Religion (mit Video und Fotostrecke)

100 Jahre Ahmadiyya: Wer die Ahmadis sind und wie sie Mannheim mitgestalten

Seit 100 Jahren gibt es die Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland. Wer die Ahmadis sind, was die muslimische Bewegung aus Pakistan ausmacht und wie sich die gläubigen Frauen und Männer seit mehr als 30 Jahren in Mannheim einbringen

Von 
Lisa Uhlmann
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MGebetsraum für die Männer in der Ehsan-Moschee der Ahmadiyya Gemeinde. © Ahmadiyya Mannheim

Offen für alle – das ist nicht nur das Gotteshaus, die Ehsan-Moschee in Neckarau-Casterfeld. Sondern auch die Ahmadiyya-Gemeinde selbst. Wie offen, zeigt sich beim Besuch zum Freitagsgebet: Mit schüchternem Lächeln und strahlenden Augen begrüßt die Vorsitzende der Frauen, Wajiha Bhatti, die Reporterin – und lädt ein in den Gebetsraum für die Frauen im Untergeschoss. Dort bringen sich Großmütter, Mütter mit Babys, Studentinnen und Mädchen in die Position fürs Gebet Richtung Mekka. Sie alle tragen Kopftuch, lange, verzierte Gewänder – und sprechen gerne über Wissen, Lernen und den Glauben im Alltag. „Wir veranstalten regelmäßig Wissenswettbewerbe, schreiben Reden, Gedichte oder rezitieren den Koran mit Übersetzung. Unser Motto: keine Nation kann Fortschritte machen, ohne ihren Frauen zu bilden“, sagt Bhatti, die demokratisch für zwei Jahre von den 400 Frauen als Vorsitzende gewählt ist.

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Zwar wird nach wenigen Minuten im Gebetshaus deutlich, dass hier Frauen und Männern bewusst getrennt bleiben. Dabei ist das nur ein kleiner Aspekt, ist die Ahmadiyya-Gemeinde viel mehr als strikte Geschlechtertrennung eines sunnitisch ausgerichteten Islams. Seit 100 Jahren gibt es die Bewegung in Deutschland, haben die Ahmadis über Jahrzehnte das muslimische Leben mitrepräsentiert. Selbst die älteste Moschee Deutschlands, in den 1920ern in Berlin errichtet, stammt von der Ahmadiyya, finanziert von ihren weiblichen Mitgliedern. Allerdings werden die Ahmadis wegen ihres Glaubens in der restlichen islamischen Welt nicht als Muslime anerkannt, in ihrem Gründungsland Pakistan seit 1970 verfolgt, diskriminiert oder sogar getötet.

100 Jahre Ahmadiyya

Zu Besuch in der Ehsan-Moschee

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Baum als Geschenk für Stadt

Was also macht diese Gemeinschaft aus und wie haben ihre Anhänger Mannheim verändert, geprägt und mitgestaltet? Beim Freitagsgebet in Neckarau knien gleich drei Generation nebeneinander. Auch Nayla Samina Shazi-König hat ihren kleinen Sohn mitgebracht. Die Ärztin ist quasi ein Mitglied der ersten Stunden, hat sie als Mädchen die Anfänge der Bewegung in Mannheim miterlebt.

Die Ehsan-Moschee in der Innstraße in Neckarau. In der Nachbarschaft betet auch die alevitische Gemeinde. © Troester

„Ich habe mit acht Jahren meine erste Rede vor der Gemeinde gehalten. Meine Mutter und ich waren die ersten von zwölf Familien, die sich hier etabliert hatten“, erinnert sich die 42-Jährige. Geboren 1981 in der pakistanischen Stadt Sialkot flüchtet Shazi-König mit ihrer Mutter nach Mannheim, nachdem ihr Vater von Fundamentalisten ermordet wird. „Integration im Gegensatz zu einer Parallelgesellschaft war immer sehr wichtig und essenziell für die Ahmadis, heute treffen wir uns mit anderen Gemeinden, laden zum Tag der offnen Moschee ein, klären über Gesundheit auf“, sagt die Muslima. Zum ersten Mal bei der Stadt vorgestellt hätten sich die Ahmadis 1989, weiß Integrationsbeauftragter Claus Preißler. Als Geschenk überreichen die Gläubigen der Stadt damals einen Baum, der noch heute im Herzogenriedpark wächst.

Abdullah Wagishauser mit Rosen in der Hand bei der Grundsteinlegung 2008 in der Innstraße. © Rittelmannn

Vom Stadtjugendring über das Mannheimer Bündnis, den Neujahrsputz bis zu Aktionstagen für Demenz mit der Stadt – „die kleine aber sichtbare Glaubensgemeinschaft hat immer sehr gut mit uns zusammengearbeitet, hat sich beispielhaft für die Stadtgesellschaft engagiert“, blickt Preißler zurück. Mittlerweile bringt sich die 3. Generation Ahmadis ein, im Stadtjugendring sitzt einer Doppelspitze aus der jüdischen und der Ahmadiyya-Gemeinde. Denn die jungen Muslime, findet der 33-jährige Jugendleiter Azhar Zaman, sind viel toleranter, stören sich nicht an innerislamischen Differenzen, wie die Zusammenarbeit in der muslimischen Jugendgruppe Jumed der Stadt zeigt.

„Little Pakistan“ im Mühlfeld

Schon im Grundschulalter treten die Kinder in die Ahmadiyya ein, werden später – ähnlich wie in anderen streng religiösen Glaubensrichtungen – jungfräulich verheiratet. Dafür gibt es eine Heiratsvermittlung – per Whatsapp. „So kann man sich kennenlernen, schauen, ob es passt. Beim Treffen sind beide Familien dabei, die heiratet man schließlich mit“, sagt Shazi-König, selbst zweifache Mutter. Auch sie hat sich in der Ehe verliebt, in ihren Mann, eine konvertierten Mediziner.

Ahmadiyya Muslim Jamaat

  • Die islamische Gemeinde „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ ist eine religiöse Gruppierung, die 1889 in Punjab (heute Pakistan) entstand. Ihr Gründer gilt den Ahmadis (im Unterschied zu den Sunniten und Schiiten) als Mahdi, als verheißender Messias. In seiner direkten Nachfolge stehen die Kalifen, die demokratisch gewählt werden. Das jetzige Oberhaupt, Hazrat Mirza Masoor, lebt im Exil in London.
  • Die Ahmadiyya legt Wert auf friedliches Miteinander sowie gute Ausbildung ihrer Mitglieder. Die Bewegung ist streng korangläubig und hierarchisch organisiert. In Deutschland gibt es 50 Moscheen und 225 lokale Gemeinden. Hessen hat die Gemeinde als erste muslimische als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt. Die Ahmadiyya feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum: in Mannheim am 2.Mai in der Kulturhalle in Feudenheim.
  • 1977 wurde die erste Gemeinde in Mannheim gegründet, die heute 800 Mitglieder zählt. Davon 400 Frauen, die Teils in Ludwigshafen leben. 2010 wurde die Ehsan-Moschee als erstes Gebetshaus in der Region eröffnet. Weitere Gemeinden gibt es in Ludwigshafen, Heidelberg, Brühl, Ketsch und Schwetzingen

In Mannheim bekannt sind die Ahmadis übrigens auch für ihre Jahresversammlung Jalsa Salana auf dem Maimarktgelände: Von 1995 bis 2011 kommen dort über 20 000 Anhänger aus allen Teilen der Welt zusammen. „In den Töpfen brodelt und köchelt es. Aus zwei Dutzend riesigem Kübeln steigt ein scharfer Dunst heraus“, beschreibt der „Mannheimer Morgen“ 1995 die Atmosphäre in der Zeltstadt, die der Spiegel als „Little Pakistan“ betitelt. Damals ist ein Großteil Pakistani. „Weil sie in vielen Fragen toleranter sind als ihre Gegner, mussten sie fliehen: „Ahmadiyya“ – das steht seit über 100 Jahren für eine Reformbewegung innerhalb des Islams“, erklärt der Artikel. Im Zentrum steht der Kalif, Oberhaupt der Gemeinde, extra aus dem Exil eingeflogen. Weil das Gelände bald zu klein wird, findet die Großveranstaltung später in Karlsruhe statt.

Treffen und Beten in Mietsräumen statt im Gebetshaus: Lange versammelt sich die Gemeinde in der Innenstadt in D 3. © Ahmadiya

„Das war eine andere Welt, in die man eingetaucht ist, ich wurde immer eingeladen zu den Frauen. Die Ahmadis haben ihr Motto ’Liebe für alle, Hass für keinen’ gelebt. Ihre Toleranz gegenüber allen hat mich immer fasziniert“, erinnert sich Marianne Bade, damalige Stadträtin. Als Vermittlerin setzt sich Bade für den Bau der Moschee ein, ist bei der Grundsteinlegung 2008 der Ehsan-Moschee in Neckarau dabei – Mannheims einziges Gebetshaus mit zwei Minaretten. Viele muslimische Gemeinden bauen in dieser Zeit Moscheen – Proteste inklusive. Auch für die Ahmadis vergehen Jahre, bis sie ihr Gotteshaus eröffnen können, erinnert sich der langjährige Vorsitzende der Männer, Mansoor Ahmed. Damals trifft man sich in Mietsräumen in D 3. Als die Ahmadis auf Standortsuche gehen, sorgt das für Aufsehen.„Wirbel um Moschee-Pläne in der City“, titel der „MM“ 2004. Für Aufregung sorgt die Überlegung der Ahmadis, die zum Verkauf stehende evangelische Trinitatiskirche in G 4 zu erwerben. Das ruft den damaligen Landesbischof auf den Plan, der einen Verkauf an Nichtchristen ablehnt. Am Ende zieht die Ahmadiyya ihr Angebot zurück, um einen Konflikt mit den Christen zu vermeiden. Ähnliches spielt sich zwei Jahre später in Neuostheim ab: Hier formieren sich Anwohner, lehnen Bezirksbeiräte das Bauvorhaben ab.

Diskutieren über den Koran und ihren Glauben: die Jahresversammlung Jalsa Salana auf dem Maimarkt. © Prosswitz

Gelungen ist es trotzdem: 15 Jahre später knien Gläubige auf türkis-leuchtenden Teppichen, ertönt die Predigt von Imam Abdeel Ahmad Shad über Lautsprecher in Urdu und Deutsch. Am Ende folgt eine Durchsage: Weil sich eine Frau in die Privatangelegenheiten einer Familie eingemischt hat, werden ihr vorerst keine Aufgaben mehr zugeteilt – eine Abmahnung. Auf Nachfrage ordnet Shazi-König ein: So etwas passiere manchmal, würden die Gläubigen darauf hin gewiesen, sich an die Regel zu halten. Im schlimmsten Fall können Männer wie Frauen ausgeschlossen werden.

Moschee als offenes Haus für alle

Warum die Predigt in Deutsch und Urdu ist? „Unsere Jugend spricht kaum Urdu. Und damit Gäste verstehen,was gepredigt wird. Auch andere Muslime kommen hierher, um zu beten“ sagt Imam Shad. Der Theologe arbeitet und wohnt seit vier Jahren in der Moschee, erklärt: Man sehe sich nicht als Außenseiter, sondern als sunnitsche Muslime. Alles andere sei Auslegungssache, „manche sind toleranter. Wir sind offen für alle. Hier kann jeder beten, egal ob Jude, Christ oder Muslim.“

Ehrenamtlich engagiert: Mitglied Nayla Samina Shazi-König. © Wazulin

Damit hat sich wohl das erfüllt, was Abdullah Uwe Wagishauser, Vorsitzender der Ahmadiyya Deutschland, bei der Grundsteinlegung einst betont hat. Damals äußert der konvertierte Ahmadi Verständnis für Vorbehalte. Betont aber: „umso wichtiger sei ein offenes Haus wie die Moschee, die niemandem verschlossen bleibe“, zitiert ihn der „MM“ . „Solche Hürden gibt es bei jeder islamischen Gemeinde, einmal wurden Lammköpfe auf unseren Zaun gespießt“, sagt Shazi-König, während sie auf dem Teppich sitzt. Und erklärt mit sanftem Lächeln: „Aber wir sind aktiv auf die Nachbarn zugegangen. Heute ist uns ein freundliches Miteinander gelungen.“

Kalif Hazrat Mirza Masoor bei Einweihung der Ehsan-Moschee 2010. © Ahmadiyya

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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