75 Ideen für ein besseres Mannheim - Teil 58 - Viele sind genervt vom Wham!-Dauerbrenner „Last Christmas“ im Radio. Die Unesco City of Music mitsamt Popakademie und vielfältiger Szene könnte Abhilfe schaffen

Mannheim, wie wär’s mit ... einem eigenen Weihnachtslied?

Von 
Jörg-Peter Klotz
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1984 erschien die Wham!-Single „Last Christmas“ – für viele ein kultiger Dauerbrenner vor Weihnachten, für viele andere eine musikalische Nervensäge. © Ralf Liebhold / Dreamstime.com

Jedes Jahr erscheinen neue Weihnachts-Popsongs. Allein in den beiden Corona-Wintern kamen Alben, einige neue und sehr, sehr viele altbekannte wieder aufgelegte Lieder aus einem enormen Spektrum: von den Schlagerstars Howard Carpendale und Roland Kaiser über Jazzer Till Brönner bis zum „Santa Claus“-Punk der Broilers und Weltstars wie ABBA, Coldplay oder Ed Sheeran im Duett mit Elton John. Und das ist nur die Spitze eines meist zuckersüß klingenden Eisbergs. Im Radio laufen gefühlt aber immer nur Mariah Careys „All I Want For Christmas Is You“ und „Last Christmas“ von George Michaels Duo Wham!. Wäre es nicht Zeit für eine Alternative aus der Unesco City of Music, einen Mannheimer Weihnachtshit?

Udo Dahmen bevorzugt The Pogues

Erste Adresse wäre natürlich das geballte Talent an der Popakademie. Theoretisch. Praktisch sagt deren Kreativdirektor Udo Dahmen: „Da wir die künstlerische Freiheit über alles stellen und unsere Studierenden diese für sich in Anspruch nehmen, können wir natürlich niemanden dazu verpflichten, einen Weihnachtssong zu schreiben. In der Regel geht es ja um ihre eigenen Ideen. Wenn dabei mal ein Weihnachtslied entstehen sollte, würden wir das sicher nicht ablehnen. Bis dato ist das noch nicht passiert.“ Aber es könne immer mal ein Thema für ein Songwriting Camp sein. „Wir haben häufiger ein anderes saisonales Thema: den typischen Sommerhit. So wie manche Weihnachtsdinge schon im Sommer hergestellt werden, müssten wir das im Sommersemester in Gang bringen, um das sinnvoll zu gestalten“, so der 70-jährige Vollblutmusiker und Poppädagoge.

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Es wäre eines der letzten Projekte seiner Amtszeit, die im April 2022 offiziell endet. Möglicherweise werden er und Popakademie-Mitbegründer Hubert Wandjo, Business Direktor & Geschäftsführer Fachbereich Musik- und Kreativwirtschaft, noch etwas länger geschäftsführend im Amt bleiben, weil die Nachfolgeregelung pandemiebedingt erst richtig angelaufen ist. Dahmen regt im Gespräch außerdem einen Wettbewerb für ein Mannheimer Weihnachtslied an.

Dass Künstliche Intelligenz (KI) beim Komponieren und Produzieren zunehmend eine Rolle spielt, war am Wochenende ein großes Thema beim Kongress Zukunft Pop der Popakademie. Wäre es denkbar, einfach sämtlichen halbwegs erfolgreichen Weihnachtspop in den musikalischen Thermomix zu werfen, und aus X-Mas-Songs von Bing Crosby, dem Rat Pack, Jose Feliciano, Elvis, Slade, den Pogues, Wham!, Bruce Springsteen, Mariah Carey bis zum relativ neuen Dauerbrenner Michael Bublé den perfekten „Last Christmas“-Nachfolger zu backen? „Das könnte ein KI-Thema sein, aber man muss vorsichtig sein, was sie tatsächlich leisten kann. Man könnte natürlich die gängigen Weihnachts-Hits tatsächlich einspeisen und schauen, was dabei herauskommt. Aber dazu müsste es die Studierenden geben, die dazu Lust haben.“

Klingende Tipps fürs Fest

  • Bing Crosby: White Christmas (1955)
  • Elvis Presley: Blue Christmas (1964)
  • Vince Guaraldi Trio: Christmas Time Is Here (1965)
  • Dean Martin: Winter Wonderland (1966)
  • José Feliciano: Feliz Navidad (1970)
  • Jackson 5: Santa Claus Is Coming To Town (1970)
  • John Lennon und Yoko OnoHappy Xmas (1971)
  • Slade: Merry Xmas Everybody (1973)
  • Wham!: Last Christmas (1984)
  • Band Aid: Do They Know It’s Christmas? (1984)
  • Shakin Stevens: Merry Christmas Everyone (1984)
  • Queen: Thank God It’s Christmas (1984)
  • Frankie Goes To Hollywood: The Power Of Love (1984)
  • The Pogues: Fairytale Of New York (1987)
  • Bob Dylan: Christmas Blues (2009)
  • Michael Bublé: It’s Beginning To Look A Lot Like Christmas (2011)
  • She & Him: All I Want For Christmas Is You (2016)
  • Sia: Everyday Is Christmas (2017)
  • Ed Sheeran / Elton John: Merry Christmas (2021)
  • Broilers: Grauer Schnee (2021)
  • Coldplay: Christmas Lights (2021)
  • Liebe Leserinnen und Leser, was sind ihre Lieblingssongs für die Adventszeit? Schreiben Sie uns unter lokal@mamo.de 

Liegt das Thema Weihnachten der amtierenden Studierenden-Generation denn so fern? Dabei hört man im aktuellen Deutschpop viele nostalgische Lieder über die eigene Familie. Und Cocooning am heimischen Herd ist in der Pandemie ja ohnehin angesagt. „Das könnte ich mir vorstellen, dass es durch familiäre oder Freundeskreis-Zusammenhänge einen höheren Stellenwert bekommen kann als vor Jahren. Dass Zurückziehen ins Private ist ja weitestgehend mit Weihnachten verbunden.“

Was junge Kreative oft abschrecken dürfte: Weihnachtsalben sind lange mit dem Klischee behaftet gewesen, dass sie oft weit hinter dem Karriere-Zenit entstehen, wenn es hinter dem Horizont für ausgelaugte Stars noch irgendwie weitergehen muss. Doch da gibt es seit zehn, zwölf Jahren einige Gegenbeispiele von so unterschiedlichen Künstlern wie Bob Dylan, Diana Krall, She & Him, Sia oder Michael Bublé, dem mit „Christmas“ 2011 eine der erfolgreichsten Saison-Platten gelungen ist.

Die Platin-Schallplatten-Frage, wie der perfekte neue Weihnachtssong denn anno 2021 klingen müsste, beantwortet Dahmen erstmal nur mit einem Lachen: „Das ist hochspekulativ. Für mich persönlich ist ,Fairytale Of New York’ ein sehr gelungenes Weihnachtslied. Und immer noch ist ,Stille Nacht’ ein Favorit - der Klassiker! Alles dazwischen wird auf gewisse Klischees nicht verzichten können.“ Was ihm auch gefalle, sei der „Little Drummer Boy“, den David Bowie in einer TV-Show mit Bing Crosby mit einem alternativen Vers gesungen hat.“ Generell lägen bei Weihnachtsliedern die Sentimentalität und der Kitsch sehr nahe, verbunden mit romantisierenden Gefühlen. „Das war eigentlich immer so. Ich glaube, da können wir uns alle bis zu einem gewissen Grad einordnen.“ Versuche, mit anderen Stilistiken wie Punk, Rock, Blues oder Jazz habe es immer gegeben, heute würden sich Ansätze aus der elektronischen Musik oder dem Rap eignen, um die Klischeehaftigkeit aufzubrechen.

Im besten Sinn Gebrauchsmusik

Und wie geht’s Udo Dahmen mit „Last Christmas“? „Man kann doch jeden Song immer nur nach seiner Wirkung in seiner Zeit beurteilen. Alles andere ist das Klischee dessen, wie sich das in den Köpfen der Menschen weiterbefördert.“ Bei „Last Christmas“ sei das Video der Schlüssel. „Gerade in den 1980ern war es ein ganz typisches Klischee, im schweizerischen Nobel-Ski-Ort Saas-Fee Weihnachten zu feiern und sich gleichzeitig zu verlieben - mit dem Wermutstropfen, dass das dann alles letztendlich nicht geklappt hat.“ Das sei zu der Zeit extrem hip gewesen und dadurch auch so erfolgreich, auch auf lange Sicht. „Das Lied hat einfach für viele Leute das Gefühl einer modernen Art, Weihnachten zu feiern, getroffen. Nur so ist das verständlich.“

Weihnachtssongs seien in erster Linie funktional - „Gebrauchsmusik im besten Sinne“, nennt das Udo Dahmen. In diesem Sinne erfüllten die Radiodauerbrenner wie „Last Christmas“ genau das, was zum sozialen Zusammenhang von Weihnachten passe. „Das ist für jeden anders. Aber wer mit Weihnachten etwas anfangen kann, hat dabei bestimmte Rituale und Lieder.“

Eine nahe liegender Lieferant Mannheimer Weihnachtshymnen könnte Michael Herberger sein. Geschrieben habe er noch keine, sagt der Ex-Bandleader und Produzent der Söhne Mannheims. „Aber das ist eine gute Idee.“ Tatsächlich würde sie zu seinem neuen Betätigungsfeld im Bereich der geistlichen Worship/Lobpreis-Musik passen - und zum Projekt SehnLICHsT, das er mit Sängerin und Ehefrau Yvonne Betz leitet.

Was es schon gibt

Natürlich gibt es auch schon Weihnachtsmusik aus Mannheim. Von Xavier Naidoo existieren Aufnahmen im „Sing meinen Song“-Kontext, Laith Al-Deen hat zumindest live zwei unvergessliche „Jingle Jams“ im Platzhaus hingelegt. Am nächsten an einer Weihnachtshymne aus der Quadratestadt sind zwei Altmeisterinnen: Joana mit ihrer puristisch gehaltenen Dialektballade „Jesuskind“ aus dem Album „Seitelange Liewesbriefe“ (1995) und Joy Fleming mit der 1987er Single „Spür die Winterzeit/ I Love Christmas“, an der Jazz-Ikone Fritz Münzer beteiligt war. Mit „Winterzeit“ ließ die große Stimme der Kurpfalz 2006 ein Weihnachtsalbum folgen. Zeitlos swingend klingt die fast rein instrumentale Doppel-CD „Christmas“ (2010) der Dörsam-Brüder Adax (Gitarre), Franz Jürgen (Fagott) und Matthias (Flöten, Klarinette, Saxophon) als Trio 3D. Auch dank einer durchaus interessanten Rap-Version von „O Tannenbaum“.

Das Herzer/Mayer Quartett hat 2011 auf dem Album „Schräge Weihnachten“ weihnachtliche Zwischenspiele für „Merkwürdige Geschichten zum Fest“ unter anderem von Madeleine Sauveur, Frederic Hormuth oder Christian Habekost geliefert.

Der auch musikalisch ambitioniert Kabarettist Chako hat zwei hörenswerte, aber eher wortlastige „satirisch-pfälzische“ Weihnachts-CDs („Schäni B’scherung 1 + 2“, 2010/2013) im Programm. Der Wahl-Bad-Dürkheimer persönlich meint allerdings, dass die Midtempo-Ballade „Hinner de Haardt“ von seiner „Pälzer Reggae“-CD das perfekte Lied „für Xmas 2021 ist, weil’s die Sehnsucht nach Harmonie und die Liebe zum Leben am besten auf den Punkt bringt. Genau wie de Jesus sellemols, weeschwie’schmään?“

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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