Der Satz klang voller Sorge, ja großer Sorge. Oberbürgermeister Peter Kurz gestand vor einigen Tagen, dass sich das Nationaltheater wegen der Generalsanierung in der „schwierigesten Phase der Nachkriegszeit“ befinde. Daraus spricht die Angst, dass dem Haus die Zuschauer weglaufen, nachdem durch die Corona-Schließung ohnehin viele Leute geradezu „entwöhnt“ sind, regelmäßig zu Kulturveranstaltungen zu gehen. Doch wie wäre es, wenn das Nationaltheater seinem Publikum einfach mehr entgegenkommt – räumlich, aber auch inhaltlich?
Bei seiner ersten Schließung wegen Sanierungsarbeiten von Sommer 1992 bis Februar 1994 hat das Nationaltheater, so hieß es damals im Kulturausschuss, 30 Prozent seiner Abonnenten verloren – bei zehn Prozent weniger Vorstellungen. Ab Sommer 2022 soll das Haus viel länger schließen: Derzeit ist die Rede von vier Jahren reiner Bauzeit plus Aus- und Rückzugsphase also fünf Jahren – mindestens! Erste Abonnementkündigungen gibt es schon.
Nicht ohne Grund hat Kulturbürgermeister Michael Grötsch mehrfach gefordert, dass das Nationaltheater „Aufmerksamkeit erzeugt und interessante, attraktive Inszenierungen“ bietet. Natürlich soll, will, darf und kann die Politik keine Spielpläne vorgeben. Die künstlerische Freiheit ist ein hohes Gut, das niemand antasten darf und sollte.
Aber es gibt auch eine Meinungsfreiheit. Zu der gehört, ein auf steigende Zuschüsse, Millioneninvestitionen und Publikumszuspruch angewiesenes Theater zu fragen, warum es den Zuschauern in der ersten Premiere nach langer Corona-Schließungsphase im Juni diesen Jahres unbedingt gleich ein düsteres Stück mit einer Erschießung bieten muss. Wie wäre es mit mehr leichter, populärer Kost? Ja, mit – das Wort sei gewagt! – Unterhaltung?
Es gibt sie, wenn auch sehr sparsam dosiert. Aber immerhin hat Bariton Joachim Goltz von der Intendanz jetzt seinen Wunsch erfüllt bekommen. Er durfte eine Operettengala konzipieren, präsentieren, moderieren. Es wurde ein wunderbarer Abend, das Publikum schwelgte fröhlich-locker in Walzerglückseligkeit, und der Zuschauerraum wurde, trotz Masken erkennbar, zum „Land des Lächelns“, so zufrieden gingen die Leute nach Hause.
Wunderbare Operette
Programm und Darbietung hatten Niveau und Pfiff, dazu das nötige Quäntchen feinsinniger Ironie. Mancher Theaterpurist mag das viel zu profan finden und abschätzig die Nase rümpfen – aber leichte Muse gut zu machen, das ist besonders schwer und an diesem Abend Goltz, seinen Sängerkollegen und dem Nationaltheaterorchester vor sehr hübschen, augenzwinkerndem Bühnenbild hervorragend gelungen.
Dass das Publikum nach solchen Gelegenheiten lechzt, beweist doch die enorme Resonanz auf die traditionelle Hartung-Matinee, für die die Leute nachts Schlange stehen. Doch im Spielplan findet man das leider viel zu selten. Dabei böte sich die Seebühne im Luisenpark an, dass das Nationaltheater dort – etwa während der Schließungsphase – jeden Sommer eine Operette zeigt.
Damit wären wir beim Thema Ersatzspielstätten während der Generalsanierung. Der Gemeinderat hat dafür 31,9 Millionen Euro bewilligt. Stadträtin Helen Heberer (SPD) hat in dem Zusammenhang vorgeschlagen, das Theater solle doch auch die Bürger- und Kulturhäuser in den Stadtteilen nutzen. Die Intendanz wollte das „prüfen“ – aber man hat schon gemerkt, dass sie das nicht will, und seither dazu nichts mehr gehört. Aber warum nicht?
Ein Anfang wurde immerhin in diesem Sommer gemacht, als das Nationaltheater einen ungebauten Lkw als rollende Bühne mit Shakespeare-Stücken losschickte. Eine tolle Idee, aber nur halbherzig umgesetzt. Auf dem Almenhof gab es sehr erfolgreiche Gastspiele, mehrfach stand der Truck im Neubaugebiet Franklin, aber leider auch oft direkt vor dem Theater auf dem Goetheplatz – was ja nicht Sinn der Sache war. Feudenheim, Wallstadt, Vogelstang oder Schönau, Sandhofen, Rheinau – überall Fehlanzeige. Geeignete Plätze gäbe es da durchaus.
Und das gilt nicht nur für einen Lkw im Sommer. Das Nationaltheater sollte für die Schließungsphase ein paar Stücke (Schauspiel, Operette, Kindertheater) speziell für kleinere Bühnen inszenieren und damit – auch wenn fest angestellte Künstler das Wort nicht mögen – durch Vororte tingeln. Die Feudenheimer Kulturhalle, das (gerade aufwendig sanierte) Kulturhaus Käfertal, die Rheingoldhalle Neckarau, das Kulturhaus Waldhof, ja auch Hallen in Heddesheim, Ilvesheim oder Südhessen böten sich an. So ließe sich sicher auch ein Publikum ansprechen, das Hemmschwellen vor großen Häusern oder der langen Fahrt zu unbekannten Ersatzspielstätten hat.
Kulturhäuser und Kirchen
Auch Kirchen sind gut geeignet. Da macht der Opernchor in dieser Woche den Anfang, er singt an zwei Abenden in der Schlosskirche, dazu kommt ein Musiksalon in der Paul-Gerhardt-Kirche. Gut so – aber nicht genug. Also, Nationaltheater, wie wär’s mit mehr Präsenz in den Vororten, mehr populärem Programm mit Breitenwirkung?
Damit sind nicht irgendwelche „partizipativen Veranstaltungsprojekte im öffentlichen Raum“ gemeint, die es ja im Spielplan gibt, und auf die jetzt sicher manche Theaterleute verweisen. Diese, so die Ankündigung, „Performances und Installationen im Stadtraum“ sind nichts, was das Herz anspricht und die breite Masse der Menschen für unser Theater begeistert. Doch ohne diese Begeisterung, zumindest die Zustimmung, wird das Haus die Sanierungsphase nicht überleben.
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