Heidelberg. Was ist am 29. August 2020 im Verbindungshaus der Heidelberger Burschenschaft Normannia wirklich passiert? Das ist die zentrale Frage eines Prozesses, der am Mittwoch vor dem Heidelberger Amtsgericht fortgesetzt wurde. Vier Burschenschaftler zwischen 22 und 28 Jahren stehen vor Gericht, weil sie einen 25-Jährigen antisemitisch beleidigt, ihn mit Münzen beworfen und mit Gürteln geschlagen haben sollen. Zwei von ihnen gehören der Heidelberger Burschenschaft Normannia an, die beiden anderen sind Verbindungsmitglieder der Kölner Burschenschaft Germania. Der Fall hatte vor zwei Jahren bundesweit für Aufsehen gesorgt.
Der zweite Prozesstag zur Aufarbeitung der „Normannia-Affäre“ offenbart, wie schwer es den Ermittlern gefallen ist, an Aussagen zu kommen. Weil sich niemand mehr erinnern kann an das, was am 29. August auf einer Feier im Verbindungshaus passiert sein soll. Von einer „Mauer des Schweigens“ berichtet eine Polizeibeamtin. 27 Menschen hätten auf der Gästeliste zur Feier im Verbindungshaus gestanden. „Wir hatten große Probleme, das Gros von ihnen überhaupt vernehmen zu können“, berichtet die Ermittlerin. Erst nachdem sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hätte, seien bestimmte Zeugen in der Dienststelle erschienen – um dann überwiegend „nichtssagende Angaben“ zu machen.
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„Ich glaube Ihnen nicht“
Während der 25-Jährige beschimpft und geschlagen worden sein soll, gaben mehrere Zeugen an, nicht im Raum gewesen zu sein. Sich etwas zu trinken geholt zu haben. Oder ein Stück Pizza, wie die Freundin eines Angeklagten, die vor Gericht angibt, sehr betrunken gewesen zu sein und sich kaum an den Abend erinnern zu können.
Immer wieder sagt sie, dass sie nicht wisse, wer seinen Gürtel gezückt und die Münzen geworfen habe. Dass sie nichts darüber sagen könne, ob ihr Freund daran beteiligt gewesen sei. „Ich weiß, dass Sie die Freundin sind und immer noch eine Beziehung haben – ich weiß, dass es schwer ist, dass es eine Krux ist“, sagt die Vorsitzende Richterin Nicole Bargatzky. Wieder und wieder fragt sie danach, welche Rolle der Partner der Studentin gespielt hat. Immer bleiben ihre Fragen unbeantwortet. „Sie wollen mir ernsthaft sagen, Sie wissen das nicht? Ich glaube Ihnen nicht“, sagt Bargatzky und deutet an, dass die Zeugin mit einem Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage rechnen muss. „Das tut mir leid für Sie“, sagt die Vorsitzende Richterin und fragt noch einmal nach. Doch die Frau bleibt dabei, dass sie nichts weiß. Ein bisschen so wie der ehemalige Vorsitzende der „Alten Herren“, der am Mittwoch ebenfalls im Zeugenstand sitzt. Um 22 Uhr soll er an jenem Augustabend im Verbindungshaus eingetroffen sein. Dann seien Unmengen an Alkohol geflossen. „Bis Mitternacht war ich sehr gut sortiert“, sagt der Mann, der bis 2020 den Mitgliedern innerhalb der Verbindung vorstand, die nicht mehr studierten. Studierende innerhalb der Verbindung gehörten bis 2020 zur sogenannten Activitas. Nur wenige Tage nach dem Vorfall gab die Burschenschaft deren Auflösung bekannt.
„Danach wird es dunkel in meinen Erinnerungen“, sagt der ehemalige Vorsitzende. Das sei überaus „praktisch“, kommentiert die Richterin, denn die Tat habe sich schließlich erst danach abgespielt. Bargatzky bohrt immer weiter, konfrontiert ihn mit Zeugenaussagen. Damit, dass er die beiden angeklagten „Normannen“ zu sich zitiert habe, gesagt habe, mit einem „Waffenbruder“ – der 25-jährige Mann ist ebenfalls Mitglied einer Verbindung – könne man so nicht umgehen. Bargatzky schüttelt immer wieder den Kopf, lacht auf, liest dem Mann seine eigene Aussage vor, die er bei der Polizei gemacht hat. In der er die beiden Heidelberger Angeklagten belastet hat.
Die Richterin und die Staatsanwaltschaft ringen förmlich um die Wahrheit. In einem Prozess, in dem bislang vieles nebulös geblieben ist. Und der doch einen Eindruck von der Lebenswelt der Heidelberger Angeklagten vermittelt, die sich laut einem Zeugen in der Pandemie zunehmend radikalisiert haben sollen, die einander mit Gürtelschlägen gefoppt haben sollen. Aus Spaß, bis aus Spaß ernst geworden sei, ein Akt „voller Hass“, wie die Ermittlerin aus den Befragungen der Zeugen zitiert.
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