75 Ideen für ein besseres Mannheim - Teil 65 - Franz Egle will die deutsch-türkische Gemeinschaft stärken

Mannheim, wie wär’s mit ... mehr Brücken der Sympathie?

Von 
Franz Egle
Lesedauer: 
Schüler und Schülerinnen der Klassenstufe 10 der Marie-Curie-Realschule machen den Artikel 3 des Grundgesetzes in der Neckarstadt-West sichtbar. © Markus Herrmann

Mannheim ist nicht nur die Stadt der Quadrate, sondern auch eine Stadt der Einwanderung und eine Stadt am Zusammenfließen zweier großer Flüsse mit vielen Brücken. Brücken verbinden! Was wäre zum Beispiel Istanbul ohne die Bosporus-Brücke oder Mannheim ohne die Neckarbrück’? Brauchen wir jetzt noch weitere Brücken?

Ja, mein Vorschlag für’s nächste Jahr ist eine „deutsch-türkische Brücke der Sympathie“. Eine solche Brücke könnte zum Beispiel im Frühsommer 2022 am Strandbad in Mannheim-Neckarau entstehen, wenn wir bei einer deutsch-türkischen Begegnung mit „Adana Kebap“, „Feuerwurst“, „Kurpfälzer Helles“, Musik, Çay und sympathischen Gesprächen den Mannheimer Dokumentarfilm „Ah, biz Almancilar/Ach, wir Deutsch-Türken - Wann verliert man eigentlich seinen Migrationshintergrund?“ ansehen und dabei das Mannheimer Zusammenleben in Vielfalt genießen.

Weitere Brücken können entstehen über folgende Pfeiler:

Stadtgeschichte und Gesellschaft

2021 hat fast jede zweite Mannheimerin und jeder zweite Mannheimer einen sogenannten Migrationshintergrund, wenn man auch eingebürgerte Deutsche, Aussiedler sowie Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, in der Statistik berücksichtigt. Seit 60 Jahren gehören türkeistämmige Menschen und Unternehmen einfach zum Bild der Quadratestadt.

Mannheim war schon immer attraktiv für Ausländer. In der Vergangenheit war es die Religionsfreiheit, die herrschte, als die Hugenotten sich hier niederließen; in den 1960er und 1970er Jahren war es die Arbeit und das Geldverdienen in der Industrie und dem Baugewerbe, was attraktiv war.

Mittlerweile ist das „Gut lebbare Leben in Vielfalt“ ein Pluspunkt, warum viele türkeistämmige Menschen sich nach wie vor hier niederlassen und gerne in Mannheim leben. Und natürlich findet man in Mannheim auch ein Stück HEIMAT, wenn man z.B. vom Marktplatz in Richtung Westen nach „Klein-Istanbul“ - so genannt wegen der dort ansässigen türkischen Läden, Restaurants und Geschäfte - spaziert.

Sprache und Kultur

Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Das sehen wir auch derzeit, wenn jährlich ca. 100 Schüler:innen ohne jegliche Deutschkenntnisse nach Mannheim kommen. Hier ist zum Beispiel das Deutsch-Türkische Institut für Arbeit und Bildung e.V. (DTI) aktiv und unterstützt die Justus-von-Liebig-Schule mit der Deutschlern-Plattform „MintiCity“. Gerade die deutsche Sprache, mit ihrer komplizierten Grammatik, ist für Ausländer schwer zu lernen. Umgekehrt ist es auch für Deutsche sehr schwer, die türkische Sprache zu lernen. Wenn ich mir vorstelle, wie lange ich selbst gebraucht habe, um ein paar einfache Wörter auf türkisch zu sprechen, z.B.: Merhaba (Hallo), Hos geldiniz (herzlich willkommen) oder Üzgünüm. Türkçe bilmiyorum (Verzeihung. Ich kann kein Türkisch), dann muss man es einfach wertschätzen, dass inzwischen doch die meisten türkeistämmigen Bürger:innen in Mannheim sich gut auf Deutsch oder „Mannemerisch“ verständigen können.

Die Frage „Wann verliert man eigentlich seinen Migrationshintergrund“ wird im Film „Ah, biz Almancilar“ thematisiert und regt zum Nachdenken an. Während unserer Arbeiten für den Dokumentarfilm haben wir auch Menschen kennengelernt, die sich als Kinder geschämt haben, einen türkischen Migrationshintergrund zu haben. Als Erwachsene und mit beruflichem Erfolg verbunden, sind sie inzwischen stolz, mit der Türkei verbunden zu sein, obwohl sie oft besser Deutsch als türkisch sprechen. Ich glaube, dass es gar nicht wirklich darauf ankommt, ob jemand eine Migrationsgeschichte hat. Das gemeinsame und friedliche „Zusammenleben in Vielfalt“ ist aus meiner Sicht doch das WESENTLICHE. Migrationshintergrund ist - so gesehen - eine Bereicherung für alle. Das wird jetzt auch im Bundestag sichtbar, wenn eine türkischsprachige Mannheimer Abgeordnete und ein türkischsprachiger Stuttgarter Politiker als Minister nunmehr nicht zuletzt die Interessen der deutschen Bevölkerung vertreten.

Wirtschaft und Arbeit

Welche Bedeutung hat die türkische Community für das heutige Mannheim? Man kann sie nicht hoch genug schätzen. Das fängt schon bei der türkischen Gastronomie an. Stellen wir doch einmal eine statistische Rechnung an. Von den ca. 30.000 türkischsprachigen Menschen in Mannheim sind ungefähr die Hälfte erwerbstätig und arbeiten, so die Annahme, mit einer durchschnittlichen Produktivität von 50 Euro/Std. 1.500 Stunden lang im Jahr, wie die Deutschen. Wenn wir dies zusammenfassen, kommen wir auf ein „deutsch-türkisches Bruttoinlandsprodukt“ in Mannheim von rund 1 Mrd. Euro (1,125 Mrd.).

Mehr zum Thema

75 Ideen für ein besseres Mannheim - Teil 64

Mannheim, wie wär’s mit... einem festen Architektur-Forum?

Veröffentlicht
Von
Anke Philipp
Mehr erfahren
75 Ideen für ein besseres Mannheim - Teil 63

Mannheim, wie wär’s mit … einer Hafencity?

Veröffentlicht
Von
Martin Geiger und Timo Schmidhuber
Mehr erfahren
75 Ideen für ein besseres Mannheim – Teil 61

Mannheim, wie wär’s mit … mehr öffentlichen Toiletten?

Veröffentlicht
Von
Tanja Capuana
Mehr erfahren

Wer erinnert sich noch an das Lied von Geier Sturzflug aus den 80er Jahren? Es heißt: „Bruttosozialprodukt“. Darin spiegelt sich im Grunde die Bedeutung der Arbeitergesellschaft aus der Türkei in den Anfangsjahren für die deutsche Wirtschaft am klarsten wider. Die erste Strophe darin lautet: „Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt, und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt, in der Montagehalle die Neonsonne strahlt, .... Ja, dann wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt“.

Ja, es stimmt schon: Diejenigen, die damals sicherlich „in die Hände gespuckt“ haben, waren auch die damals so genannten Gastarbeiter:innen. Dafür gebührt ihnen heute nach so vielen Jahren, - auch angesichts der erfahrenen Diskriminierung und Ausgrenzung - Dank, Anerkennung und Teilhabe.

Gleichberechtigung

Inwieweit spielt dieses Thema aktuell noch eine Rolle? Wie kann man Diskriminierung ggfs. abbauen? In der Tat: Das ist ein aktuelles und bedrückendes Thema. Ja, es gibt Rassismus und Diskriminierung, offensichtlich verstärkt in den sozialen Medien und nicht nur hinsichtlich der türkischen Community. Betroffen sind auch Menschen mit jüdischem Glauben, Geflüchtete generell, auch Sinti und Roma. Wir haben vor kurzem zwei Aktionen gegen Rassismus gestartet: „Schiess Tore gegen Rassismus“ (SV Waldhof - Türkspor Mannheim) und „Sprechende Wände“ zum Grundgesetz Artikel 3 (Jungbuschbrücke).

In der Arbeitswelt und auf dem Wohnungsmarkt sind tatsächlich türkische Namen nicht selten ein Grund für Ablehnungen. Das darf nicht sein! Wir haben ein Grundgesetz und nach Artikel 3 gilt für alle Menschen in Deutschland die „GLEICHBERECHTIGUNG“. Bei Bewerbungen auf die Nennung der Namen zu verzichten, ist zwar eine Möglichkeit, funktioniert aber auch nur, wenn sich alle daranhalten. Sonst zeigt das Weglassen des Namens schon ein unerwünschtes Signal. Ich glaube, dass der Abbau von Diskriminierung ein längerer Prozess ist, der bei der Bildung ansetzt und anfängt bei Schülerinnen und Schülern.

Bildung

Unser Konzept hierfür heißt: Demokratiebildung und Sympathiewerbung. Wir haben beim DTI ein Bildungs-Dossier mit 16 konkreten Projektideen zur DEMOKRATIE-, SPRACH- und BERUFSBILDUNG erarbeitet, welches wir in den nächsten zwei Jahre mit Schulen, Vereinen, Partnerorganisationen, Medien und der Stadt Mannheim realisieren wollen, vorausgesetzt, wir erhalten die erforderlichen finanziellen Zuwendungen und/oder Spenden als gemeinnütziger Verein. Versuchen wir es gerne auch ideell mit einer deutsch-türkischen Brücke der Sympathie am Strandbad Neckarau im Sommer 2022. Jedes Jahr könnte dann ein Verein aus einer anderen Migrationscommunity die Initiative ergreifen.

Prof. Franz Egle ist Berufsforscher und unter anderem Gründungspräsident der Hochschule der Wirtschaft für Management.

Thema : 75 Ideen für ein besseres Mannheim

  • Gesellschaft Warum zu viel Achtsamkeit narzisstisch machen kann

    Was ist dran an dem Hype um Achtsamkeit? Wem hilft sie? Was kann sie wirklich? Und warum kann zu viel sogar schaden?

    Mehr erfahren
  • Wirtschaft Neun große Fehler bei der Geldanlage

    Für die Zukunft vorzusorgen ist nicht immer einfach und der Weg individuell. Diese Fehler machen viele Menschen – egal, wie hoch ihr Einkommen ist

    Mehr erfahren
  • 75 Ideen für ein besseres Mannheim Das ist die Sieger-Idee für ein besseres Mannheim

    Mehr als 1000 Mannheimer haben die beste Idee für ein besseres Mannheim gekürt. Der Siegertext unserer Jubiläumsserie handelt auch von einer großen Sehnsucht der Mannheimer. Eine neue Themenreihe dazu startet nun im April.

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen