Ludwigshafen. Der Kies auf den Wegen des Ruchheimer Friedhofs knirscht unter den Schuhen. „Hallo Jonas, mein Junge“, sagt Kurt Sprengart. Er ist vor einer kleinen, mit Blumen, Lichtern und Herzen dekorierten Grabfläche stehengeblieben, seine Frau Maja neben ihm. „Hallo Joni“, sagt sie mit leiser Stimme.
Eine Antwort werden sie nie wieder erhalten. Und dennoch sind sie ihrem ältesten Sohn hier ganz nah. Auf dem rund 6000 Quadratmeter großen Begräbnisplatz am Ortsrand, über den an diesem Morgen ein eisiger Wind pfeift. Am 18. Oktober des vergangenen Jahres wurde der 20-jährige Jonas Sprengart bei einem brutalen Messerangriff im Stadtteil Oggersheim getötet. An diesem Freitag beginnt am Frankenthaler Landgericht der Prozess gegen den Mann, der neben Jonas noch dessen Kollegen Sascha Kraft umgebracht und einen weiteren Menschen schwer verletzt haben soll. Der Somalier ist wegen doppelten Mordes angeklagt.
„Was, wenn er uns anlächelt?“
Der rasch nahende Prozessauftakt verursacht bei den Eltern gemischte Gefühle. „Wir finden es gut, dass das Hauptverfahren so schnell terminiert wurde. Das zeigt, dass es den Behörden wichtig ist, den Täter vor Gericht zu bringen“, sagt der 56-jährige Vater. „Wir haben aber auch ein bisschen Angst davor“, sagt seine Frau.
Die 48-Jährige wird mit ihrem Mann und dem jüngeren Sohn Noel zum Gericht fahren, in den Sitzungssaal möchte sie aber nicht. „Ich habe Angst, dass ich sein Gesicht nicht mehr loswerde“, sagt sie. Das Gesicht des Mannes, der ihren Sohn getötet hat. „Was, wenn er uns anlächelt? Nach dem, was er getan hat.“
Vater will Antworten
Auch Kurt Sprengart ist unruhig, macht sich Gedanken über die Reaktionen. Auch seine eigenen. „So eine Situation hat man ja noch nie erlebt“, sagt er. Wird er seine Wut zügeln können? Er will dem Prozess mit 14 Verhandlungstagen und über 170 Zeugen beiwohnen, wird dem Angeklagten gegenüber sitzen.
Er will Antworten, wohlwissend, dass er diese vielleicht nicht bekommen wird. „Es geht ja schon aus der Anklage hervor, dass er wahllos Deutsche töten wollte. Unser Junge konnte überhaupt nichts machen. Er wollte einfach morden.“
"Es gibt keine Entschuldigung"
Eine Entschuldigung des Angeklagten wollen Kurt und Maja Sprengart deswegen gar nicht hören. Auch Reue würden sie ihm nicht abnehmen. „Für so etwas gibt es keine Entschuldigung“, sagt der 56-Jährige. „So jemand darf einfach nie wieder frei auf der Straße herumlaufen.“
Dass ein psychiatrischer Gutachter den heute 26-jährigen Somalier als schuldfähig eingestuft hat, ist für das Ehepaar Sprengart schon einmal eine gute Nachricht in dieser schwierigen Zeit. „Auch die Polizei hat wohl hervorragende Arbeit geleistet, hat unsere Anwältin gesagt“, berichtet die Mutter mit Blick auf die Ermittlungen.
Auch Freunde, Verwandte und Kollegen wollen am Freitag beim Prozessauftakt dabei sein. Das Landgericht Frankenthal erwartet ein hohes öffentliches Interesse. Für Besucher werden Platzkarten vergeben, auch mit einer starken Medienpräsenz ist zu rechnen. Termine sind in dem Mammutverfahren bis Mai angesetzt.
Hoffnungsschimmer im Alltag
Im Alltag der Eltern gibt es unterdessen rund dreieinhalb Monate nach der Tat vereinzelte Hoffnungsschimmer, die Licht in die Finsternis bringen, Balsam sind für den Schmerz. So konnte Kurt Sprengart eine neue Gesellin für seinen Raumgestaltungsbetrieb einstellen, für den sowohl sein Sohn Jonas als auch sein Freund Sascha gearbeitet hatten. Und auch die Auftragsbücher füllen sich allmählich wieder, nachdem der Betrieb nach der Tat zunächst für mehrere Wochen ruhte, was schmerzhafte Umsatzeinbußen mit sich brachte.
Eltern noch arbeitsunfähig
Da sind die rund 5500 Euro, die die Familie aus der städtischen Spendensammlung erhalten soll, eine wichtige Hilfe. „Noch ist das Geld nicht da, aber wir haben ein Schreiben der Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck erhalten“, sagt Maja Sprengart.
Insgesamt waren 22 500 Euro zusammengekommen, die auf die Familien der Betroffenen und Hinterbliebenen aufgeteilt werden. „Dafür sind wir dankbar.“ Die entstandenen Kosten und Ausfälle könne das aber nicht ausgleichen.
Kurt Sprengart kann noch nicht wieder auf einer Baustelle arbeiten, und auch seine Frau hat ihre Tätigkeit als Erzieherin noch nicht wieder aufgenommen. Beide Elternteile sind in psychologischer Behandlung. „Es gibt da verschiedene Therapien, und wir machen auch schon Fortschritte“, sagt der Vater.
Nächte mit ausreichend Schlaf hat zumindest er aber noch immer nicht. Denn er war als einer der ersten am Tatort und musste die schrecklichen Bilder mit ansehen. Der anstehende Prozess wühlt ihn jetzt zusätzlich auf.
Geraubte Zukunft
„Es heißt, das erste Jahr sei das schlimmste“, sagt Maja Sprengart. Wegen all der Dinge und Ereignisse, die zum ersten Mal ohne ihren ältesten Sohn stattfinden werden. Geburtstage. Feiertage. Urlaub. „Irgendwann sollen die Wellen dann abnehmen“, sagt die Mutter.
Doch noch brechen sie fast täglich mit aller Wucht über die Eltern herein. Immer, wenn ihnen im Alltag bewusst wird, welche schönen Erlebnisse Jonas niemals haben wird, was ihm geraubt wurde. Dann steigen Tränen in die Augen, wie an diesem Morgen auf dem Ruchheimer Friedhof. „Tschüss Jonas“, sagen die Eltern beim Gehen. „Bis bald, Junge.“
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