"Orte der Demokratie"

Fast vergessen: Hermann Müller stammte aus Mannheim

Er war der letzte parlamentarisch legitimierte Reichskanzler der Weimarer Republik: Hermann Müller

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Konstantin Groß
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Staatsmann aus Mannheim in schwerer Zeit: Hermann Müller (Mitte) als Reichskanzler 1929 bei einem Kuraufenthalt in Bad Mergentheim. © Archiv

Es ist schon seltsam: Dass Bundeskanzler Helmut Kohl in Ludwigshafen geboren wurde und gelebt hat, das ist weltweit bekannt. An den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, erinnert gar eine Gedenkstätte in seinem Geburtshaus in der Heidelberger Altstadt. Dass der letzte parlamentarisch legitimierte Reichskanzler der Weimarer Republik, Hermann Müller, aus Mannheim stammt, das ist jedoch selbst hier kaum bewusst.

„Er ist heute so gut wie vergessen“, beklagte 2021 Niels Annen, der Staatsminister im Auswärtigen Amt: „Wie ich finde zu Unrecht, denn er hat viel geleistet“, betonte der Vertreter des damaligen Ressortchefs Heiko Maas. So wollte zumindest die Bundesregierung diesem Vergessen entgegenwirken: Das Foyer des Auswärtigen Amtes in Berlin ist inzwischen nach Müller benannt, denn er war ja einst auch Außenminister.

Staatsminister Niels Annen bei seiner Rede zur feierlichen Eröffnung des Hermann-Müller-Foyers im Auswärtigen Amt in Berlin 2021. © Janine Schmitz/Photoech

Geboren wird Müller am 18. Mai 1876 als Sohn eines Sektfabrikanten in Mannheim. Zur Schule geht er auf das Karl-Friedrich-Gymnasium, ihren Wohnsitz hat die Familie in N 4, 6. 1888 zieht sie nach Dresden, wo Müller als Schüler Karl May begegnet. Nach dem Tode des Vaters 1892 muss er aus finanziellen Gründen das Gymnasium vor dem Abitur verlassen, beginnt eine Lehre als Kaufmann bei Villeroy & Boch.

In Sachsen startet Müller seine historische politische Laufbahn in der SPD. In seiner Partei gilt er dabei als Gegenspieler des Mannheimers Ludwig Frank und dessen Blockpolitik mit den Bürgerlichen in Baden.

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Nach Sturz der Monarchie und Gründung der Republik wird Müller als Nachfolger des zum Reichspräsidenten gewählten Friedrich Ebert einer der Ko-Vorsitzenden der SPD und bleibt dies bis 1928. Im Juni 1919 übernimmt er zudem das Amt des Reichsaußenministers. Zwar nur für ganze neun Monate, aber die haben es in sich. In dieser Funktion muss er den Friedensvertrag von Versailles unterzeichnen, in dem Deutschland große Gebiete verliert und ihm die alleinige Kriegsschuld zugeschrieben wird. Ein Werk, gegen das die Rechte erbittert agitiert, dessen Unterzeichner wie Müller sie unablässig als Landesverräter diffamiert.

Davon unbeirrt setzt Müller sich für die Aussöhnung mit Frankreich ein und für den Beitritt in den Völkerbund – eine Politik, die sein liberaler Nachfolger Gustav Stresemann fortführt und dafür den Friedensnobelpreis erhält. „Hermann Müller steht für die demokratische Tradition in der deutschen Außenpolitik“, betonte Staatsminister Annen 2021.

Hermann Müller war in der Weimarer Republik zwei Mal Reichskanzler

Nach dem Scheitern des rechten Kapp-Putsches 1920 wird Müller erstmals Reichskanzler, jedoch auch nur für zwei Monate. Nach einer Wahlniederlage muss die SPD in die Opposition, Müller wird deren Fraktionschef und bleibt dies bis 1928.

In jenem Jahr wird er nach einem Wahlerfolg der SPD erneut Chef einer demokratischen Koalition mit Katholiken (Zentrum) und Liberalen. Doch wieder ist es eine schicksalhafte Zeit: 1929 bricht die Weltwirtschaftskrise über Deutschland herein mit dramatischen Folgen. Die Koalition streitet – vordergründig über die Arbeitslosenversicherung, im Kern jedoch um die Frage, wer in dieser Krise Opfer bringen soll. Müllers SPD, 1928 mit dem Slogan „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ erfolgreich, lehnt weitere soziale Kürzungen ab, die Liberalen schützen ihre Klientel in der Wirtschaft – Manches bleibt eben ewig aktuell.

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Am 27. März 1930 tritt Müller zurück – als letzter parlamentarisch legitimierter Reichskanzler der Weimarer Republik. „Ihm folgte Heinrich Brüning“, schreibt 1976 Müllers späterer Nachfolger im Kanzleramt, Helmut Schmidt, unter Hinweis auf den ersten der vier Reichskanzler, die fortan mit Notverordnungen regieren: „Und nach Brüning kamen Papen, Schleicher – und Hitler.“

Straßenname in Mannheim und Gedenktafel in Berlin

Das Hereinbrechen der NS-Barbarei über Deutschland 1933 erlebt Müller nicht mehr: Er stirbt am 20. März 1931 mit nur 54 Jahren an den Folgen eines Gallenleidens, das er während der Koalitionskrise verschleppt hat. Der Reichspräsident, der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall von Hindenburg, verweigert dem Sozialdemokraten einen Staatsakt – und die Reichswehr das letzte Geleit. Das geben ihm dafür 350 000 Bürger zu seiner Grabstätte auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde.

Doch auch die zweite deutsche Demokratie ehrt Müller eher bescheiden. 1979 benennt seine Heimatstadt Mannheim eine Schnellstraße nach ihm. An seinem Sterbehaus in Berlin befindet sich seit 2011 eine Gedenktafel, eingeweiht von Frank-Walter Steinmeier, damals Chef der SPD-Bundestagsfraktion.

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Im Vorfeld des 100. Jahrestages von Müllers Amtsantritt als Außenminister ergreift der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) 2019 die Initiative zu einer Ehrung. Nach Müller benannt werden soll das „Staatsminister-Foyer“, in dem die Parlamentarischen Staatssekretäre, im Auswärtigen Amt „Staatsminister“ genannt, ihre Gäste empfangen.

2021 erfolgt die Einweihung – wegen Corona jedoch im ganz kleinen Kreise: „Vermutlich hätte Hermann Müller für die Vorsichtsmaßnahmen Verständnis gehabt“, zeigte sich Annen damals überzeugt, „fiel seine Amtszeit doch in die Endphase der sogenannten Spanischen Grippe mit Millionen von Toten weltweit.“

Die Stadt Mannheim ist weder informiert noch vertreten, aber natürlich dankbar: „Wir freuen uns sehr“, erklärt der damalige Oberbürgermeister Peter Kurz, „dass ein Foyer des Auswärtigen Amtes nach dem in Mannheim geborenen Hermann Müller benannt wurde.“

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