Mannheim. Die alte Gebäudenummer steht noch dran: 1855, dazu das Metallschild mit der Aufschrift „NATO“. Wer das unförmig-rätselhafte Betongebilde also nicht so ganz zuordnen kann, findet dadurch einen Hinweis, denn tatsächlich hat es einst das westliche Verteidigungsbündnis bezahlt. Es handelt sich um eine Panzerwaschanlage, wo Wasserkanonen mit hohem Druck von sieben bar den Dreck von den Kettenfahrzeugen entfernten. Es ist auf dem Spinelli-Gelände platziert, zur Bundesgartenschau erhalten geblieben und bleibt auch weiter dort.
„Das wird künftig das Eingangstor“, sagt Christian Lerch, der Bereichsleiter Parkanlage & Infrastruktur der Bundesgartenschau-Gesellschaft. Nach dem sommerlangen Fest fallen die Zäune. Symbolisch markiert das Betongebilde dann den Beginn des Fußwegs, der vom Radschnellweg und von der Au auf das westliche Spinelli-Areal führt.
Gelände ist völlig anders
Hier, auf der so genannten „Weiten Mitte“ westlich der Völklinger Achse auf Spinelli, ist das Gelände auch während der Bundesgartenschau völlig anders, als man es von einer Gartenschau gewohnt ist. Aber nicht minder faszinierend: Alles ist grün, sehr naturnah – mit Magerrasen und Wildblumenflächen, derzeit geprägt von einem wunderbaren Meer von dichtem, rotem Mohn und schönen, bläulich-violetten Wicken.
Manche Flächen sind einfach frei, komplett leer. Wer etwa an der Seilbahnstation seinen Spaziergang beginnt, passiert lange solche Stellen. „Da verstehe ich, wenn jemand meint, wir seien nicht fertig geworden“, sagt Lerch dazu. Aber diese Flächen sind ja bewusst als Landschaftspark angelegt, nur mit ein paar Wegen und Bänken versehen.
Auf beiden Seiten des Damms, der zum Panoramasteg führt, befinden sich zur Straße hin je drei Felder. Sie sind an Landwirte vergeben und sollen nach den Prinzipien der Dreifelderwirtschaft beackert werden – auf einem Feld wird Wintergetreide, auf einem Sommergetreide angebaut, das dritte bleibt Brache und kann sich erholen. Ein paar aufgeschichtete Strohballenrollen sollen dafür als Symbol stehen. „Zumindest unsere Besucher aus dem Odenwald kennen das, aber manchmal machen Jugendliche Unfug und rollen diese Rollen davon“, so Lerch.
Von der Straße Am Aubuckel ist praktisch nichts zu hören und auch kaum etwas zu sehen. Zur Asphalttrasse hin haben die Landschaftsplaner das Gelände acht Meter hoch mit Material aus anderen Bereichen des Spinelli-Areals aufgeschüttet – das wirkt als Sicht- und Lärmschutz, genannt „Gedeckter Gang“. Natur und Besucher sollen ihre Ruhe haben.
Für geschützte Pflanzen- und Tierarten sind mehrere Habitate, sprich: geschützte Lebensräume, entstanden. „Da darf eben nichts drauf“, zeigt Lech etwa auf ausgedehnte Wiesen, auf denen sich Bienen tummeln. Aber Lerch sieht ein: „Das ist erklärungsbedürftig“, notiert er sich, dass die Beschilderung verbessert werden muss.
Zumindest am Molchgewässer steht ein Schild. Es verrät, dass der kleine Teich ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems ist und mit seinen verschiedenen Tiefen- und Flachwasserzonen Verstecke und Laichplätze bietet. Zwar sind noch keine Amphibien zu sehen, „aber die kommen sicher, wenn das alles ein bisschen eingewachsen ist“, verweist Lerch darauf, die Natur manchmal eben Zeit braucht.
Insekten jedenfalls sind schon genug da. 20 000 Quadratmeter Fläche haben die Landschaftsgärtner als spezielle, karge Sandrasenvegetation, ähnlich alter Sanddünen, für sie angelegt, indem von vergleichbaren Wiesen in der Region das Mahdgut abtransportiert und – kurz bevor sich die Samen öffnen – hierher gebracht worden ist, damit es sich hier ausbreitet. Mehrere Haufen mit Totholz – aufgeschichtete Bündel von alten Zweigen und Stämmen – dienen ebenso als Rückzugsort von seltenen Tier und Pflanzenarten wie kleine Hügel mit Beton- und Gesteinsbrocken oder Gabionen mit Sandstein-Stücken für Eidechsen.
An vielen Stellen gibt es Eidechsenbrücken – Gitterroste für Fußgänger, unter denen sich dann die Tiere bewegen können. Da versteckt sich manchmal auch ein Feldhase. . . Wer die seitlichen Metall-Begrenzungen dieser Konstruktionen für Stolperfallen hält, den klärt Lerch auf: Es sind Radabweiser für Rollstühle, die sich auch an vielen anderen Stellen finden – vorgeschrieben im Sinne der Barrierefreiheit. Lerch kann einige Stellen zeigen, bei denen das Baurecht seinen Tribut fordert. Als Hinweis auf die alte Militärgeschichte – aber auch, weil ein Abbau enorm aufwendig gewesen wäre – sind auf dem Spinelli-Areal viele Schienen und insgesamt drei Laderampen erhalten worden, von denen früher Panzer von den Güterzügen rollten. Ihre Geländer mussten aber eigens mit Stahlnetz verstärkt werden, weil der Abstand der Geländer-Streben nicht der baden-württembergischen Landesbauordnung entspricht. Und bei der Panzerwaschanlage sind nicht nur die Hochdruckdüsen entfernt und ein Segment herausgeschnitten worden, damit Fußgänger mehr Platz haben – ein Loch verrät auch, dass ein Statiker eine Kernbohrung machte, ob das Teil auf Dauer stabil genug ist.
In der Panzerwaschanlage, die nachts illuminiert wird, ist noch ein größeres Schild zur Geschichte vorgesehen. Dennoch sagt Lerch: „Ich würde mir wünschen, dass man sich noch mal Gedanken macht, wie man das alles erklärt, wenn die Buga ’rum ist“, denn die Geschichte des Geländes sei ja spannend, „und es hat eine nachhaltige Aufenthaltsqualität“.
Abstufung zum Wohngebiet
Zwar durchquert nach der Buga der Radschnellweg das Areal. Aber ob das für Veranstaltungen und Sport geeignete Multifunktionsfeld, alle Spielplätze oder die informativen Metalltafeln der „Kurpfälzer Meile der Innovationen“ – all das bleibt auf Dauer. Mit den Betonstufen sind nicht nur Sitzgelegenheiten geschaffen worden. „Wir haben das auch als Abstufung zum Wohngebiet gedacht“, erklärt Lerch, denn ab 2024 sollen ja entlang der Wachenheimer Straße noch Häuser entstehen.
„Handharmonikaplatz“ ist der neu angelegte, gepflasterte Bereich getauft worden. Man habe eben noch mal „den Gedanken der Musikstadt Mannheim aufgreifen wollen“, erläutert Lerch – so wie es ja auch einen Musikspielplatz gibt und zum neuen Wohngebiet Spinelli hin zudem den „Klavierplatz“. Doch deutlicher als dort deutet hier eine Metallskulptur die Bälge einer Handharmonika an. Weg kommen nach der Bundesgartenschau nur die Bühne, die dort derzeit aufgebaut ist, und der Kiosk daneben. Aber es seien alle Anschlüsse vorhanden, dass der Platz auch dauerhaft für Feste genutzt werden könne, sagt Lerch.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Fortschritt für die Natur