Heidelberg. War es ein psychisch erkrankter Mensch, der mit zwei Langwaffen am Montagmittag in den Hörsaal stürmte? Nach dem Amoklauf eines 18-Jährigen im Neuenheimer Feld schließen die Ermittler eine politische Radikalisierung und eine persönliche Beziehung zu einem Opfer als Motiv eher aus. Dennoch soll der mutmaßliche Täter früher Mitglied einer als rechtsradikal eingestuften Partei gewesen sein. Zwei Tage nach dem Geschehen, bei dem eine 23-Jährige starb und drei weitere Studierende durch Schüsse verletzt wurden, ist noch lange keine Normalität eingekehrt.
Die Fakultät für Biowissenschaften setzt ihre Präsenzveranstaltungen aus - zumindest bis zur Trauerfeier der Universität am Montag. „Ich würde mir als Dozent auch sehr komisch dabei vorkommen, wenn ich jetzt in einen geschlossenen Hörsaal gehen müsste“, sagte Dekan Jochen Wittbrodt der dpa. In höheren Semestern seien bei Lehrveranstaltungen Schweigeminuten und Zeiten zum Austausch geplant.
Zoo-Besucher mussten bleiben
Am Mittwoch wurde auch bekannt, dass eine Schulklasse in unmittelbarer Nähe des Tatorts war: Die Kinder hielten sich während eines Ausflugs in einem Treibhaus gegenüber auf. „Sie haben die Schüsse gehört, um sie herum waren Hubschrauber, an denen unten Polizisten hingen und den Täter gesucht haben“, schildert die Mutter einer Elfjährigen auf ihrer Social-Media-Seite. Polizeisprecher Patrick Knapp bestätigt, dass eine Schulklasse im Botanischen Garten war. Es habe aber keine Gefährdung bestanden.
Ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt des Uni-Instituts befindet sich der Zoo. Ewa 50 Besucher hielten sich nach Angaben einer Sprecherin dort auf. „Der Zoo wurde gegen 13 Uhr geschlossen. Besucher und Mitarbeiter, die sich zu diesem Zeitpunkt im Zoo aufgehalten haben, durften das Gelände nicht verlassen. Gegen 14.30 Uhr wurde die Schließung aufgehoben“, berichtet Zoo-Sprecherin Jana Mechler.
Nichtsahnend auf den Campus kam am Montagmittag auch Leo Schey. Der 24-jährige Donaueschinger studiert in Heidelberg seit fünf Jahren Physik. Er holte sich einen Kaffee. Gegen 13.15 Uhr wollte er in das Kirchhoff-Institut für Physik gegenüber der Mensa - sein üblicher Ort, um zu lernen. „Der Eingang war aber schon abgeschlossen, also habe ich draußen gewartet.“ Als er Richtung Himmel blickte, habe er einen Hubschrauber bemerkt. Und auch auf anderem Weg erreichten ihn Hinweise zur schrecklichen Tat: „Auf meinem Handy kamen immer mehr Nachrichten von Freunden“, sagt er, darunter der Screenshot einer Mail von Roland Gromes, dem Lehrkoordinator Gebäudes INF 360, in dem die Tat passierte. Dieser bat seine Studenten darin, sich an die Anweisungen der Sicherheitskräfte zu halten, es gebe einen Polizeieinsatz wegen eines Schusswaffengebrauchs.
Mutmaßlicher Täter war Mitglied bei rechtsextremer Partei
„Erst da wurde mir klar, dass etwas wirklich Ernstes passiert sein muss“, erinnert sich Schey. Die Stimmung auf dem Gelände sei zu diesem Zeitpunkt aber noch relativ normal gewesen, ihm sei keine Angst oder Panik unter den Studenten aufgefallen. Er selbst sei dann zum rund 250 Meter vom Tatort entfernten Gebäude INF 308 gegangen. „Am Eingang wurde ich direkt abgefangen und gebeten, wegen des Polizeieinsatzes in den Hörsaal zu gehen“, berichtet der Donaueschinger. „Es war komisch: Plötzlich sagten alle: Geh’ in den Hörsaal rein! Die Türen wurden geschlossen. Ich wusste zwar, dass etwas passiert war. Aber ich habe es noch nicht richtig wahrgenommen“, sagt Leo Schey über seine Gedanken auf dem Weg ins Gebäude. Die Tür sei für den Zutritt von außen verriegelt worden - als eine der letzten auf dem Gelände. „Mit zehn bis 15 anderen Studenten habe ich dort 30 Minuten gewartet, bis die Polizei Entwarnung gab“, berichtet er.
Forderung nach Aufklärung, Gedenkfeier und Kondolenzbuch
- Der Mannheimer Landtagsabgeordnete und SPD-Verfassungsschutzexperte Boris Weirauch fordert nach den Berichten am Mittwoch in der „Zeit“ Klarheit über einen rechtsextremistischen Hintergrund des Amokschützen: „Die Berichterstattung vom heutigen Tage wirft Fragen auf, die Innenminister Strobl zügig beantworten muss. Sollten sich die Hinweise aus den Medien auf einen rechtsextremistischen Hintergrund des mutmaßlichen Täters bestätigen, bekommt der schreckliche Mord eine politische Dimension. Auch stünde die bisher geäußerte Einzeltäter-These damit womöglich zur Disposition.“
- Weirauch, der sich als Obmann der SPD im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss über Jahre mit den Hintergründen und Merkmalen von Rechtsterrorismus beschäftigt hat, fordert diesbezüglich eine lückenlose Aufklärung der Motivlage: „Die Beispiele des NSU oder des Amokschützen am Münchner OEZ verdeutlichen, dass der vorschnelle Ausschluss rechtsextremistischer Motive in der Vergangenheit oftmals später korrigiert werden musste. Solche Fehler sollten vorliegend vermieden werden“.
- Polizei und Staatsanwaltschaft hatten am Mittwoch keine aktuellen Belege für eine Radikalisierung des 18-Jährigen, der 2019 die Partei „Der III. Weg“ verlassen hatte.
- Am Montag, 31. Januar, ist um die Mittagszeit eine gemeinsame Gedenkfeier in der Heidelberger Peterskirche geplant, die im Livestream verfolgt werden kann. Die Peterskirche in Heidelberg wird ab Donnerstag, 27. Januar, bis einschließlich Sonntag, 30. Januar, jeweils von 10 bis 22 Uhr geöffne. „Vor Ort werden Seelsorgerinnen und Seelsorger der evangelischen und katholischen Kirche in Heidelberg für Trostsuchende da sein. Ein Kondolenzbuch liegt aus“, teilt eine Sprecherin der Evangelischen Kirche Heidelberg mit.
Geklärt ist laut Polizei inzwischen, wie der in Mannheim lebende Student zum Tatort kam: in einem Taxi. Die beiden in Österreich gekauften Langwaffen habe er in einer Sporttasche verstaut im Kofferraum transportiert. 2019 sei er aus der Partei „Der III.Weg“, die als rechtsextrem gilt, ausgetreten. Zeugenaussagen und die Auswertung von Handy und Laptops hätten aber keine Erkenntnisse zu einer Radikalisierung oder zu Kontakten ins rechte Spektrum gebracht, heißt es von der Staatsanwaltschaft.
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