In Mannheim hat der Stoff Hydrosulfit, den die BASF am Hafen lagerte, am Dienstag für einen Großeinsatz gesorgt – der immer noch andauert. Sirenen waren zu hören, in der Stadt entstanden viele Staus, weil die Gebiete rund um den Handelshafen abgesperrt und evakuiert wurden. Doch was ist Hydrosulfit eigentlich – und wie gefährlich ist der Stoff?
In der Industrie wird der Stoff unter anderem zum Einfärben von Jeans verwendet. Hydrosulfit wird in der Chemie auch Natriumdithionit genannt und ist ein wasserlösliches Salz. „Hydrosulfit ist ein Trivialname“, erklärt Till Opatz, Chemie-Professor an der Universität Mainz. Denn für den Stoff gibt es viele Bezeichnungen. „Blankit, Natriumhyposulfit, Unterdischwefligsaures Natrium, Natriumhypodisulfit“, findet sich beim Stichwort „andere Bezeichnungen“ im Sicherheitsdatenblatt des Stoffes dazu.
Es handelt sich dabei um eine Substanz, die in der Industrie genutzt wird. Außerdem hängt die Redewendung „blaumachen“ damit zusammen. Hydrosulfit wird beispielsweise beim Färben von Jeanshosen eingesetzt. Die dunkelblaue Farbe Indigo wird durch das Hydrosulfit als chemisches Hilfsmittel auf die Fasern aufgetragen. Dafür wird die Hose mit Hydrosulfit getränkt, wodurch der Farbstoff Indigo farblos wird. Ist der Stoff einmal in die Faser eingedrungen, übersteht das Blau der Jeans auch den Waschmaschinengang. Aber was hat das mit „blaumachen“ zu tun?
Rolle von Regen
Früher sei anstelle von Hydrosulfit im Übrigen mit gärendem Urin gearbeitet worden, erklärt Opatz. Die chemischen Stoffe von heute reagierten wesentlich schneller im Färbeprozess. Früher mussten die Färber die Tücher erst lange raushängen und warten, bis der Urin die blaue Farbe in den Fasern entfaltete. Und weil das eben dauerte, machten die Arbeiter in dieser Zeit Pause – die Redewendung „blaumachen“ entstand. Hydrosulfit kann heutzutage aber auch zum Entfärben genutzt werden.
Aber zurück in die Gegenwart: Der Stoff, der am Handelshafen einen Großeinsatz auslöste, ist als Gefahrstoff klassifiziert. „Erhitzt sich der Stoff in großen Mengen, wird Schwefeldioxid freigesetzt“, erklärt Opatz. Genau das ist offenbar in Mannheim passiert. Schwefeldioxid kommt zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. Und wie so oft macht hier die Verwendung und Menge eines Stoffes das Gift. Der Prozess des Schwefelns etwa werde bei der Herstellung von Trockenfrüchten genutzt, erklärt der Chemiker.
„Auf diese Schwefeldioxide reagieren manche allergisch. Das kann Symptome wie bei Asthma auslösen und auch die Augen reizen“, erläutert Opatz. Über dem Handelshafen breitete sich eine 150 Meter hohe Wolke aus, die das reizende Schwefeldioxid enthielt. Als Gas ist diese Substanz wasserlöslich, weshalb die Einsatzkräfte den Stoff mit Wasser binden. „Treffen die Moleküle auf Wasser, binden sie sich, und der Schwefel kann abregnen“, schildert Opatz. „Hätte es geregnet, wäre das gar nicht so schlecht gewesen“, meint er.
Die Rede ist von rund 22 Tonnen
Der Chemiker hat im Labor schon selbst mit Hydrosulfit gearbeitet – allerdings mit kleineren Mengen. Und selbst „damit sollte immer nur geschultes Personal umgehen. Außerdem gilt: Je größer die Menge, desto vorsichtiger muss man sein, weil sich damit andere Gefahren ergeben“, erklärt er. Ist die Menge groß, müsse man vorsichtig sein, da sich die Wärme dann besonders staut – und so gefährlich wird. Im Fall von Mannheim lagerten nach BASF-Angaben 200 Fässer im Container am dortigen Handelshafen. Bei der am Mittwoch einberufenen Pressekonferenz sprechen die Zuständigen von rund 22 Tonnen.
Im Labor wird Hydrosulfit nicht gesondert gelagert, so Opatz. Stoffe, die im Gegensatz zu Hydrosulfit einen Totenkopf als Gefahrensymbol haben, landen indes in einem abschließbaren Giftschrank, sagt er. „Ich verstehe die Besorgnis, und die Vorsichtsmaßnahmen sind total berechtigt. Aber als Chemiker hätte ich nicht so große Sorge vor dem Stoff.“
Noch mehr Container vor Ort?
Für die Lagerung im Hafen bedarf es Genehmigungen, so Rechtsanwalt Hans-Jürgen Müggenborg. Der Jurist ist Experte für Umwelt- und Technikrecht. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz legt fest, wie der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen geregelt ist. „Im Fall von Mannheim könnte man also klären, ob die Genehmigungen vorlagen.“
Marco Speksnijder von der Firma Contargo, die für den Handelshafen zuständig ist, gibt an, dass sämtliche Genehmigungen vorgelegen haben sollen. Der Container der BASF sollte am nächsten Tag weiterverladen werden. Ob noch weitere Container mit Hydrosulfit im Hafen lagern, dazu wollte der Geschäftsführer keine Angaben machen. „Wir haben den Stoff bisher immer so gelagert“, fügt er an. Auf die Frage nach der Menge der im Hafen gelagerten Fässer, erklärt die BASF: „Wir haben jahrelange Erfahrung mit dem Umgang von Gefahrstoffen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach Chemieunfall im Mannheimer Jungbusch: Die Arbeit kommt erst noch