Justiz

Oggersheimer Mordprozess: Freispruch und Unterbringung beantragt

Für die Öffentlichkeit mag es "verstörend" wirken, sagt die Staatsanwältin noch. Dann beantragt sie einen Freispruch für den Mann, der in Oggersheim zwei Menschen getötet haben soll

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Julian Eistetter
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Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Thilo Schwarz am ersten Prozesstag. © Klaus Venus

Ludwigshafen/Frankenthal. Die Worte von Staatsanwältin Esther Bechert machen das ganze Dilemma deutlich. Es sei zweifelsfrei erwiesen, dass Liban M. am 18. Oktober 2022 im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim zwei Menschen ermordet und einen weiteren lebensgefährlich verletzt habe. Er habe heimtückisch gehandelt, indem er mit einem Messer auf die arg- und wehrlosen Opfer eingestochen habe, ohne dass diese einen Angriff hätten kommen sehen. „Planvoll und zweckgemäß“ sei der 26 Jahre alte Somalier dabei vorgegangen, habe die Opfer etwa mit Fragen abgelenkt, um ihre Wehrlosigkeit ausnutzen zu können. All das, so Bechert, ergab die Hauptverhandlung eindeutig. „Und dennoch darf er für die Taten nicht bestraft werden, denn er handelte ohne Schuld“, sagt die Anklagevertreterin in ihrem Plädoyer vor dem Frankenthaler Landgericht am Montag.

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Die Staatsanwaltschaft beantragt am Ende der rund dreimonatigen Hauptverhandlung einen Freispruch für den Angeklagten – und eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Er habe die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen, da er an einer paranoiden Schizophrenie leide, ist Bechert überzeugt. Zu diesem Schluss war in der vergangenen Woche ein psychiatrischer Sachverständiger gekommen (wir berichteten). Er hatte Liban M. Wahnvorstellungen und Verfolgungswahn attestiert.

Eine Blutlache ist auf dem Boden in einem Wohngebiet in Ludwigshafen-Oggersheim am Tatort abgesperrt. © Frank Rumpenhorst

„Die Ausführungen des Sachverständigen waren nachvollziehbar“, sagt Bechert, viele Zeugenaussagen hätten das gestützt. So hatte der Angeklagte mehrfach angegeben, dass er verfolgt werde und ihm ein GPS-Sender unter die Haut transplantiert worden sei. In der Wohnung seiner Ex-Partnerin in Oggersheim habe er Stimmen gehört, die ihn verhöhnten, ihm sagten, dass Nachbarn die Frau und deren Kinder bedrohten, sie sexuell misshandeln wollten. Aus dieser Wahnvorstellung heraus sei M. am 18. Oktober letztlich mit dem Messer bewaffnet nach Oggersheim gefahren, um die „bösen Nachbarn“ zu bestrafen. Diese erkannte er in Sascha Kraft (35), Jonas Sprengart (20) und Marcel Kling (27).

Schwer zu vermitteln

Dass der wahrscheinliche Ausgang dieses Prozesses der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln ist, darüber ist sich auch Esther Bechert im Klaren. „Das Ergebnis mag verstörend wirken“, sagt sie. Denn am Ende bleibe ein Antrag auf Freispruch, weil der Angeklagte nicht schuldig sein könne. Ein Mann, der nach dem ungeheuren Geschehen im Gerichtssaal sitze und lächle. Der zwei Menschen getötet habe und dann in der Hauptverhandlung sage, dass allein Gott entscheide, wann es Zeit sei zu sterben. Ein Mann, der mit den unerfüllten Wunschträumen seines Lebens nicht habe umgehen können, wie Bechert es formuliert.

Polizisten sichern den Tatort in Ludwigshafen-Oggersheim. © Alexander Keutz/Keutz TV-NEWS

Bechert ist es wichtig zu betonen, was ihr Antrag auf Maßregelvollzug bedeutet. Sie will für Verständnis sorgen – auch bei juristischen Laien. Der Angeklagte stelle wegen seines psychischen Zustands eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, die Wahrscheinlichkeit, dass er vergleichbare Taten auch in Zukunft begehen könnte, sei hoch. „Deshalb ist eine Unterbringung dringend geboten und erforderlich“, sagt sie.

Die Dauer des Maßregelvollzugs könne die einer lebenslangen Haft, die bereits nach 15 Jahren enden kann, deutlich übersteigen – bis hin zum Tode. „Für den Angeklagten ist diese Aussicht sicherlich unerträglicher als ein Aufenthalt in der JVA“, sagt sie. Zumal durch die Schuldunfähigkeit nicht nur die Strafe entfalle, sondern auch „das Recht, über sich selbst zu bestimmen“, wie sie mit Blick auf Zwangsmedikation und Fixierung ausführt. Was am Ende des Prozesses bleibe, sei Wut, Trauer, Verzweiflung und Fassungslosigkeit darüber, dass niemand verantwortlich gesprochen werden könne. „Aber wir leben in einem Rechtsstaat – und das ist auch gut so.“

Kerzen erinnerten nach der Tat an den Messerangriff, bei im Oktober zwei Menschen ihr Leben verloren. © Christoph Blüthner

Von Fassungslosigkeit spricht auch Thilo Schwarz, Verteidiger von Liban M., in seinem Schlussvortrag. Die Tat habe weder religiöse noch rassistische Hintergründe gehabt, stellt er heraus. Es sei ein wahnhafter, tragischer Irrglaube gewesen, der zu der Bluttat geführt habe. „Mangels Schuldfähigkeit ist mein Mandant freizusprechen, die weiteren Maßnahmen werden ins Ermessen des Gerichts gestellt.“

„Ich bin wirklich nicht verrückt“

Wie auch immer das Verfahren zu Ende gegangen wäre, Gerechtigkeit hätte es für die Hinterbliebenen der Opfer nicht gegeben, betont Philipp Moritz Hug, der den Überlebenden Marcel Kling vertritt. Die einzige Genugtuung sei, dass der Angeklagte sein geäußertes Ziel nicht erreiche, nach einer möglichen Haft wieder in seine Heimat zurückzukehren. „Sie werden ihr Leben lang in der Klinik sein. Weil Sie gefährlich sind, weil Sie eine Krankheit haben. Wenn es denn eine lebenslange Strafe gibt, dann ist es diese hier – auch wenn sie nicht als Strafe bezeichnet werden kann.“ Wie die anderen Nebenklagevertreter schließt sich Hug den Anträgen der Staatsanwaltschaft an.

Was ich getan habe, habe ich bewusst getan. Ich möchte nicht ins Krankenhaus, auf keinen Fall
Angeklagter

Liban M. wendet sich in seinen letzten Worten erstmals an die Hinterbliebenen. Es tue ihm leid. Er wisse, dass es wehtue, einen Familienangehörigen zu verlieren. „Es war Unrecht.“ Noch wichtiger zu betonen ist ihm aber etwas anderes: „Ich bin wirklich nicht verrückt. Was ich gemacht habe, habe ich bewusst gemacht. Ich möchte nicht ins Krankenhaus, auf keinen Fall!"

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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