Die Aufgabe hat es in sich: Wie bereiten Bund, Länder und Kommunen Menschen auf Gefahrensituationen vor, ohne dass Menschen in Gefahrensituationen nur an eine Übung glauben? Am Dienstag hat sich gezeigt: Mannheimer und Mannheimerinnen können mit dem Sirenenalarm wenig anfangen. Die einen haben Fenster aufgerissen, um zu hören, was zu hören war – die anderen haben die Sirene gehört, blieben aber auf Neckarwiese oder im Außenbereich von Restaurants sitzen.
So unklar knapp eine Woche nach dem Chemieunfall die Ursache noch ist, so klar war schnell: Die Stadt hat die Lage als derart gefährlich eingeschätzt, dass sie die Bevölkerung gewarnt hat – die aber hat das kaum ernstgenommen. Wie man sich in einem solchen Fall richtig verhält, wissen also nur die wenigsten.
Mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal muss man nach dem Chemieunfall festhalten: Der Bund hat es noch immer nicht geschafft, ein für alle einfach zu verstehendes Warnsystem zu etablieren. Die Apps Katwarn und Nina sind nach wie vor auf zu wenigen Smartphones installiert. Weil sich außerdem Unwetter- mit Akutwarnungen vermischen können, droht hier schnell eine Abstumpfung. Das Sirenensystem mag (inzwischen) zwar praktisch funktionieren – die gewünschte Wirkung ist aber ausgeblieben.
Gerade in Städten wie Mannheim, in denen Menschen aus aller Welt und auch mit nicht immer zur Genüge ausgeprägten Deutschkenntnissen leben, ist der Hinweis, auf Radiodurchsagen zu achten, ebenfalls wenig zielführend. Zwar gibt es mindestens einen türkischsprachigen Sender in der Region, gerade in betroffenen Gebieten aber sehr viel mehr Nationalitäten. Die Verwaltung muss auch die Frage klären, weshalb die Broschüre zum „Verhalten in Störfällen“, die immerhin in mehreren Sprachen verfügbar ist, offenbar kaum Beachtung gefunden hat. Macht es Sinn, die Broschüre ein zweites Mal zu verteilen? Das Bedürfnis nach Informationen dieser Art dürfte in der Stadt aktuell jedenfalls so hoch sein wie lange nicht mehr.
Die Frage, weshalb es noch immer nicht möglich ist, alle im Bereich von Funkmasten registrierten Handys mit einem lauten SMS-Ton zu warnen, muss indes allen voran der Bund beantworten. Polen, Niederlande, Frankreich oder Italien etwa nutzen ein solches System bereits. In Deutschland soll der Cell-Broadcast-Dienst im Dezember immerhin getestet werden – bis es so weit ist, vergeht aber trotzdem noch eine Menge Zeit.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Unvorbereitet bei Gefahr
Sebastian Koch zu Warnungen in Gefahrensituationen