Mannheim. Manchen könnte das Einlaufen der Starting Six bei den Adlern vor Heimspielen in den Sinn kommen, anderen der Einzug der Gladiatoren oder auch der Beginn großer Boxkämpfe. Wahrscheinlich werden die Kandidatinnen und Kandidaten selbst bislang nur selten so auf ein Diskussionspodium gekommen sein: unter euphorischem Applaus und mit musikalischer Begleitung.
Der Kandidat-O-Mat zur OB-Wahl Mannheim
Welcher Kandidierende vertritt meine Positionen? Am Samstag ab 10 Uhr geht der Kandidat-O-Mat zur Oberbürgermeisterwahl Mannheim 2023 online
Fünf Tage vor der Oberbürgermeisterwahl lädt das Bündnis „Bock auf Wahl“ im Zirkus Paletti zu einer der letzten Diskussionen im Wahlkampf. Etwa 1000 Jugendliche von verschiedenen Schulen sind der Einladung des Bach-Gymnasiums, der Carl-Benz-Schule und der Landeszentrale für politische Bildung gefolgt, um sich ein Bild von den Bewerberinnen und Bewerbern zu machen. Das Publikum erfährt in den zwei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen nicht nur etwas über Sichtweisen auf die Jugendpolitik, sondern auch, dass sowohl die unabhängig kandidierenden Tanja Krone und David Frey als auch Isabell Belser (Linke), Raymond Fojkar (Grüne), Thorsten Riehle (SPD) und Christian Specht (CDU) etwa alle schon einmal in der Jungbuscher Kultkneipe Rhodos gelandet sind (leider wird über den Zeitpunkt und den jeweiligen körperlichen Zustand geschwiegen) und Gäste im Tiffanys waren (oder sind?).
Die Diskussion werde sich „stark von den anderen, herkömmlichen Veranstaltungen unterscheiden“, hatte Lehrerin Anja Stephan bereits im Vorfeld erklärt. Mit ihrer Kollegin Andrea Schwenker hatte sie die Leistungskurse Gemeinschaftskunde des Bach-Gymnasiums auf Moderation und Organisation der vierstündigen Veranstaltung vorbereitet.
Das Programm ist tatsächlich abwechslungsreich. In Videos werden Zahlen und Fakten zur Wahl vorgestellt. Die Diskussionen erinnern dagegen wirklich nur zu Beginn an Gladiatoren- oder Boxkämpfe. Auf dem Podium herrscht Harmonie. Ja, es menschelt sogar, als die Kandidatinnen und Kandidaten etwa Wahlwerbung betreiben müssen - nicht für sich, sondern für einen anderen.
Wahlwerbung für Konkurrenten
So stimmt Krone ein Loblied auf Specht an, das in der Intensität doch überrascht - hatte sie just wenige Stunden zuvor noch auf Sozialen Medien erklärt, wie ein Wahlsieg des konservativen Kandidaten verhindert werden könne. Sie zeichnet Specht im Zirkus Paletti nun gar als „unbedingt wählbar“ aus, weil es „kaum einen anderen gibt, der mehr Erfahrung in der Verwaltung hat“. Außerdem denke er ganzeinheitlich. „Wählt den Specht“, ruft Krone.
Specht wiederum sieht in Frey einen „erfrischenden Kandidaten“, der sich sehr für die Belange in der Neckarstadt einsetze und am Jugendtreff Alter gute Arbeit leiste. Frey habe erzählt, manchmal nachts bis zu fünf Stunden Tischtennis zu spielen. „Ich komme vorbei und spiele mit Ihnen“, sagt Specht.
Schwierige Suche nach Wohnraum
Für die Kandidaten und Kandidatinnen ist der „Bock auf Wahl“-Vormittag sicher eine willkommene, aber fordernde Abwechslung. Wirklich neue politische Erkenntnisse gibt es zwar kaum. Trotzdem können sich die Bewerber und Bewerberinnen in angenehm unverkrampfter Atmosphäre präsentieren. Das ist notwendig: Schließlich sind in Mannheim lebende 16-Jährige mit deutschem oder EU-Pass wahlberechtigt - und in großer Zahl gekommen.
Belser, Krone und Riehle werden auf der Suche nach einem WG-Zimmer in einem Spiel gefordert, ein Ehepaar - gespielt von einer Schülerin und einem Schüler - davon zu überzeugen, ihnen ihre Zweitwohnung zu vermieten. Ein schwieriges Unterfangen, möchte das Paar doch lieber sanieren und teurer weiterverkaufen. Obwohl Krone auch mit Humor das Paar an seine eigenen Kinder erinnert („es wäre toll, wenn die auch in einer solchen bezahlbaren Wohnung leben könnten“), Belser regelmäßige Einkünfte schmackhaft macht und Riehle eine Charmeoffensive fast unbekannten Ausmaßes startet („Schauen Sie uns an! Wir sind nette, junge Leute, die auch Ihnen mal zur Hand gehen könnten“), bleibt zumindest der Mann skeptisch. Ja, die Suche nach bezahlbarem Wohnraum ist auch für potenzielle Stadtoberhäupter schwierig.
Apropos: Riehle wirbt in seinem Abschlussstatement für Belser. Die könne er empfehlen, „weil es toll ist, dass sich eine alleinerziehende Mutter dieser Situation stellt“. Belser hat eine neunjährige Tochter und arbeitet auch im Wahlkampf noch als Pflegerin in einer Klinik. „Sie hat ein großes Herz, das sie jedem zugewendet“, sagt Riehle. „Isabell Belser würde eine ganz andere Sichtweise nach Mannheim bringen.“
Umwelt, Sicherheit oder Freizeit?
Neben spielerischen Elementen geht es in Diskussionen auch um Sicherheit. Tattersall, Hauptbahnhof, die unterirdische Haltestelle Dalbergstraße, die Planken oder als queerer Mensch in den Quadraten - im Publikum zeigt sich, dass sich Jugendliche nicht immer sicher fühlen. Während Specht zur Prävention unter anderem die Videoüberwachung ausbauen und mehr Sicherheitskräfte einsetzen will, appellieren Riehle und Fojkar auch für mehr Zivilcourage.
Für Fojkar wirbt indes Belser. Ihr Herzblatt, sagt sie lachend, habe eine Brille und sei von „grüner, stattlicher Natur“. Fojkar „ist kompetent und trägt sein offenes Herz auf der Zunge“, sagt Belser. „Besser kann ein Oberbürgermeister nicht sein.“
Beim Klassiker „1, 2 oder 3“ muss das Sextett entscheiden, wofür es Investitionen aus einem fiktiven Geldtopf tätigt: Umwelt und Klimaschutz, Sicherheit oder Kultur und Freizeit? Die Kandidatinnen und Kandidaten hüpfen (zumindest sollten sie das - es ist ein beschwingtes Gehen) zwischen den Alternativen. Während sich Fojkar („es gibt nichts Dringenderes“), Specht und Frey für Klimaschutz entscheiden, stehen Belser, Riehle und Krone bei der Kultur. Das diskutierte Thema Sicherheit bleibt unbesetzt. „Wir müssen ja priorisieren - da ist nichts wichtiger als der Klimaschutz“, erklärt Frey.
Diskussion über Letzte Generation
Der wirbt übrigens für Riehle. Am Alter, wo Frey arbeitet, zeige sich, „dass Sport und Kultur die beste Integration, egal für welche Menschen, sind“. Um junge Menschen zusammenzubringen, müsse die Kultur auf jeden Fall ausgebaut werden. „Dafür ist Thorsten Riehle der Richtige.“
Vergleichsweise kontrovers diskutieren die Kandidaten und Kandidatinnen Aktionen der „Letzten Generation“. Krone, denen die Jugendlichen ein Sympathiebekenntnis für die Linke und Gregor Gysi entlocken, solidarisiert sich mit den „super Aktionen“ der umstrittenen „Letzten Generation“, die Aufmerksamkeit schafften. Man müsse zwar andere Formen als Blockaden und Attacken gegen Kunst finden - im Moment gebe es die aber nicht. „Aus Solidarität würde ich mich auch ankleben, finde es aber besser, andere Formen zu testen.“ Die Gesellschaft müsse wach werden. „Wenn Menschen anders nicht gehört werden, geht es anscheinend nicht anders.“ Riehle widerspricht. „Kunstwerke zu beschädigen und den Verkehr auch für Notfälle zu behindern, ist ein No-Go.“
Fojkar darf für Krone werben. Die bringe einen „erfrischenden Blick von außen auf Mannheim mit, weil sie zugezogen ist“ und schaffe es, Probleme über Themen hinweg zu sehen und zu lösen. „Tanja Krone hat einen Riecher, wie Dinge und Lösungen entstehen können.“
Es ist ein kurzweiliger Vormittag, den die Jugendlichen im immer wärmer werden Zirkuszelt organisieren und erleben. Am Sonntag können sie nun selbst Verantwortung übernehmen. So steht es auch auf einem der von Schülerinnen und Schüler der Carl-Benz-Schule unter der Leitung von Lehrer Martin Keller gestalteten Plakate: „Bier trinken, Disco gehen, OB wählen - alles ab 16.“ Das sollte man als Auftrag verstehen.
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