Heidelberg. Ende August 2020 hat die Heidelberger Burschenschaft Normannia international Schlagzeilen gemacht, selbst die israelische Tagespresse berichtete über die Ereignisse am Kurzen Buckel in Heidelberg: Bei einer Feier im Verbindungshaus sollen mehrere Burschenschaftler einen 25 Jahre alten Mann antisemitisch beleidigt, ihn mit Gürteln geschlagen und mit Münzen beworfen haben.
Vier der mutmaßlichen Täter müssen sich seit Anfang November vor dem Heidelberger Amtsgericht verantworten. Nun steht die juristische Aufarbeitung des Falls kurz vor ihrem Abschluss, am dritten Verhandlungstag wurde plädiert. Doch die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage-Vertreterin und Verteidigung haben dabei einmal mehr offenbart, wie schwierig sich die Aufarbeitung der „Normannia-Affäre“ gestaltet - weil klare Zeugenaussagen fehlen.
Eine "Mauer des Schweigens"
Die Zeugen, die während des Verfahrens gehört wurden, konnten oder wollten sich nicht an das erinnern, was Ende August 2020 geschehen sein soll. Von einer „Mauer des Schweigens“ sprach eine Ermittlerin zu Beginn des Verfahrens. Und auch vor Gericht machte die Vorsitzende Richterin Nicole Bargatzky ihrem Unmut Luft, drohte mit Ermittlungen wegen uneidlicher Falschaussagen. Wieder und wieder hakte sie bei den Zeugen nach. Bohrte und bohrte. Meist vergebens.
Mal schüttelte die Richterin resigniert den Kopf, mal machte sie ihrem Ärger Luft. „Das ist eine Katastrophe“, sagte sie am Montag nach dem x-ten Zeugen, der angab, zu betrunken gewesen zu sein, um sich an Genaueres zu erinnern. Entnervt winkte Bargatzky ab, wirkte fast schon verzweifelt darüber, wie offensichtlich der Justizapparat in diesem Fall an seine Grenzen stieß.
„Der Staatsanwaltschaft ist die Problematik des Ganzen bewusst“, sagte der Erste Staatsanwalt Thomas Bischoff in seinem Plädoyer. Mit Ausnahme der Polizeibeamten habe quasi jeder Zeuge ein mehr oder weniger großes Eigeninteresse verfolgt, so der Staatsanwalt. Und: Der Vorfall habe sich vor über zwei Jahren ereignet, spätere Gespräche und „Nachforschungen“ könnten das eigentlich Erlebte überlagert haben. Dennoch sehe er die Schuld der vier Angeklagten - zwei „Normannia“-Burschenschaftlern und zwei Verbindungsmitgliedern der „Kölner Burschenschaft Germania“- als erwiesen an.
Sie sollen den 25-jährigen Mann wegen seiner jüdischen Herkunft „gegürtelt“, ihn an Oberschenkel und Rücken verletzt haben, ihn als „Judensau“ und „Schweinejude“ beschimpft haben. Dann bewarfen sie ihn laut Staatsanwaltschaft mit Münzen - eine Anspielung auf das rassistische Stereotyp vom „Wucherjuden“. Der 25-Jährige habe sich freiwillig in eine „tiefbraune Subkultur“ begeben, resümierte Bischoff, der von einer „toxischen Mischung aus Weltanschauung und Suff“ sprach.
Bischoff forderte Bewährungsstrafen von elf Monaten für die Angeklagten - wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung. Trotz der verbliebenen Unschärfe, wer von ihnen wann was getan haben könnte. Denn dies ließ sich innerhalb des Verfahrens nicht eindeutig feststellen - und auch keinem der vier Angeklagten klar nachweisen. Deshalb plädierten die Verteidiger der Männer zwischen 22 und 28 Jahren auf Freispruch, gemäß des strafrechtlichen Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“.
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