Biblis. Anfang Februar 2023 wird der erste von zwei Kühltürmen bei Block A des Bibliser Atomkraftwerks kontrolliert zum Einsturz gebracht. Der Turm dreht sich leicht zur Seite und fällt dann in einer dicken Staubwolke in sich zusammen. Als sie sich verzogen hat, sind auf dem Trümmerberg lediglich noch ein paar Reste zu sehen.
In sicherer Entfernung dürfen Zuschauer beim Kraftwerk mit ansehen, wie sich die AKW-Ära in Biblis augenscheinlich dem Ende zuneigt. „RWE war hier einer der größten Arbeitgeber“, sagt einer von ihnen. Er selbst hat hier gearbeitet. Rund drei Wochen nach dem ersten Einsturz wird der zweite Kühlturm zu Fall gebracht.
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Die von RWE beauftragten Fachleute lassen die 80 Meter hohen Türme kontrolliert einstürzen. Zunächst werden Schlitze in die mächtige Betonhülle geschlagen, um die Bauwerke in ihrer Struktur zu schwächen. Lediglich sieben Stützen stehen am Abriss-Tag noch im Inneren der Türme, als der ferngesteuerte Bagger seine Arbeit beginnt. Er hämmert die Stützen eine nach der anderen weg - bis die Türme nachgeben. Eine Sprengung wie beispielsweise in Philippsburg kommt in Biblis nicht infrage, weil sich in der Nähe Stromleitungen und Gebäude befinden, die in Mitleidenschaft hätten gezogen werden können.
Bibliser Atomkraftwerke waren nach Fukushima abgeschaltet
Der Bauschutt der beiden abgerissenen Türme wird unter die Lupe genommen und analysiert. Das Abbruchmaterial - es sind 15 000 Tonnen pro Turm - soll in die Wiederverwertung kommen und in der Zement- und Betonindustrie genutzt werden. Das Material ist unbedenklich, da es niemals mit radioaktiver Strahlung in Kontakt gekommen ist.
Die Kühltürme waren nur wenige Wochen im Jahr in Aktion - immer dann, wenn der Rhein zu hohe Temperaturen hatte oder zu wenig Wasser führte. Dann musste das Kernkraftwerk auf die Technik der Türme zurückgreifen. Ansonsten sorgte das Rheinwasser für ausreichende Kühlung.
Seit der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 sind die Bibliser Meiler abgeschaltet. Die Anlage gehört zu den deutschen Altmeilern, die die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Netz nehmen lässt. RWE beantragt daraufhin den Rückbau. Die Arbeiten dafür beginnen im Jahr 2017.
Mit dem Abriss der beiden Kühltürme von Block A hat sich jetzt die Silhouette der Anlage verändert, die über Jahrzehnte ein gewohnter Anblick war. Und die Veränderung geht weiter: Die beiden Türme vom Bibliser Block B könnten im neuen Jahr fallen. Allerdings nicht schon im Februar, möglicherweise auch erst im Jahr 2025, wie ein Kraftwerkssprecher auf Nachfrage dieser Redaktion mitteilt. Bestimmt wird der Termin auch von den geschützten Brut- und Setzzeiten der Wildtiere.
60 Hektar werden in Biblis frei
Mit dem Atomkraftwerk hat Biblis den bislang größten Arbeitgeber und Steuerzahler verloren. Vor der Abschaltung beschäftigte RWE am Standort Biblis rund 700 festangestellte Mitarbeiter. Wenn die Anlage ganz von der Bildfläche verschwunden sein wird, bietet das Gelände für Industrie- und Gewerbe eine interessante Infrastruktur: Eine Fläche von 60 Hektar mit Zugang zu Rhein und Bahn, die RWE gehört, aber bei vielen Interesse weckt.
Für die Vermarktung haben sich der Kreis, die Gemeinde Biblis und RWE auf eine Zusammenarbeit verständigt. Landrat Christian Engelhardt bittet Anfang März alle Beteiligten nach Heppenheim, um eine Zusammenarbeit in die Wege zu leiten. Frühzeitig, gezielt und vor allem klug wollen die Partner die Vermarktung angehen. Grundstücke in dieser Größe und Lage seien in ganz Hessen Mangelware, stellt Engelhardt fest. Der Hessische Wirtschaftsförderer Rainer Waldschmidt sieht beste Chancen für den Standort: Von Chip-Herstellung bis E-Mobilität ist für ihn so gut wie alles möglich.
„Konkrete Anfragen liegen vor“, bestätigt der Leiter des Bibliser RWE-Standorts, Ralf Stüwe, bei diesem Treffen. „Wir sind in den Gesprächen weiter, als sich in der Absichtserklärung ausdrückt“, berichtet Landrat Engelhardt. Konkreter wird es allerdings nicht. In Biblis wird bereits über eine Batteriefabrik und einen Handy-Hersteller spekuliert. „Viel zu früh“, winkt der Bibliser Bürgermeister Volker Scheib bei Nachfragen ab. Er hält allerdings wenig davon, nur einem einzigen großen Investor das Feld zu überlassen. „Ich möchte einen gesunden Mix erreichen“, stellt er klar.
Die Lage als Standortgemeinde sei schwierig, so Scheib, nun komme es darauf an, „nachhaltige Arbeitsplätze zu generieren“. Dabei will er den Prozess durchweg transparent halten, möglichst viele Bürger sollen sich daran beteiligen. „Es gibt bereits viele Impulse“, berichtet Scheib aus seiner Gemeinde, „aber auch Nöte und Ängste.
Bis das AKW-Gelände neu genutzt werden kann, dauert es aber noch: Die Entlassung aus dem Atomgesetz erfolge 2032, dann erst könne der konventionelle Abriss starten, macht Stüwe bei dem Termin deutlich.
Hoch radioaktiver Müll bis 2046 in Biblis
Derweil richtet sich die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) darauf ein, sehr viel länger am Kraftwerksstandort zu bleiben. Denn die BGZ muss für die Sicherheit des dort zurückgelassenen hoch radioaktiven Mülls sorgen - bis ein Endlager für die Brennstäbe gefunden ist und zur Verfügung steht. Das Bibliser Brennelemente-Zwischenlager hat bislang eine Genehmigung bis zum Jahr 2046. Zu diesem Zeitpunkt wird auch nach Einschätzung der optimistischsten Experten noch kein Endlager zur Verfügung stehen.
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