Interview - Rüdiger Stein, Geschäftsführer der DGB-Region Pfalz, über Montagsdemos, Hintermänner und die Freien Pfälzer

„Spaziergänger verwechseln Egoismus und Freiheit“

Von 
Stephan Alfter
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Gestern Abend zeigte ein Demokratie-Bündnis in Speyer Flagge gegen Hetze und Verschwörungstheorien. © Klaus Venus

Rhein-Neckar. Während weitere Kontaktbeschränkungen immer wahrscheinlicher werden, gab es Montagabend Proteste gegen die Corona-Regeln. Die Bewegung war zuletzt etwas größer und lauter geworden. An diesem Montagabend blieb es zunächst friedlich. In Speyer zeigte ein Demokratiebündnis Flagge gegen Hetze und Verschwörungstheorien. Rüdiger Stein kennt sich gut aus in den Strukturen von rechtsextremen Bündnissen. Mit ihm haben wir über die „Freien Pfälzer“ gesprochen – und über „Spaziergänger“.

Herr Stein, was sind das für Leute, die montags zusammen auf der Straße unterwegs sind?

Rüdiger Stein: Das ist eine sehr vielschichtige Gemengelage. Das sind Impfgegner. Das sind Menschen, die mit Corona-Schutzmaßnahmen nicht einverstanden sind, aber es sind auch Rechtsextreme dabei und sogenannte Reichsbürger, die sich unter die Leute mischen. Oft sind die Spaziergänge von ihnen mitorganisiert.

Warum wächst denn diese Bewegung zu diesem Zeitpunkt so sehr? Man könnte ja meinen, die Adventszeit ist eher eine besinnliche und vielleicht sogar etwas unpolitischere Zeit.

Stein: Die Diskussion um eine allgemeine Impflicht nimmt an Fahrt auf, und die Beschränkungen sind einfach auch spürbar. Beispielsweise 3G am Arbeitsplatz und 2Gplus in der Innengastronomie. Hinzu kommt die Diskussion um weitere Maßnahmen im Zuge der Ausbreitung der Omikron-Variante. Oft sprechen die Leute davon, dass sie in einer Diktatur leben würden. Das treibt sie auf die Straße.

Gibt es einen Grund dafür, dass sich solche Bewegungen immer montags treffen. Man denkt ja unwillkürlich an die Montagsdemos in der früheren DDR.

Stein: Darum geht es ja. Man versucht die Anleihen der 89er-Demos zu nehmen. Mit dieser friedlichen Demonstration versucht man, die Leute erstmal positiv abzuholen. Nach dem Motto: Schaut mal, was die damals geschafft haben. Irgendwann ist dieser Staat, die DDR, zusammengebrochen. Das verbindet die Organisatoren der Bewegung von heute. Sie wollen mit einer friedlichen Demonstration die Situation überwinden.

Auf dem Sozialen Netzwerk von Telegram werben die Freien Pfälzer Teilnehmer an. © Freie_Pfälzer_Telegram_Alfter

Wer sich mal in die Telegram-Gruppen verirrt, etwa zu den Freien Pfälzern, dem fällt auf, dass da eine sehr professionelle Kommunikation stattfindet. Da wird sehr viel Wert auf Begriffe wie Frieden und Freiheit gelegt. Sind das die Triggerworte, die so gut verfangen, dass die Bewegung breiter wird?

Stein: Genau, das ist die Ansprache. Man versucht, nicht als gewalttätig in Erscheinung zu treten. Mit diesen positiv besetzten Begriffen reicht man weit in die Gesellschaft hinein.

Wer als Journalist versucht, mit den unbekannten Organisatoren Kontakt in der Telegram-Gruppe aufzunehmen, der bekommt ausweichende Antworten. Man erfährt nie, mit wem man da spricht. Warum ist das so, wenn man eigentlich nur für Frieden und Freiheit steht?

Stein: Bei Menschen, die diese Gruppen organisieren, sieht man natürlich Ansätze von Behauptungen wie „Lügenpresse“. Das hat man ja auch schon auf Pegida-Demos gesehen, wo es nicht um Corona ging. Gerade Telegram und andere Soziale Netzwerke bieten da auch einen gewissen Schutz, wenn ich nicht mit meinem Klarnamen auftreten muss. So kann man anonym Hetze betreiben.

Rüdiger Stein



  • Der 46-jährige Rüdiger Stein ist seit wenigen Wochen Geschäftsführer der neu gebildeten Region Pfalz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
  • Er gilt als guter Kenner Rechtsextremismus-Szene. Er wirkt im Netzwerk gegen rechte Gewalt Ludwigshafen-Vorderpfalz und im Frankenthaler Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus.
  • Vor Beginn seiner hauptamtlichen Tätigkeit beim DGB vo zwölf Jahren, war er als Krankenpfleger in der Frankenthaler Stadtklinik beschäftigt.

Haben Sie denn konkrete Informationen über Menschen, die dahinter stecken?

Stein: Die Leute, die dahinter stecken, sind bunt gemischt. Das sind Rentner, Hausfrauen, Arbeiterinnen, aber auch Akademiker, die sich zusammentun. Die Professionalität, die da sichtbar wird, liegt oft daran, dass sie schon jahrelang in unterschiedlichen Sozialen Medien unterwegs sind und ihr Vorgehen klar koordinieren.

Diese Spaziergänge mit Kerzen oder vielleicht auch Fackeln – das sind ja schon Zitate, die auch auf Bilder aus der Zeit des Nationalsozialismus verweisen. Passiert das bewusst – oder entstehen die Bilder einfach, weil es im Winter dunkel und kalt ist abends?

Stein: Man versucht auch martialisch aufzutreten, um einzuschüchtern. Und dann mischt sich das mit Kerzen, die wieder auf 1989 verweisen und friedlicher wirken. Die Gruppen sind sehr vielschichtig. Mit dieser Mischung will man allen gerecht werden. Rechtsextremisten und Reichsbürger haben es natürlich gerne, wenn da jetzt viele Leute mitlaufen, mit denen sie bisher keine Berührungspunkte hatten. Wenn man da zusammen spazieren geht, dann verliert man etwas die Scheu voreinander – das ist wohl die Hoffnung. Sich als ganz normale Menschen zu präsentieren. Seht her, wir sind doch gar nicht gefährlich.

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Und dann läuft – salopp gesprochen – plötzlich die „Öko-Tante“ neben dem Skinhead. Das wirkt skurril.

Stein: Das große gemeinsame Ziel ist jetzt erstmal, die Corona-Maßnahmen abzuschütteln, sich nicht impfen lassen zu müssen. Esoterik-Anhänger und Verfechter alternativer Medizin – das finden Sie im linken und im rechtsextremen Spektrum. Das sind gemeinsame Anknüpfungspunkte.

Wie ist denn Ihr persönlicher Blick auf die Corona-Politik der neuen Regierung?

Stein: Es wurden in den vergangenen fast zwei Jahren oft Kommunikationsfehler gemacht. Das hat zu Verunsicherung geführt. Das überträgt sich auf die Menschen in dieser aktuellen Bewegung. Ich denke, die neue Regierung bemüht sich, Fehler zu bereinigen. Aber es gibt zu viele unbekannte Mitspieler. Jetzt die Omikron-Variante. Aus meiner Sicht wären dann nochmal stärkere Schutzmaßnahmen nötig, um die Kolleginnen in den Krankenhäusern und in der Pflege zu entlasten. Diese Solidarität wollen die Montagsspaziergänger nicht aufbringen. Sie verwechseln Egoismus mit Freiheit.

Was denken Sie, wie groß diese Bewegung am Ende sein wird. Ist das eine große Gefahr, die auf uns zukommt, oder wird sich das schnell wieder von selbst erledigen?

Stein: Solange die Pandemie uns derart im Griff hat, wird diese Bewegung Zulauf haben. Das ist meine Befürchtung. Die Reichsbürger und Rechtsextremen, damit meine ich auch die AfD, also solche Menschen, die eine Systemveränderung wollen, sind eine kleine, aber laute Minderheit. Natürlich ist das eindrücklich, wenn durch Mannheim 2000 Menschen ziehen, aber man kann in der Corona-Politik in dieser Zeit keine Rücksicht auf diese Minderheit nehmen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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