Mannheim. Um einsame Menschen anzusprechen, hat sich der baden-württembergische Landesseniorenrat das „Schwätzbänkle“ ausgedacht. An 20 Orten im Land machten kürzlich Schilder an Bänken darauf aufmerksam, dass man hier auf jemanden trifft, der offen zum „Schwätzen“ mit Fremden ist. Und auch Seckenheim hat es schon vorgemacht: Die Seniorenorganisation der St. Aegidiusgemeide griff das Thema „Gespräche gegen Einsamkeit“ auf. Und stellte kurzerhand auf dem Friedhof eine Bank aus Spendenmitteln auf, die jetzt zum offiziellen „Schwätzbänkle“ deklariert wurde. Ein voller Erfolg, heißt es aus der Gemeinde.
Viele in der Region, auch in ganz Baden-Württemberg, sind begeistert von der Idee. Auch „MM“-Leserin Gabriela Haar erfuhr von der Aktion „Schwätzbänkle“, diesmal aus Schwaben, nämlich aus Stuttgart. Sie schrieb uns: „Eine geniale Idee, wie ich finde.“ Und brachte so die Redaktion überhaupt darauf, hier einmal für das Herz der Quadratestadt nachzuhaken.
Sozialminister fordern Einsamkeitsgipfel
- Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine repräsentative Quer- und Längsschnittbefragung von Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Diese Langzeitstudie stellte unter anderem fest: Besonders im Alter fehlt es den Menschen an Gesprächstpartnern.
- Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden Menschen auf ihrem Weg ins höhere und hohe Alter regelmäßig befragt. An der schriftlich-postalischen Befragung im Juni und Juli 2020 haben 4762 Menschen im Alter von 46 bis 90 Jahren teilgenommen. Gefördert wird die Forschung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
- Sozialminister der Länder forderten kürzlich sogar einen „Einsamkeitsgipfel“. Durch Pandemie, Lockdown und die Angst vor dem Virus hat das Gefühl der Einsamkeit nach einer Umfrage nochmal deutlich zugenommen. Im Sommer 2020 lag der Anteil sehr einsamer Menschen im Alter von 46 bis 90 Jahren bei knapp 14 Prozent und damit 1,5-mal höher als in den Vorjahren, wie der Deutsche Alterssurvey erfasst hat.
Leichtes Futter für Betrüger?
Und ja: Auch in Mannheim wurde beim Seniorenrat die Idee „lang und intensiv“ diskutiert, berichtet Marianne Bade vom Seniorenrat. Doch dass ein Unterschied zwischen Stadtteil und Innenstadt, Stadt und Land bei solchen Aktionen besteht, wurde schnell klar: „Grundsätzlich ist so eine Idee ja nicht schlecht, auf dem Land, wo die Menschen sich kennen. In einer Großstadt wie Mannheim halten wir die Idee für gefährlich“, so Bade. „Wenn ich den Bericht über die Enkeltricks und Ähnliches in der Zeitung lese, dann weiß ich, welchen Menschen man mit so einem Schwätzbänkle die Arbeit sehr erleichtern würde.“ Darum habe der Rat sich entschlossen, keine Empfehlung für das Bänkle zu geben.
Also, halten wir fest. Die Idee ist gut, an der Umsetzung müsste noch gefeilt werden. Die Sicherheit müsste erhöht werden, vielleicht so, dass vor Ort feste Mitarbeitende oder Ehrenamtliche die Aktion begleiten? Dass das Schwätzbänkle zu einer festen Zeit aktiv ist sozusagen.
Ein cooler (Debatten-)Ort für alle
Oder aber, vielleicht müsste man die Idee ganz neu denken. In einem geschützten ganz anderen Raum. Vielleicht wäre eine noch bessere Lösung für eine große Stadt wie Mannheim - ein Gesprächslabor. Eine fest etablierte Stelle, an der das tägliche Gespräch gefördert wird. Zwischen allen: Ob zwischen Generationen, ob zwischen Männern und Frauen. Vielleicht sogar markant im Stadtbild? Vielleicht sogar richtig cool - als Blickfang oder am Ende noch Sehenswürdigkeit. Ein Glaskubus mit Sitzbänken und Tischen? Beleuchtet? In grün bewachsen? Egal: Für alle Bürgerinnen und Bürger müsste er offenstehen - ausnahmslos. Divers und barrierefrei müsste er sein.
Vor einigen Monaten hatte das Projekt „Mannheim spricht“ der Abendakademie genau das temporär anvisiert: Den Dialog zwischen Bürgern zu kontroversen Themen aufzubauen und zu fördern. Es war ein voller Erfolg, rund hundert Mannheimer beteiligten sich. Damals wurden Leute mit konträren Meinungen zu Thesen „zusammengelost“ zum Gespräch. Vielleicht wäre auch das eine Idee für das Gesprächslabor. Dass man dort fragen aus einem Lostopf kriegt, über die man diskutiert? Oder Thematiken mitbringt und sagt: „Hierüber müssen wir reden.“ Ob Klima, Altersvorsorge oder einfach mal locker quatschen. Ob ernste gesellschaftliche oder politische Themen. Oder über Entwicklungen in der Stadt. Man könnte dort zusammenkommen. Und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Den Austausch vieler fördern - und Einsamkeit der einzelnen verringern.
Das ist so wichtig: Denn wir leben (und reden) mehr und mehr in Scheinwelten. Insbesondere im Digitalen. Und das Digitale hält Einzug in unsere Lebenswelt. Das im Netz aneinander vorbei statt miteinander Reden schlägt sich auf der Straße wieder. Anonyme Streits und Populismus, Fake-Infos dominieren unseren Alltag. Auch in der Krise. Die Folgen kennen wir. Wir müssen wieder von Angesicht zu Angesicht miteinander reden.
Mit enormen Problemen allein
Auch besonders seit der Krise wissen wir zudem: Einsamkeit ist ein Thema, dass sich durch alle Generationen zieht. Dennoch sollte auf Ältere auch beim Gesprächslabor oder sonstigen Aktionen ein deutlicher Fokus gelegt werden. Denn nach den Ergebnissen des Deutschen Alterssurveys besteht insbesondere bei Älteren über 80 Jahren ein deutlich höheres Risiko einer sozialen Isolation, wenn multiple Problemlagen dazukommen, die Einsamkeit und soziale Isolation begünstigen oder auslösen können. Schicksalsschläge können das sein oder Erkrankungen, der nachlassende Körper, die mangelnde Mobilität oder zunehmende Altersarmut.
Ein Thema, das auch in Mannheim brandaktuell ist. So aktuell, dass es im aktuellen Sozialatlas ein eigenes Themengebiet ist. Wie Tobias Korn vom Fachbereich Arbeit und Soziales bei einer Pressekonferenz bei der Veröffentlichung vor einigen Monaten beschrieb, gehe man in Mannheim etwa bei der Grundsicherungsquote im Alter von einer hohen Dunkelziffer aus. „Viele der Betroffenen stellen keinen Antrag. Wir können von einer Verdopplung der Quote ausgehen.“ In manchen Vierteln werden schon jetzt Quoten von 16,5 Prozent erreicht. Die Stadt will zudem ihren Fokus besonders auch auf ältere Menschen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen und auf alleinlebende ältere Menschen legen, hieß es damals. Die negativen Krisenerfahrungen müsse man angehen, so Fachbereich.
Quasseleck oder Gesprächslabor?
Man wolle auch Quartiere altersgerecht gestalten, Versorgung nah vor Ort ermöglichen. Auch hinsichtlich Vereinsamung und Isolation müsse man handeln: „Zumal in Mannheim 50 Prozent der Haushalte Einpersonen-Haushalte sind“, betonten die Verantwortlichen. Und der Alterssurvey hält noch einmal deutlich fest: „Was fehlt sind vor allem Gesprächspartner“. Vielleicht wäre ein Rede-Treff ein erster Anfang. Gehen wir es an. Ob es dann Gesprächslabor, betreute Betreute-Ehrenamts-Babbelbank oder Quadrate-Quasselecke heißt, wird sich (hoffentlich) zeigen. (mit dpa)
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