muss ich etwas zurückgeben.“

Was er zurückgab, waren zwei Wochen seiner soeben erst gewonnenen Freizeit als Rentner. Zwei Wochen lang strich er mit Hilfe von Ehefrau Sylvia Kopke alle Holzbänke des Tierfriedhofs neu, außerdem die Außenfassade der kleinen Kapelle, in der Tierbesitzer trauern. Der „MM“ trifft ihn am letzten Tag seiner Aktion, die Dieter Siegrist selbst dankbar annimmt und als höchst außergewöhnlich lobt.

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Wie Kopke mit seiner kleinen Molly zum Tierfriedhof fand? „Wir wollten einen Ort suchen, weil wir keinen eigenen Garten haben“, berichtet er. Unzählige Gespräche habe Kopke auf dem Gelände geführt, während er die Bänke gestrichen hat: „Da lernst du ganz verschiedene Menschen kennen. Einen Türken, ein ganz netter Mensch. Es ist eine tolle Sache, wie man hier ins Gespräch kommt.“

Bei der eigenen Trauerarbeit hat das Kopke sehr geholfen. „Das was ich hier erlebe: Toll“, strahlt er. „Da merkst du: Wir sind doch eine gute Welt. Wir müssen nur zusammenhalten.“ Ein anderer Mensch sei er geworden: „Die zwei Wochen haben mich ein Stück weit verändert. Ganz ehrlich“, schwärmt er. Auch in den folgenden 20 Jahren wird der einstige Tierbesitzer damit sicherlich nicht der letzte sein, der unter dem unaufhörlichen Plätschern des Brunnens - und unter der besonderen Herzlichkeit der Betreiber - seine Trauer verarbeiten kann.

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