Mannheim. Sirenen heulen, die Stadt sowie die WarnApps Nina und KatWarn haben eine Gefahrenzone vermeldet, und auch in den lokalen Medien geht es am Dienstagabend hauptsächlich um eins: den Giftstoffaustritt im Mannheimer Hafen. Eine Situation, die durchaus Potenzial hätte, eine Panik auszulösen, lässt die Menschen auf der Neckarwiese und dem Alten Meßplatz aber dennoch völlig sorglos – und das, obwohl sie sich später am Abend in der Gefahrenzone befinden. Die Polizei hatte diese gegen 18.30 Uhr auf einen 1,3-Kilometer-Radius um den Hafen erhöht.
Am Rand des Sicherheitsabstandes, in der Nähe der Kurpfalzbrücke, ist nichts von dem ausgetretenen Schwefeloxid zu merken. Dementsprechend sind nicht unbedingt weniger Menschen unterwegs als an jedem anderen Dienstagabend. Auf der Neckarwiese liegen Grüppchen von Menschen verteilt. „Wir machen uns keine Sorgen“, sagt eine junge Frau, die sich mit Freunden einen schönen Abend macht. Sie haben von dem Chemikalienaustritt gehört, sind aber noch recht entspannt. „Wir beobachten die Windrichtung“, erklärt eine von ihnen, sie zeige derzeit nicht in ihre Richtung. Eine Frau auf dem Alten Meßplatz sagt indes: „Hört sich noch nach einem spannenden Abend an.“
Auch Jaqueline Kickhöfer ist unbesorgt. Eine Freundin, die direkt im Jungbusch wohnt, habe sie per Handy über die Situation am Hafen informiert. Sie selbst wohne in der Innenstadt und habe keine Sorge, noch mit der Familie und den Hunden am Neckar spazieren zu gehen.
Ein Paar, das sich auf einer Bank unterhält, hat auch fünf Stunden nach der ersten Meldung noch nichts von dem Gefahrgutaustritt mitbekommen, freut sich allerdings darüber, nun Bescheid zu wissen. Wie ihnen geht es auch einigen ukrainischen Flüchtlingen. Sie sprechen kein Deutsch und wüssten nicht, was die Sirene bedeutet habe, gibt einer zu verstehen. Die Ukrainer spielen – allerdings außerhalb des Radius – Tischtennis in der Nähe des Collini-Centers.
Beamte im Nobelrestaurant
Weniger ruhig verläuft der Tag für andere: „Plötzlich standen Polizisten in Schutzanzügen auf der Terrasse“, berichtet ein Mitarbeiter der Bar im Speicher 7. Der Servicekraft ist am Mittwochmorgen der Schreck vom Vortag noch deutlich anzumerken: „Das war gestern so gegen 18 Uhr. Und wir mussten schnell handeln.“ Schließlich hatten sich nicht nur Gäste für die Tapas-Lounge angesagt. Vielmehr waren auch 16 Personen von einer Reisegruppe vom Flughafen Frankfurt auf dem Weg zum gleichnamigen Hotel im Hafen.
Die Beamten fordern die Teams der Bar und der Nobelherberge sowie des Sternerestaurants Marly auf, ihre Betriebe zu schließen. „Unsere Hotelgäste waren angesichts der Gefahrenlage sehr verständnisvoll. Aber wir mussten sie ja irgendwie in andere Resorts umquartieren.“ Das sei gar nicht so leicht gewesen, denn wegen der Straßenabsperrungen seien etliche Unterkünfte vom Verkehr abgeschnitten und nicht erreichbar gewesen.
Am Nachmittag nach dem Vorfall laufe jedoch der Betrieb in den Gastrobereichen und in dem stylischen Domizil in der Rheinvorlandstraße 7 wieder wie gewohnt. Das gilt auch für das Hagestolz und die Odeon-Bar. „Wir können jetzt alle auf den Schrecken anstoßen. Und vor allem hoffen, dass sich die verletzten Rettungskräfte schnell erholen“, sagt Abian Hammann. Bereits um 16 Uhr erreichen den Geschäftsführer der Bars in der Jungbuschstraße und in G 7 erste Nachrichten von dem Chemieunfall.
Nach Rücksprache mit seinem Compagnon Paul Sieferle, der zur Zeit in Frankreich Urlaub macht, „haben wir beschlossen, die Schotten ab 19 Uhr dicht zu machen“. Das seien die Gastwirte der Sicherheit von Personal und Gästen schuldig gewesen: „Bei einem Giftgasalarm mit einer Radius-Reichweite von 800 Metern ist solch eine Entscheidung ja wohl klar.“ Schließlich seien die Straßen wie leer gefegt gewesen: „Wer hat da schon Lust auf einen Barbesuch.“ Er selbst muss nur bis 16 Uhr arbeiten. Aber er habe bereits auf dem Weg nach Hause im Bereich rund um den Ring einen merkwürdigen Geruch wahrgenommen: „So, als hätte jemand Böller abgeschossen.“ Erst danach seien auch Rettungskräfte und etliche Krankenwagen unterwegs gewesen.
Auch das Hafenrestaurant Die Küche sowie der Burgerladen St. James, die beide direkt am Kanal in der Hafenstraße liegen, müssen am Dienstag schließen – bevor sie überhaupt ihre Türen öffnen können. Dass etwas nicht stimmt, merkt die Belegschaft etwa in der Küche, als die Polizei direkt vor dem Eingang eine Absperrungen errichtet. Nachgefragt erklären die Polizisten: Die Gäste dürften nicht draußen auf der Terrasse sitzen – wegen der Giftwolke. Weil durch das Verkehrschaos aber kaum jemand mehr den Jungbusch erreicht und auch die Polizei empfiehlt, sich im Innenbereich aufzuhalten, beschließen die Betreiber dann, zu schließen. Zwar habe es eine Durchsage gegeben, Fenster und Türen zu schließen. Evakuiert worden sei man aber hier nicht, so eine Mitarbeiterin. Einen Tag danach läuft der Betrieb wieder, seien die Messungen hier nicht auffällig.
Keine Evakuierung im Wohnheim
Gar nichts bemerkt hatte Nico Walter, Betriebsleiter der Manufaktur, ehemals Playa del MA. Schließlich ist der Beachclub an der Industriestraße 35 ohnehin bis Freitagabend geschlossen. „Gott sei Dank. Man muss doch nach den ganzen Corona-Einbußen auch mal Glück haben“, findet der Gastronom, der nun mit seinen Kollegen hofft, dass es allen Verletzten inzwischen wieder gut geht.
Das Studierendenwerk teilt mit, dass die Lage in Wohnheimen „entspannt“ sei. „Bislang haben uns keine Fragen der Mieterinnen und Mieter erreicht.“ Auch sei es zu keinen Evakuierungen gekommen. Zum beginnenden Semester seien die Heime voll ausgelastet – wie viele Bewohner aber tatsächlich vor Ort waren, sei nicht bekannt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar zum Chemieunfall Warnungen ernst nehmen!