Mannheim. „Man merkt die Verunsicherung, ja Verängstigung“, spürt Specht. Eigentlich will er an diesem Samstag gemeinsam mit dem Jugendorchester der Europäischen Union (European Union Youth Orchestra, EUYO) das am Abend im Rosengarten gastiert, in der Innenstadt für eine hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl werben. Aber das sagt er ab, ist stattdessen in ständigem Kontakt mit der Polizei und entscheidet sich, auf dem Marktplatz Präsenz zu zeigen.
Nach der Messerattacke auf Mannheimer Marktplatz: OB Specht will "da sein zum Gespräch"
Hier haben Bürger Blumen niedergelegt. Es sind einzelne Rosen, aber auch ganze Sträuße, dazu Grablichter. „Gegen den Terror, Beileid für die Opfer“ heißt es auf einem Schild, das von zwei Kerzen flankiert ist. „Wann hört der Hass endlich auf?“, fragt jemand auf einem Zettel neben den Blumen. Ein einzelner Demonstrant hält ein Schild gegen Islamismus hoch, er wird aber eher wenig beachtet.

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Die meiste Zeit regnet es, als Specht zwischen den Ständen herumläuft, mal da Hände schüttelt, mal dort angesprochen wird. Er spürt viel Fassungslosigkeit. Einige der Menschen flüstern, während sie mit dem Stadtoberhaupt sprechen, wenden sich von den vielen Medienvertretern, die auch auf dem Marktplatz sind, bewusst ab. „Ich möchte einfach Flagge zeigen und da sein zum Gespräch“, sagt Specht. Karla Spagerer lobt das. „Schlimm, diese Verrohung, diese wachsende Aggressivität“, so die 94-jährige Witwe von Bloomaul Walter Spagerer, die sich für die SPD engagiert und als Kind noch den Terror der Nationalsozialisten miterlebt hat. Sie fürchtet, dass die Messerattacke bei der Europa- und Kommunalwahl in einer Woche den rechten Kräften in die Hände spielt.
„Es war ganz schlimm, sehr, sehr schlimm“, spricht ein Mann Specht an, der die Messerattacke miterlebt hat. Es ist Fathulla Erkan vom Restaurant Meydan direkt am Marktplatz. Als Muslim, wie er ausdrücklich betont, verurteile er die Tat. „So jemand vertritt den Islam nicht, denn im Koran steht auch: Du sollst nicht töten!“, betont er. Der Marktplatz sei das multikulturelle Zentrum der Stadt. „Kirche, Synagoge, Moschee – alles ist hier in der Nähe, hier leben alle in Frieden zusammen, und dann passiert so etwas“, sagt er, noch ganz betroffen von der Gewalttat, zum Oberbürgermeister. Er versteht aber auch nicht, warum an einer solchen prominenten Stelle die Stadt der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa, die der Messerstecher attackiert hatte, eine Kundgebung genehmige.
„Was da passiert, macht den Menschen Angst“ - Reaktionen auf den Messerangriff in Mannheim
Specht verweist auf das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit, weshalb die Stadt gar nichts verbieten könne. Die gleiche Antwort muss er gleich darauf Wolfgang Ockert geben, seit 2014 bis vor wenigen Wochen Vorsitzender des Mannheimer Bürger- und Gewerbevereins Östliche Innenstadt. Auch er hat die Aufregung nach dem Messerangriff am Freitag direkt mitbekommen. „Ich war gerade Brot holen, dann kam von überall Tatü tata“, schildert er. Bei den Quadrate-Bewohnern gebe es „eine ganz hohe Verunsicherung“. „Was da passiert, macht den Menschen Angst“, so Ockert. Und auch er fordert von Specht, die Zahl der Kundgebungen einzuschränken – und wieder muss der Oberbürgermeister auf die Rechtslage verweisen. „Aber bei aller Würdigung des Demonstrationsrechts – in der aufgeheizten Stimmung muss man doch eine Güterabwägung treffen, das müssen die Gerichte doch einsehen“, meint Ockert, aber Specht macht ihm da keine Hoffnung.
Dankbar über den Besuch des Oberbürgermeisters äußert sich Volker Ziesling, Vorsitzender des Vereins der Markthändler. Natürlich sei der Vorfall das Gesprächsthema bei den Kunden, aber Kaufzurückhaltung spüre er deshalb nicht, sagt Ziesling. Aber er ist froh für die Entscheidung der Stadt, den Markt stattfinden zu lassen. Bis am späten Freitagabend war die Spurensicherung der Polizei noch auf dem Marktplatz tätig „Gut, dass sie es geschafft haben, alles wegzuräumen“, sagt er. „Es war die richtige Entscheidung, den Markt zu machen“, bekräftigt Specht, denn auch eine Absage stand im Raum.
Polizei nach Messerattacke in der Mannheimer Innenstadt stark präsent
Dafür ist aber die Polizei stark präsent, hat überall in der Innenstadt und zeitweise direkt auf dem Marktplatz Mannschaftswagen postiert. Die Beamten haben auch ein Auge auf Wahlkampfstände. So stehen die Frauen Union und die CDU Innenstadt direkt gegenüber vom Marktplatz in R 1. Während die SPD nach dem Messerattentat am Samstag bewusst auf Wahlkampf verzichtet, zeigt die CDU ebenso bewusst Präsenz. „Der Vorfall ist natürlich das Thema bei allen Gesprächen“, berichtet Gemeinderatskandidatin Catherina Field. „Die Bürger haben ganz viel Gesprächsbedarf, die wollen sich austauschen – daher ist gut, dass wir da sind“, sagt Heidrun Back, die Vorsitzende der Frauen Union, zu Specht, als er die Wahlkämpferinnen besucht.
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Dann geht er zurück ins Rathaus, denn Mannheimer Notfallseelsorger sind angefragt, Opfern und Zeugen des Messerattentats, aber auch Polizeibeamten, zusätzlich beizustehen. Zunächst werden alle Verletzten und ihren Angehörigen durch Kräfte des Kriminal- und Einsatzpsychologischen Dienstes des Landeskriminalamtes psychologisch betreut. Zudem ist der Opferbeauftragte der Landesregierung, der pensionierte Leitende Oberstaatsanwalt Alexander Schwarz, eingeschaltet worden.
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