Mannheim. Lange hat es gedauert, bis Mannheim sich ganz offiziell zu seiner Bedeutung als Musikstadt bekannte. Noch in den 1990ern hatte etwa die Rockszene gegenüber der Politik hart um Anerkennung zu kämpfen. Kulturausschussdebatten jener Jahre waren mitunter geprägt von Ignoranz. Aber heute ist Mannheim stolz auf den Titel Unesco City of Music - und das völlig zu Recht.
Künstler aus halb Europa
Noch schwerer tut sich die Stadt jedoch mit einer Tradition ganz anderer Art: Mannheim ist eine multikulturelle Stadt - nicht nur heute, sondern schon zur Kurfürsten-Zeit. Kurfürst Carl Theodor holte im 18. Jahrhundert Künstler und Gelehrte aus halb Europa an seinen Hof. Um dies zu belegen, mögen einige Namen genügen: Cosimo Alessandro Collini, seinerzeit Historiograph und Leiter des Naturalienkabinetts, der böhmische Komponist Johan Stamitz, Gründer der „Mannheimer Schule“, Peter Anton von Verschaffelt, flämischer Bildhauer, Architekt und Gründer der Mannheimer Kunstakademie, oder Barthel Janson, der holländische Architekt, der die Quadratestruktur Mannheims geplant hat.
Von Anfang an also gehörte Multikulturalität zur DNA dieser Stadt. Mit der zunehmenden Industrialisierung erfolgte der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte. So entstanden zum Beispiel Werksiedlungen wie die Spiegelkolonie für französische Arbeiter.
Der berühmteste Arbeitsmigrant ist wohl der spätere jugoslawische Staatschef Tito, der 1910 noch unter seinem bürgerlichen Namen Josip Broz als Schosser „beim Benz“ tätig war. Und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erweiterten weitere Zuzügler die Stadtgesellschaft: „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien, Griechenland, Ex-Jugoslawien und der Türkei als auch Tausende US-amerikanischer Soldaten, ohne die Mannheims Jazz- und Popszene nicht denkbar wäre.
Aber die ziert sich immer noch, die Tatsache, dass sie eine Einwanderungsstadt ist, als Qualität anzuerkennen. Warum stellt sie ihre vielfältigen kulturellen Einflüsse nicht offener, positiver zu Schau?
Eine Idee wäre, eine Art „Straße der Nationen“ zu organisieren. Lassen wir einmal unserer Fantasie freien Lauf und stellen wir uns vor, was möglich wäre, wenn die Stadtverwaltung Immobilienbesitzer in der Innenstadt für ein derartiges Vorhaben sensibilisieren würde. Eigentlich böte sich hierfür die Breite Straße an. Die ist zwar schon multikulturell geprägt - aber ohne Konzept und Struktur. Was könnte man mit gezielter Planung daraus machen?
Ein neues Konzept müsste her
Träumen wir einfach einmal: von Geschäften, die zum Beispiel Kunsthandwerk anbieten würden, wie es typisch ist für Herkunftsländer vieler Zuwanderer. Beim Flanieren gäbe es so viel Faszinierendes zu sehen: kunterbuntes Porzellangeschirr aus der Türkei, stilvolle italienische Möbel, filigrane Kupferschmiedewaren aus Serbien, reich verzierte Fliesen aus Spanien, glänzende Kaschmirseidenteppiche aus Indien, farbenfrohe Stickereien aus Polen - um nur einige der infrage kommenden Länder zu nennen.
Möglich wäre dies freilich nur, wenn Stadt und Immobilieneigentümer an einem Strang zögen und ein hochwertiges Keramikwarengeschäft für wichtiger erachten würden als irgendeinen x-beliebigen Ramschladen. Und wenn ein Konzept erarbeitet würde, das auf ethnische Vielfalt und Qualität Wert legte. Dazu passend müsste man verschiedenartige Restaurants in dieser „Straße der Nationen“ ansiedeln, die im Sommer selbstverständlich auch Außenbewirtung anbieten könnten. Auf ein paar Hundert Metern könnte man so die Vielgestaltigkeit und Buntheit der Welt in Mannheim zur Schau stellen.
Und wie wäre es einmal im Jahr mit einem multikulturellen Festival, das diese Vielfalt feiern würde? Warum nicht auf dem Marktplatz, wo Musik und Tanz aus aller Herren Länder dargeboten werden könnten. Was Berlin mit seinem „Karneval der Kulturen“ recht ist, sollte Mannheim doch billig sein. In der Quadratestadt leben Bürgerinnen und Bürger aus 166 Staaten. Fast die Hälfte der Einwohner, 45,6 Prozent, haben nach Angaben der Stadt einen Migrationshintergrund. Wo, wenn nicht in Mannheim, wäre eine solche multikulturelle Straße der Nationen zu verwirklichen? Es mag ein naiver Traum sein, aber er ist wirklich verlockend. Und nicht zu schön, um wahr zu werden.
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