Biblis. Kaweh Mansoori ist ein höchst willkommener Gast im Bibliser Kernkraftwerk. Auf den hessischen Wirtschaftsminister wartet ein ganzer Strauß an Wünschen - vom Gastgeber RWE, aber auch von Kreis und Gemeinde. Auf seiner Sommertour macht der 36-jährige Sozialdemokrat Station in Biblis und nimmt sich eineinhalb Stunden Zeit für Gespräche und einen Rundgang durchs Gasturbinenkraftwerk. Den Standort kennt er ziemlich gut: Vor knapp 20 Jahren war er schon mal hier - damals, um gegen Atomkraft zu demonstrieren.
Kernkraftwerk Biblis abgeschaltet und im Rückbau: Wohin soll sich der Standort entwickeln?
Das ist allerdings längst Geschichte, das Kernkraftwerk abgeschaltet und im Rückbau. Jetzt geht es darum, die Zukunft zu gestalten. Und dabei sind für RWE noch entscheidende Fragen offen. Wohin soll sich der Standort entwickeln? Ideen gibt es dafür eine ganze Menge. Zum Beispiel für ein Gas- und Dampfkraftwerk, das auch mit Grünem Wasserstoff betrieben werden kann - als klimafreundliche Ergänzung, falls in lichtarmen und windstillen Zeiten andere Öko-Energiequellen schwächeln.
Das Gasturbinenkraftwerk betreibt der Stromkonzern Amprion. RWE-Projektleiter Frank Köhler ist für den Bau der Anlage zuständig, die bis auf einige Restarbeiten fertig ist. Bereits seit 18 Monaten steht sie bereit, um kurzfristig Schwankungen im Stromnetz ausgleichen zu können. Ein einziges Mal war das bisher der Fall, erläutert Köhler. Für Mansoori eine gute Nachricht. Die Energieversorgung läuft also, auch mit immer größerem Anteil an Windkraft und Sonnenstrom.
Standortleiter Ralf Stüwe: Planungssicherheit dringend notwendig
Entscheidet sich RWE tatsächlich für ein neues Gas- und Dampfkraftwerk als Backup für schlechte Zeiten, müsste es für einige Wochen im Jahr Strom produzieren - aber eben nicht mehr. Und trotzdem das ganze Jahr bereit stehen. Eine kostspielige Angelegenheit. Deshalb sei Planungssicherheit dringend notwendig, wie Standortleiter Ralf Stüwe am Rande des Besuchs erläutert. Er hat zahlreich Fragen: Wie viel Grüner Wasserstoff steht künftig zur Verfügung, was soll er kosten, und wie würde die Vergütung für den nachhaltig erzeugten Strom aussehen?
Die Zeit drängt: Anfang der 2030er Jahre wird der Standort aus der Zuständigkeit des Atomgesetzes entlassen, dann braucht es einen Plan B. Also plädieren die RWE-Leute für Schnelligkeit: „Es hilft, wenn Sie das in Richtung Berlin funken“, wünscht sich Steffen Kanitz, als Vorstand bei RWE Power für den Rückbau der Kernkraftwerke zuständig. Der hessische Wirtschaftsminister soll also mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sprechen. Und es gibt noch mehr Wünsche: Der Bibliser Bürgermeister Volker Scheib und der Kreis Bergstraße würden gerne ergebnisoffen prüfen lassen, für welche Branchen der Standort geeignet sei. Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf überreicht deshalb ein Papier mit der förmlichen Bitte um eine Potenzialanalyse und einer Machbarkeitsstudie.
Scheib pocht vor allem auf eine stabile und nachhaltige Entwicklung. Er hat den Naturschutz rings um das Gelände im Blick, aber auch die viel gepriesene Infrastruktur, die seiner Ansicht nach stellenweise durchaus ertüchtigt werden müsse. „Wir sind zwar der kleinste Partner“, sagt der Bürgermeister, „aber wir melden uns regelmäßig zu Wort.“ Zumal die Gemeinde Biblis zuständig für den Bebauungsplan sei - und damit doch einen gewissen Rahmen setzen könne.
Standortleiter Ralf Stüwe sieht neben den eigenen Plänen durchaus Platz für Projekte zusammen mit Land, Kreis und Gemeinde: Den Bereich, der ursprünglich für einen dritten Atommeiler - Block C - vorgesehen war, zum Beispiel.
Zwischenlager mit Castorbehältern und strahlenbelasteter Müll
Für das Zwischenlager mit den Castorbehältern gibt es in den nächsten Jahrzehnten keine Alternative. Und auch der gesamte strahlenbelastete Müll bleibt zunächst auf dem Gelände. Auf lange Sicht könnte er im Schacht Konrad landen, der gerade zum Endlager für schwach- und und mittelradioaktive Abfälle umgebaut wird. Nahezu alle übrigen Materialien werden wiederverwertet und an anderer Stelle genutzt. „Bis auf zwei Prozent wird alles recycelt“, berichtet Stüwe.
Zu diesen zwei Prozent zählen 3200 Tonnen Beton, die RWE gerne auf der Deponie in Büttelborn entsorgen möchte. Der Abbruch stamme zwar prinzipiell aus den Kernbereichen der Meiler, sei aber geprüft und unbelastet, wie Kanitz betont. Büttelborn lehnt den Müll nach wie vor ab, das Gerichtsverfahren läuft. „Nicht, dass es zu einem Rückbaustopp kommt, weil das Abfallaufkommen nicht entsorgt werden kann“, auch das gibt der RWE-Vorstand dem Minister auf den Weg.
Mansoori hört den Vorträgen zu, unterhält sich in aller Ruhe mit den RWE-Leuten und beantwortet die Fragen der Journalisten. In Biblis sieht er tatsächlich ein starkes Rückgrat für die Energiewende. Das sei sehr beruhigend für die Bevölkerung, und das werde er auch vor dem Bund so vertreten, kündigt er an. Dann verabschiedet er sich genauso pünktlich, wie er gekommen ist.
Aus für die Kühltürme
Der Rückbau des Bibliser Kernkraftwerks läuft, und auch die beiden letzten Kühltürme sollen in wenigen Monaten verschwinden. Geplant ist der Abbruch in etwa zum Jahreswechsel, wie Standortleiter Ralf Stüwe ankündigt.
Von den insgesamt vier Kühltürmen sind zwei bereits im Februar 2023 abgerissen worden. Fachleute haben die Struktur der Betonriesen so lange geschwächt, bis sie in sich zusammen gefallen sind.
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