Als ich heute Morgen mit dem Zug zur Arbeit fuhr, hörte ich wie eine Frau einer aus der Ukraine geflüchteten Mutter mit ihrem Sohn erzählte, dass es hier im Winter um diese Zeit früher immer Schnee gab. In den letzten Jahren sei das aber nicht mehr so.
Da ist er wieder – der Klimawandel. Vielleicht geht es Ihnen auch so, dass Sie den Eindruck haben, wir kommen aus den Krisen gar nicht mehr heraus. Extremwetterereignisse, Pandemie, Krieg, Inflation, was soll denn noch alles kommen? Und viel wichtiger die Frage – wie soll man das eigentlich alles aushalten und trotzdem bei guter Laune bleiben?
Dauerfreude gibt es nicht
Müssen wir das? Wir leben in einer Gesellschaft, die sich jahrelang das Märchen erzählt hat, dass wir in unserem Wohlstand und Frieden immer glücklich sein sollen. Das geht leider nicht. Und das ist auch gut so. Nur mit dem gesamten Spektrum emotionaler Reaktionen sind wir als Menschen evolutionär gut ausgerüstet. Dauerfreude gibt es nicht. Unangenehme Emotionen wie Wut, Trauer, Angst, Schuld oder Scham sind teil unserer evolutionären Ausstattung, weil sie uns sagen, was wir nicht wollen – was wir vermeiden, wovor wir fliehen oder was wir bekämpfen müssen. Ohne sie wären wir ziemlich aufgeschmissen. Die Abwesenheit von Emotionen kenne ich als Psychotherapeutin nur aus einem Kontext – von Menschen mit schweren Depressionen. Da ist keine emotionale Regung mehr, aber eben auch keine Motivation und kein Antrieb.
Als Einzelperson kann ich den Klimawandel nicht aufhalten.
Unsere Emotionen machen uns die Hummeln im Hintern, uns um unsere Bedürfnisse zu kümmern und unsere Werte zu leben – gerade die unangenehmen Emotionen. Angenehme Emotionen brauchen wir natürlich auch, sie zeigen uns, was uns guttut, wo wir hinwollen und erlauben uns Kreativität und Lernprozesse. Wir brauchen beides.
Zurück zu den Krisen unserer Zeit – wenn es uns auf die Stimmung schlägt, dass die Lebensgrundlagen vor die Hunde gehen, dann ist das nachvollziehbar und gut so. Sonst würden wir ja nicht vom Sofa hochkommen und nichts ändern. Das Problem mit Klimagefühlen – unseren emotionalen Reaktionen auf die Klimakrise – sind also nicht die Gefühle an sich, sondern unser Umgang mit ihnen.
Wir haben häufig keine vielversprechenden Veränderungshebel. Wenn ich auf das eine Steak verzichte, wird der Amazonas trotzdem für Soja abgeholzt. Und es soll mir mal einer glaubhaft erklären, wie man mit einer Spende oder einer Petitionsunterschrift wirklich die Welt retten kann.
Mit dieser Ausweglosigkeit in einem gesellschaftlichen System, dass uns klimaneutrales Leben nicht möglich macht, fühlen wir uns ohnmächtig. Man kann noch so akribisch an seinem CO2-Fußabdruck herumdoktern, er wird nicht unter die planetar verträglichen 1,5 Tonnen kommen. Und das ist der Moment an dem wir verstehen, dass die Individualisierung globaler, kollektiver Probleme ihre Haken hat. Als Einzelperson kann ich den Klimawandel nicht aufhalten und es ist auch nicht meine individuelle Schwäche oder Sensibilität, wenn ich davon überfordert bin oder resigniere.
Teil einer Gemeinschaft
Hier verfallen wir einem typischen Narrativ unserer individualistischen Gesellschaft – jeder ist seines Glückes (und CO2-Fußabdruck) Schmied. Jein. Wir müssen wieder verstehen was es bedeutet, dass wir nicht nur ein Individuum, sondern auch Teil einer Gemeinschaft sind – soziale Wesen in einer Gesellschaft. Wir sind „die Gesellschaft“, „die Wirtschaft“ und als Bürgerin und Bürger einer Demokratie der Souverän dieses Landes – irgendwie sind wir also auch „die Politik“.
Und wir müssen der Verantwortung gerecht werden, die damit einhergeht. Der Verantwortung nicht nur für unseren individuellen Konsum, sondern für die gesellschaftliche Transformation. Ergebnis einer Studie ist, dass das Erleben kollektiver Selbstwirksamkeit – die Erfahrung, dass ich mit anderen etwas bewegen kann – das Gegengift gegen Klimaangst und Krisenüberforderung ist.
Die Gastautorin
Die Verhaltenstherapeutin und Psychologin Katharina van Bronswijk ist seit 2009 im Klimaschutz aktiv, unter anderem bei Greenpeace.
Sie studierte in Heidelberg und Berlin und betreibt heute eine eigene Praxis in der Lüneburger Heide.
Als Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future ist sie gut vertraut mit den komplexen Zusammenhängen zwischen Umweltkrisen und psychischer Gesundheit, zu denen sie regelmäßig Vorträge hält, Interviews gibt und publiziert.
Zuletzt ist ihr Buch „Klima im Kopf. Angst, Wut, Hoffnung: Was die ökologische Krise mit uns macht“ im oekom Verlag erschienen.
Wenn wir mit anderen gemeinsam die großen Veränderungshebel entdecken und bewegen, dann können wir diese Krisen und die Transformation bewältigen. Wir haben ein ganzes Pult voller Veränderungshebel vor uns: Bürgersprechstunden, social media posts, Demonstrationen, Vereinsarbeit, soziales Engagement. Wir müssen sie nur bewegen.
Für die Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit unserer Gesellschaft ist es da nicht nur sinnvoll, sich für andere Business Modelle im Beruf oder für die Energiewende einzusetzen. Alle die, die den Kitt unserer Gesellschaft stärken, sind auf Dauer genauso wichtig: Rettungssanitäterinnen und -sanitäter, Künstlerinnen und Künstler, ehrenamtliche Fußballtrainerinnen und -trainer, um nur ein paar zu nennen.
Für das Jahr 2023 würde ich mir wünschen, dass wir aus dem Erdulden der permanenten Krisen herauskommen, uns ein Herz fassen, in die Hände spucken und loslegen. Die Zukunft könnte so viel schöner sein als wir sie uns heute vorstellen.
Die Zukunft könnte so viel schöner sein als wir sie uns heute vorstellen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/meinung/debatte_artikel,-debatte-hat-unsere-angst-auch-etwas-gutes-frau-van-bronswijk-_arid,2032158.html