Mannheim

Fünf Tage „Schattenmann“ des Oberbürgermeisters

In fünf Wochen wählt Mannheim ein neues Stadtoberhaupt. Was aber ist alles mit dieser Aufgabe verbunden? Um das zu verstehen, hat uns Peter Kurz einen ungewöhnlichen Einblick gewährt: Wir begleiteten ihn fünf Tage lang

Von 
Martin Geiger
Lesedauer: 
Nach 16 Jahren im Amt wird Oberbürgermeister Peter Kurz Anfang August seinen Schreibtisch im Rathausin E 5 räumen. © Martin Geiger

Mannheim. Kurz vor dem Ende, an einem schattigen Tisch im Restaurant Apero auf dem Spinelli-Gelände der Buga, dreht der Oberbürgermeister den Spieß um. „Mal eine Gegenfrage“, sagt er mit Blick auf sein Amt: „Würden Sie es machen wollen?“

Es ist der vorletzte Tag einer ungewöhnlichen Arbeitswoche. Fünf Tage begleite ich Peter Kurz, um herauszufinden, wie sein Alltag aussieht. Als „Schattenmann“ des OBs, wie seine Mitarbeiter mich taufen.  

Dienstag, 2. Mai

Dienstbeginn: 8 Uhr; Dienstende: nach 23 Uhr; Termine: 7

Der Oberbürgermeister wird langsam nervös. Eigentlich wirkt Peter Kurz die ganze Woche über gelöst, offen, zugänglich. So gar nicht wie das öffentliche Bild, das von ihm kursiert. Doch nun sitzt er gegen 13.30 Uhr an einem Tisch im Innenhof des neuen Technischen Rathauses am Hauptbahnhof und schaut praktisch minütlich auf sein Handy. Noch immer keine Nachricht aus Stuttgart. Dabei will die Landesregierung heute doch über den Zuschuss fürs Klinikum entscheiden. Es geht um fast 60 Millionen Euro – und um die Zukunft des bislang kommunalen Krankenhauses. Dessen Aufsichtsratsvorsitzender hat aber immer noch nichts aus Stuttgart gehört. Ist nach rund drei Jahren Verhandlungen auf den letzten Millimetern doch etwas schief gegangen?

Sein Tag hat um 7 Uhr begonnen. Ein paar Mails beantworten, ab ins Rathaus, telefonieren, zur wöchentlichen Dezernentenkonferenz, dann der Lenkungskreis Masterplan Mobilität. Nun hat er fünf Minuten Zeit, ehe es ins Marchivum geht, wo der erweitere Führungskreis der Stadtverwaltung auf ihn wartet. Da endlich kommt die erlösende Nachricht aus Stuttgart. Puh.

Wichtigstes Arbeitsmittel: Das Smartphone ist Segen und Fluch zugleich. Für den OB ist es „fast schon ein Körperteil“. © Mertin Geiger

Ab ins Auto. Dort checkt der OB erneut seine Mails. Schon bis zum Lenkungskreis hatte er gegenüber dem Morgen 25 neue erhalten – obwohl nur ein ausgewählter Kreis seine Adresse hat. 23 hat er bereits beantwortet. Die meisten stumm. Manche kommentiert er auf der Fahrt zum Marchivum mit einem „Tsss“, „Hmmh“ oder „Manchmal glaubt man es doch nicht . . .“ Ab und an diktiert er auch Nachrichten in sein Handy wie diese: „Das ist völlig unproduktiv.“

Das Smartphone ist längst sein wichtigstes Arbeitsmittel. Es ist Segen und Fluch zugleich. „Ich käme ohne das nicht klar“, sagt er. Aber es hat die Schlagzahl auch rapide erhöht: „Die Erwartungshaltung ist, überall erreichbar zu sein – und zumindest innerhalb von einer halben Stunde antwortfähig.“

Ein voller Akku reicht ihm nicht für den Tag. Bei jeder Fahrt wird nachgeladen. Sein Handy ist, sagt er, „fast schon ein Körperteil“.

Die legendäre Postkiste: Was der OB tagsüber nicht schafft, nimmt er abends mit nach Hause – und bringt es morgens erledigt wieder mit. © Martin Geiger

Nach dem Treffen mit den Führungskräften der Verwaltung ist der OB zurück im Rathaus. 18 Minuten früher als geplant. Er setzt sich an seinen Schreibtisch und blättert die Dokumentenmappen durch. Zehn bis 15 sind es. Mal liegt ein Vorgang darin, mal fünf. Was er tagsüber nicht schafft, nimmt er mit nach Hause. In einer gelben Postkiste, die Kultstatus hat. „Was noch nie geklappt hat“, erzählt er, „ist zu sagen: Das schaue ich mir morgen genau an.“ Kurz gilt als Aktenfresser. Selbst seine politischen Gegner bescheinigen ihm, dass er „immer exzellent vorbereitet“ ist.

Gleich beginnt die interne Besprechung zur MVV, eine von sieben Gesellschaften, deren Aufsichtsratsvorsitzender der OB ist. Dann folgen drei Empfänge: bei der Ahmadiyya-Gemeinde, die ihr 100-jähriges Bestehen feiert; auf dem Maimarkt, wohin die Landesregierung eingeladen hat; und beim Fashion Council, der seit Kurzem ein Büro in der Stadt hat. Stets erfüllt Essensduft den Raum. Stets muss der OB weg, ehe es etwas gibt.

Typische Mahlzeit: Fürs Essen bleibt meist zu wenig Zeit. „Gesundheitsfördernd ist das Amt sicherlich nicht“, scherzt Peter Kurz. © Martin Geiger

Erst beim letzten Empfang gegen 22 Uhr gelingt die Nahrungsaufnahme. Das sei ein Phänomen, das alle Kollegen kennen, scherzt Kurz: Die typische Handbewegung eines Amtsträgers sei der nächtliche Griff zur Kühlschranktür. Er kommentiert es trocken: „Gesundheitsfördernd ist das Amt sicherlich nicht.“

Mittags war es nicht viel besser. Zwei mit Wurst belegte Brötchenhälften während des Lenkungskreises, das war’s. Für ihn ein Fortschritt, sagt er: „Es hat sich unter dem Druck meines Teams leicht verbessert.“

Mittwoch, 3. Mai

Dienstbeginn: 8:30 Uhr; Dienstende: 22:30 Uhr; Termine: 4

Auf dem Experimentierfeld des Spinelli-Geländes der Buga wird gegen 15.30 Uhr Politik gemacht. Der OB nutzt den Besuch des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann, um ihm nicht nur offiziell für den Millionen-Zuschuss zum neuen Radweg Richtung Weinheim zu danken und für die Bilder zu posieren, die in den Zeitungen landen. Sondern auch, um ihm zu sagen, was ihn wirklich beschäftigt: Der rechtliche Rahmen schränke die Freiheit der Kommunen für Verkehrsentlastungen zu sehr ein. Habe sich beim Verkehrsversuch gezeigt. Zudem findet der OB es absurd, dass die Stadt ein Teilstück des neuen Radwegs um 50 Zentimeter erhöhen musste, um darunter Durchgänge für Eidechsen zu schaffen. Auf rund 400 Metern Länge 50 Zentimeter hoher, zusätzlicher Beton für den Artenschutz, diese Rechnung geht für den OB ökologisch nicht auf. Ironisch merkt er an: „Man muss schon gut zielen, um eine Eidechse mit dem Rad zu erwischen.“ Das erklärt er nun dem Minister. Ob es etwas bringt? Weiß man nicht. Aber der OB hat das Problem „adressiert“, wie er es nennt.

Jede Minute nutzen: Zwischen 50 und 70 Mails bearbeitet der OB am Tag – obwohl nur ein ausgewählter Kreis seine Adresse hat. © Martin Geiger

Begonnen hat der Tag im Homeoffice. Aktenarbeit. Danach kommt der OB um kurz vor 10 Uhr zum Maimarkt geradelt. Zum Empfang für die Bürgermeister der Region. Ein „Zeichen der Wertschätzung“ nennt er es. Er wird dafür büßen. Nach Dienstende „schrubbt“ er zu Hause noch zwei haarige Vorgänge weg. Seine Mitarbeiter bekommen die letzte Mail von ihm um 0.39 Uhr.

Zurück zum Ministerrundgang auf der Buga. Beim Schlangestehen an der Seilbahn spricht ein Mann den OB an: Wieso denn die Sanierung der Multihalle im Herzogenriedpark 30 Millionen Euro koste? Die könne man doch viel besser investieren. Keine zehn Minuten später kommt beim Gang durch den Luisenpark der Nächste an: „Das habt ihr aber toll gemacht! Ich hatte gerade Tränen in den Augen, weil unser Mannheim wieder so schön ist!“ Im Laufe der Woche wird der OB sechs, sieben Mal angesprochen. Eine Frau will sogar eine Erinnerungsfoto mit ihm machen. Das sei normal, wenn er „im Feld“ ist, sagt Kurz. Aber allzu oft komme das ja nicht vor.

Auch das gibt es: Bürger wollen eine Erinnerung an ihren OB. © Martin Geiger

Während der Seilbahnfahrt ist auch sein Einfluss sichtbar geworden. Als das Gespräch auf die Fahrradabstellplätze rund ums Gelände kommt, merkt der OB an, dass die am Nordeingang nur schwer zu erkennen sind. Sein Rad sei am Sonntag das einzige gewesen. Noch in der Gondel zückt der Buga-Chef das Handy und schreibt eine Nachricht: „Kann sich jemand am Nordeingang mal bitte die Beschilderung der Fahrradstellplätze anschauen?“

Im Vergleich zu dem, was jetzt kommt, ist das jedoch Mumpitz. Um 16 Uhr fährt der OB nach Friedrichsfeld, wo in der Lilli-Gräber-Halle 100 Geflüchtete aus aller Herren Länder auf die Bewilligung ihrer Asylanträge warten. Monatelang.

Mehr zum Thema

Oberbürgermeister

Mannheimer OB-Wahl: Alle wichtigen Informationen auf einen Blick

Veröffentlicht
Von
Till Börner und Esther Lehnardt
Mehr erfahren
Kommunalpolitik

OB-Wahl: Bis Ende Mai kommen die Benachrichtigungen

Veröffentlicht
Von
red
Mehr erfahren
Frist läuft am 22. Mai ab

Jetzt schon neun Bewerbungen für Mannheimer Oberbürgermeister-Wahl

Veröffentlicht
Von
Steffen Mack
Mehr erfahren

Der OB wollte diese Art der Unterbringungen nicht. Das Land hat ihn dazu gedrängt. Von dort ist jetzt aber keiner da. Jetzt steht er in einer der notdürftig mit Stellwänden abgetrennten Kabinen, in die gerade mal vier Pritschen und vier Spinde passen. Matratzen sind verboten. Der Brandschutz. Der OB schaut in die Gerätegarage, die zum einzigen „Aufenthaltsraum“ umfunktioniert wurde. Und er kann nichts anderes machen, als den Bewohnern zu versprechen, dass das Essen etwas besser wird und er alles daran setze, dass sie doch noch WLAN bekommen. Der mächtigste Mann der Stadt ist hier recht machtlos.

Donnerstag, 4. Mai

Dienstbeginn: 8:35 Uhr; Dienstende: 19:31 Uhr; Termine: 5

Die Beziehung zur Öffentlichkeit ist schizophren. Das wird um 9 Uhr auf dem schwarzen Ledersofa im Büro des OBs deutlich. Einerseits ist sie sein Arbeitgeber. Andererseits ist sie eine Diva. „Potenziell ist jeder Vorgang kritisch“, sagt Kurz. Jeden Donnerstagmorgen tariert er mit seinen beiden Presseleuten seine Beziehung zur Öffentlichkeit neu aus. Eigentlich geht es um die Termine der kommenden Woche. Ein bisschen aber auch um die der vergangenen: Über diesen Termin hat wieder keiner berichtet. Und wie ist eigentlich jener zustande gekommen?

Jetzt für MM+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag



Für MM+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Mannheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.

Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar

Sie haben noch kein MM+ Abo? Dann sichern Sie sich den MM+ Kennenlernmonat  

Benin ist in dieser Woche ein großes Thema. Gar nicht unbedingt für die Presse, aber für den OB. Drei, vier Mal fragt er im Laufe der Tage nach, ob es Berichte darüber gab. Vergangene Woche hat die Polizei bei einem SEK-Einsatz angeblich vier schwarze Jugendliche aus dem westafrikanischen Staat, die mit einem Austausch-Programm nach Mannheim gekommen sind, unwürdig behandelt. Von außen kann man das Geschehen nicht fair beurteilen. Aber die Studenten sind geschockt. Und es steht der Verdacht des Racial Profilings im Raum. Also dass die Einsatzkräfte die schwarzen Studenten anders behandelt haben als weiße Kommilitonen.

Der OB hat sie deshalb gleich am nächsten Tag ins Rathaus eingeladen und sich bei ihnen für das Erlebnis entschuldigt. Er hatte sie vorher schon kennengelernt und ist betroffen. Er kann nichts für den Polizeieinsatz. Aber er muss die Folgen ausbaden. Nach der ganzen Geschichte um das Awo-Ballett befürchtet er nicht nur, dass Mannheim schon wieder bundesweit negativ in den Schlagzeilen landet. Er findet solche „aufgeheizten Debatten“ in den Medien auch „kontraproduktiv“. Deshalb versucht er die Wogen zu glätten, ehe sie hochschlagen. Auch das gehört zum Job.

„Die Öffentlichkeit wartet nicht“, sagt der OB. Für seinen Pressechef ist er Tag und Nacht erreichbar. Über die Handys läuft eine Art Dauerchat. Er sagt auch: „Die Öffentlichkeit erwartet Perfektion.“ Und jeder weiß: Perfektion gibt es nicht.

Nach 30 Minuten ist die Woche durchgeplant. Und 30 Minuten sind hier 30 Minuten, mal auch 28. Was der OB von Unpünktlichkeit hält, lässt sich im Laufe dieser Woche nicht klären. Es gibt nämlich keine.

Jeden Donnerstagmorgen trifft sich der OB mit den Personen, die für seine Medienkommunikation verantwortlich sind: Ralf Walther, dem Chef des städtischen Medienteams, und Monika Enzenbach, seiner persönlichen Sprecherin. © Martin Geiger

Danach wieder ins Marchivum, wieder geht es um die Verwaltung, eines seiner Lieblingsthemen. Die Führung der knapp 8700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt neben der Repräsentation und dem Vorsitz im Gemeinderat zu seinen Kernaufgaben.

Wie ernst er das nimmt, zeigt der Dialog mit den Betriebsräten, die hier Personalräte heißen: 18 von 19 loben die Führungskultur, die mit ihm eingezogen ist. Auch seine Lieblingsworte sind vielsagend: Immer wieder spricht er von „Steuerung“ und „Prozessen“. Am schönsten drückt das ein Zitat aus über das Instrument, das jedem Vorgang seinen offiziellen Weg durch die Ämter weist: „Der Stempel ist das A und O.“

Die Verwaltung beim Arbeiten: Der OB ist Chef von knapp 8700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hier der Lenkungskreis Masterplan Mobilität. © Martin Geiger

Der Umbau der Stadtverwaltung unter dem Titel Change war das große Projekt seiner ersten Amtszeit. Damals dachte er: „Jetzt ist das Klavier gestimmt, und der Nächste kann einfach darauf spielen.“ Mittlerweile ist er zu der Erkenntnis gekommen: „Das Klavier muss laufend nachgestimmt werden.“

Der Fahrer wartet um 11.30 Uhr schon vor dem Marchivum, Handy einstöpseln, Mails checken, ab ins Büro, zu den Mappen. Danach Vorbereitung auf den Gemeinderat. Zwei Ausschüsse stehen an: der für Konversion und der Hauptausschuss.

Vorsitzender des Gemeinderats: Neben der Repräsentation und der Führung der Stadtverwaltung die dritte zentrale Aufgabe. © Martin Geiger

Die Beziehung zum Gemeinderat ist ähnlich komplex wie die zur Öffentlichkeit. Formell haben die gewählten Stadträtinnen und Stadträte das Sagen. In der Realität, erklären Verwaltungswissenschaftler, hat der Oberbürgermeister „die Hosen an“. Weil er der Einzige sei, der an der Vorbereitung von Entscheidungen, an diesen selbst und bei deren Umsetzung mitwirkt – wesentlich.

Zudem ist er der Profi, der über einen gewaltigen Stab verfügt, während die Räte ehrenamtlich tätig sind. Das lässt sich auch im Stadthaus beobachten: Während im Konversionsausschuss von den meisten Fraktionen ein oder zwei Vertreter sitzen, sind neben dem OB vier seiner engsten Mitarbeiter da. Er erweitert mal eben die Tagesordnung und stellt zwischendurch manches klar: „Das ist absurd. Ich kann nur an Sie appellieren, nicht in dieses Horn zu blasen.“ Thema erledigt.

Die öffentliche Sitzung verläuft ruhig, doch danach geht es im nicht-öffentlichen Teil zur Sache. „Puh, jetzt bin ich aber auch durch“, sagt der OB hinterher. Nach Dienstschluss wird er noch mal mit seinem Pressechef telefonieren. Wie gesagt: „Die Öffentlichkeit wartet nicht.“

Freitag, 5. Mai

Dienstbeginn: 8:40 Uhr; Dienstende: 22:23 Uhr; Termine: 7

Bundestag? EU-Parlament? Nein: Stadthaus. © Martin Geiger

Im Stadthaus hängen bunte Fahnen. Mannheims Partnerstädte sind zu Gast, um sich über Klimaschutz auszutauschen – und die Freundschaft zu feiern. Die Konferenz dauert mehr als sechs Stunden, der OB ist in der ersten mit dabei. Davor und danach stehen Telefonate an. Das Klinikum.

Um 11:30 Uhr ab auf die Buga, erst eine Eröffnung am Stand der Stadt, dann ein Interview, dann eine Delegation aus Kiel, die sich über die Konversion informieren will. Dort steht ebenfalls eine an.

Nebenher kümmert sich der OB um Details. Als er Reifenabdrücke auf einem Buga-Weg sieht, fragt er: „Wer ist denn jetzt hier schon wieder durchgefahren?“ Beim Gang zur Toilette sagt er scherzhaft zu einer Frau, die ihn anspricht: „Wir testen mal!“ Es ist lustig gemeint, hat aber durchaus einen Hintergrund, wie er gleich erklären wird: „Wenn mich etwas gestört hätte . . .“ Klo und Konzept, beides gehört zum Amt.

Konversionsflächen gibt es nicht nur in Mannheim und der Rhein-Neckar-Region: Auch Kiel hat eine Konversionsfläche, direkt am Meer - und überlegt zurzeit, wie es damit umgeht. Darum ist eine Delegation um Oberbürgermeister Ulf Kämpfer nach Mannheim zum Erfahrungsaustausch gekommen. © Martin Geiger

War aber nix, und so kann er sich ganz auf Kiel konzentrieren. In einem Hinterzimmer wird Kaffee und Kuchen gereicht, als Hauptspeise gibt es schonungslose Einblicke und wertvolle Tipps: Woher habt ihr Zuschüsse bekommen? Wie seid ihr mit der Opposition umgegangen? Wie habt ihr die Dezernate eingebunden? Was waren die Knackpunkte?

Zwei Stunden lang lassen der OB und sein früherer Konversionsbeauftragter politisch die Hosen herunter. „Unter Oberbürgermeistern gibt es eigentlich keine Konkurrenz“, sagt Kurz. Sogar unabhängig vom Parteibuch. Indirekt begleicht er damit eine alte Rechnung: Etwa ein Jahrzehnt zuvor gab es ähnliche Gespräche, etwa in Dortmund. Damals hat er die Fragen gestellt.

Lokales

OB Peter Kurz empfängt im Fernmeldeturm

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

Das Treffen zieht sich, es reicht gerade noch für ein frisches Hemd, dann werden am Fernmeldeturm wieder Hände geschüttelt. Empfang für die Partnerstädte. Sekt, Goldenes Buch, Geschenke, Fotos, Essen. Es menschelt. Das ist der eigentliche Wert solcher Partnerschaften. Hier treffen nicht Städte aufeinander, sondern Menschen, die manche Sorge teilen.

An einigen Tischen dominiert Small-Talk. Aber der OB kehrt nach gut zwei Stunden mit neuen Einblicken über die Probleme chinesischer Kommunen beim Klimaschutz zurück. Er wirkt immer noch locker und aufnahmefähig. „Pflicht und Neigung kommen hier zusammen“, sagt er. Irgendwie muss er Kraft aus dem Amt ziehen, anders ist das nicht zu erklären. Anders kann man ihm vermutlich auch nicht gerecht werden.

Samstag, 6. Mai

Dienstbeginn: 10:21 Uhr; Dienstende: 18:06 Uhr; Termine: 4

Die Blase trifft sich im Luisenpark. Gefühlt begegnet man immer den Gleichen: Dezernenten, Stadträtinnen und -räte, Verwaltungsspitzen, honorige Bürger. Mittendrin der OB. Nur die Anlässe wechseln. Nun also die Eröffnung des Gartens der Partnerstädte gegenüber der Seebühne.

Privat ist man als OB in der eigenen Stadt nicht mehr, erzählt Kurz. Darum fährt er in den etwa zwei Tagen, die er sich im Monat an den Wochenenden freinimmt, lieber woanders hin. Nicht unbedingt wegen ihm, sagt er. Der Familie zuliebe.

Die Oberbürgermeisterwahl

  • Da im ersten Wahlgang bei der OB-Wahl in Mannheim am 18. Juni niemand die absolute Mehrheit geholt hat, kommt es jetzt zum zweiten Durchgang
  • Alle Informationen für Wählerinnen und Wähler gibt es hier
  • Die Amtszeit des neu gewählten Stadtoberhauptes dauert acht Jahre.
  • Die Amtszeit des derzeitigen Oberbürgermeisters Peter Kurz endet am 3. August. Der Amtsinhaber verzichtete auf eine erneute Kandidatur.
  • Was machen Gemeindrat, Oberbürgermeister und wie werden die Wahlen organisiert? Weitere Informationen dazu gibt es hier 

Luisenpark, Spinelli, Luisenpark, Spinelli steht heute auf dem Programm. Nach dem Garten der Partnerstädte ein Mittagessen, dann ein Vertrag über eine vertiefte Zusammenarbeit mit Zhenjiang, dann die nächste Delegation auf der Buga. Dieses Mal aus Wuppertal, das 2031 dran ist. Morgen wird es ähnlich weitergehen. Kranzniederlegung, Pressekonferenz, Jubiläumsfeier. Seit 16 Jahren macht Kurz das so. Bis Anfang August. Dann ist Schluss.

Hat es sich gelohnt? Er muss nicht lange überlegen. „Bei vielen Projekte weiß ich: Ohne mich wäre es so nicht geworden.“ Hinter ihm ist das Buga-Gelände zu sehen samt der neuen Skyline von Käfertal. Das ist eines davon. Mannheims Qualitäten weiterzuentwickeln und sichtbarer zu machen, sei stets sein Anliegen gewesen. „Dazu konnte man etwas beitragen. Das ist sehr befriedigend.“ Also: „Die Gesamtbilanz stimmt.“

Nachtrag

Eines hat der Oberbürgermeister im Laufe dieser fünf Tage immer mal wieder, fast schon entschuldigend, fallenlassen: „Es ist eine relativ entspannte Woche.“

Seine Ämter werden monatlich mit 15 763,20 Euro vergütet. Rechnet man seine Arbeitszeit in dieser Woche dagegen, kommt man ganz grob auf einen Stundenlohn von etwa 53 Euro. „Unterbezahlt“, lautet die Einschätzung der Wissenschaft dazu. MVV-Chef Georg Müller hat im vorvergangenen Jahr übrigens 88 250 Euro pro Monat verdient.

Reporter Martin Geiger mit OB Peter Kurz. Zum Ende fragt der OB den MM-Reporter: „Würden Sie es machen wollen?“ © Martin Geiger

Etwas anderes wurmt den OB jedoch viel mehr. „Was einen schlicht ärgert, ist die Geringschätzung“, sagt er. „Diese Grundhaltung: Das sind alles Idioten! Das regt mich regelmäßig auf.“ In den vergangenen 20 Jahren habe das deutlich zugenommen. Früher sei eine allgemein abwertende Äußerung die Ausnahme gewesen. „Heute ist es Standard.“

So wird es niemanden wundern, was ich ihm am Freitag im Apero auf Spinelli geantwortet habe, als er fragte: „Würden Sie es machen wollen?“

„Nein, auf gar keinen Fall!“

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

Thema : OB-Wahl 2023 in Mannheim

  • Verwaltungsgericht Klage gegen Mannheimer OB-Wahl: Verhandlung schon im Oktober?

    Ende vergangener Woche wurden eine Klage und ein Eilantrag gegen das Ergebnis der Mannheimer OB-Wahl eingereicht - die könnten schon bald verhandelt werden. Das Verwaltungsgericht beabsichtigt einen Termin im Oktober

    Mehr erfahren
  • Verwaltungsgericht Klage und Eilantrag gegen die Mannheimer OB-Wahl

    Am Verwaltungsgericht Karlsruhe sind am Freitag eine Klage und Eilantrag gegen das Ergebnis der Mannheimer Oberbürgermeisterwahl eingegangen. Das sind die Hintergründe und die Folgen

    Mehr erfahren
  • Kommunalpolitik Thorsten Riehle im Interview: „Christian Specht ist es, der Mehrheiten finden muss“

    Vor vier Wochen hat SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle OB-Wahl verloren. In seinem ersten Interview danach spricht er über die Aufarbeitung der Niederlage - und die Frage, ob er Dezernent werden will

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen