Heidelberg. Ein 18-Jähriger stürmt in einen Hörsaal der Uni und eröffnet das Feuer auf seine Mitstudierenden: Der Amoklauf am Montagmittag auf dem Campus im Neuenheimer Feld in Heidelberg hat die gesamte Stadt – und Menschen weit darüber hinaus – erschüttert. Es gibt sehr viele Betroffene. Das sind nicht nur die rund 30 Studierenden im Hörsaal selbst, die in Todesangst miterlebten, wie drei Mitstudierende verletzt wurden und eine 23-Jährige getötet wurde.
Angehörige stehen auch unter Schock, in den nahen Büros arbeiteten Menschen, die sich plötzlich in einem großen Polizeieinsatz erlebten, Eltern bangten um ihre Kinder. Wann sollte man sich Unterstützung holen, wie erkennt man, dass das Geschehen einen selbst oder einen Angehörigen überfordert? Und wie ist das bei Kindern? Diese Fragen beantwortet Lea Schell, Psychotherapeutin am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI).
Psychotherapeutin
- Lea Schell, 32 Jahre alt, ist Psychologin und Psychotherapeutin.
- Seit 2016 arbeitet sie im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
- Im ZI und seinen vier Kliniken arbeiten aktuell mehr als 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
- Als Teampsychologin leitet sie dort die psychosomatische Station für Traumafolgestörungen bei Erwachsenen.
Frau Schell, welche psychischen Folgen können solche Erlebnisse haben?
Lea Schell: Je näher ein Mensch an solchen Ereignissen ist, desto belastender können sie in der Regel sein. Es ist eine häufige und normale Reaktion, dass man in den Tagen nach einem solchen Ereignis oft daran denken muss, schlecht schläft oder sich betäubt, sich ängstlich oder niedergeschlagen fühlt. Signale der Überforderung können jedoch sein, dass die Symptome anhalten oder man hat das Gefühl hat, den Alltag nicht mehr bewältigen zu können. Aber nicht jeder, den das Erlebte und Erzählte mitnimmt, benötigt unbedingt professionelle Unterstützung bei der Verarbeitung. Wie stark der Einzelne beeinträchtigt wird, hängt auch von den individuellen Gegebenheiten ab – etwa weiteren Belastungen. Jeder Mensch geht anders damit um.
Was hilft?
Schell: In den meisten Fällen klingen diese Eindrücke langsam ab. Hilfreich ist dabei alles, was auch sonst hilft: Gespräche mit Nahestehenden zum Beispiel. Wer das Bedürfnis hat, professionelle Hilfe zu benötigen, sollte sie auf jeden Fall suchen. Natürlich auch dann, wenn man spürt, dass einen das Erlebte völlig aus der Bahn zu werfen scheint. Unmittelbar an einer großen Gewalttat beteiligte Personen werden – wie auch am Montag in Heidelberg praktiziert – sofort von Notfallpsychologen und Notfallseelsorgern betreut. Das ist sehr wichtig.
Welche Möglichkeiten haben Angehörige?
Schell: Sie sollten das Gespräch und Unterstützung anbieten. Haben sie den Eindruck, dass die Betroffenen dauerhaft sehr mitgenommen von den Erlebnissen sind, sollten sie dieses auch mitteilen und vielleicht bei der Suche nach professioneller Hilfe zur Seite stehen.
Wie sieht das bei Kindern aus?
Schell: Kinder können je nach Alter nicht so klar ausdrücken, wie es ihnen gerade geht. Sollten sie sich deutlich anders, zum Beispiel ängstlicher, verhalten als vor einem gravierenden Ereignis, sollte man das ernst nehmen. Möglicherweise wacht ein Kind, das vorher schon die Nacht durchschlief, wieder vermehrt auf. Oder es scheint einen anderen Entwicklungsschritt zurück zu machen.
In der Corona-Pandemie gibt es viel Verunsicherndes und Belastendes. Können schlimme Erlebnisse dann schwerer erlebt werden?
Schell: Das ist vermutlich ebenfalls eine sehr individuelle Sache. Ganz sicher ist aber gerade jetzt der soziale Zusammenhalt stärkend. Es tut insgesamt gut, über das, was man erlebt hat, auch zu sprechen – zum Beispiel mit anderen, die Ähnliches erlebt haben oder die belastende Situation geteilt haben. Ich denke gerade an die Bilder der Studierenden, die gemeinsam trauern, Kerzen und Blumen am Tatort ablegen und sich umarmen.
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