Senioren oder Menschen, die in Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten: So viele haben während dieser Pandemie schon gekämpft, gelitten - und sicher auch den einen oder anderen schlimmen Kampf verloren. Doch Corona ist noch lange nicht ausgestanden. Und eine Gruppe mitten unter uns bleibt schon viel zu lange unter dem Radar - mit gefährlichen Folgen.
Jugendliche leiden seit über einem Jahr so stark wie noch nie an Depressionen, Angstzuständen, Essstörungen. Bei den 15- bis 18-Jährigen hat die Zahl der Suizidversuche überdurchschnittlich zugenommen. Das Schlimme: Durch die Pandemie, die so viel Leid herbeigeführt hat, sind auch den Menschen die Hände gebunden, die lebensmüden Betroffenen helfen wollen. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) muss die schreckliche Entscheidung treffen, wem zuerst geholfen wird. Für alle ist nicht genug Platz.
Auf dem Weg zum Erwachsenwerden brauchen junge Menschen Kontakte, um ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Sie müssen positive und negative Erfahrungen sammeln im Umgang mit Menschen. All das ist bei Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen unmöglich. Schulsozialarbeiter, von denen es ohnehin zu wenige gibt, können Jugendliche, die zurzeit im Sturzflug sind, nicht auffangen. Jugendämter waren während des ersten Lockdowns nicht systemrelevant und deshalb nicht erreichbar - zwei wertvolle Stationen, die zu lange weggefallen sind. Einrichtungen wie das ZI sind nicht nur letzte Instanzen, sondern hoffnungslos überfüllt.
Die Bildung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind unsere Zukunft. Auf sie sollten wir ein besonderes Augenmerk haben. Nicht nur Virologen hätten von Anfang an als Berater in der Politik eingesetzt werden müssen, sondern auch Experten, die das in allen Fragen zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung tun. Und es wäre wichtig, das Thema psychische Gesundheit schnellstmöglich in den Schulunterricht zu integrieren.
Aufholpaket kommt zu spät
Für den schulischen, sozialen und psychischen Bereich müssen unbedingt finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Das Aufhol-Paket der Bundesregierung für Kinder und Jugendliche ist dabei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und kommt obendrein viel zu spät. Die angekündigten zwei Milliarden Euro sollen in Nachhilfeunterricht und Freizeitangebote fließen - pro Kind sind das 150 Euro, die nicht mal die gröbsten Probleme beseitigen können. Auch die Stadt ist gefordert, finanziell mit anzupacken: für Schulsozialarbeit an jeder einzelnen Schule, für Projekte in Vereinen oder in Jugendtreffs. Die Stärkung von Kindern und Jugendlichen darf und muss etwas kosten! Nachholbedarf gibt es auch beim Impfen: Hier stehen Kinder und Jugendliche an letzter Stelle. Und können von den neuen Lockerungen für Geimpfte größtenteils nicht profitieren. Auch im Herbst werden noch lange nicht alle den Piks haben, deshalb müssen schnellstmöglich Lösungen her, um dann nicht noch immer Wechselunterricht anbieten zu müssen.
Es gibt ein riesiges Dunkelfeld von Jugendlichen mit enormen Problemen, und es ist völlig unklar, wie sie die Pandemie tatsächlich verkraften. Viele Auswirkungen werden sich erst in Zukunft zeigen. Wir sehen zurzeit nur die Spitze des Eisbergs.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Warum wir uns schnellstmöglich um die Jugend kümmern müssen
Eva Baumgartner zu Jugendlichen in der Pandemie