Debatte

Wie sieht eine biobasierte Welt aus?

Nachhaltige Mode aus Bäumen, CO2-negative Baustoffe aus Pilzen und kompostierbare Verpackungen aus Algen? Die kreislaufbasierte Bioökonomie zeigt, wie wir schon heute ohne fossile Rohstoffe auskommen

Von 
Markus Petruch, Dominik Walcher
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Pflanzen, Tiere, Bakterien oder Abfall sollen den Einsatz von fossilen Energieträgern und damit den CO-Ausstoß reduzieren und unser Wirtschaftssystem klimafreundlicher machen – diese Idee steckt hinter der Bioökonomie. © Istock

Die Zukunft wirkt in diesen Tagen zwischen Corona, Krieg und Klimakatastrophe so düster wie lange nicht mehr. Zwischen all den Schreckensmeldungen vergessen wir manchmal, dass die Zukunft nicht alternativlos ist. Es gibt viele gute Ansätze, um auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Einer davon ist die Bioökonomie, die einen Weg beschreibt, wie wir uns von fossilen Energien und Materialien befreien und stattdessen das nutzen, was die Natur uns bietet.

„Wir sorgen uns um Mikroplastik, während wir erdölbasiertes Kaugummi kauen“

Zugegeben, der Begriff ist sperrig. Er beschreibt aber ganz einfach eine Wirtschaftsweise, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen statt fossiler Rohstoffe nutzt. Zwar gab es 2020 und 2021 die Wissenschaftsjahre der Bundesregierung mit Fokus auf Bioökonomie, so richtig bekannt ist die Thematik aber noch nicht. Kein Wunder, schließlich waren Erdöl, Gas und Kohle fast 200 Jahre lang die nicht in Frage gestellten Zauberstoffe, auf denen der Wohlstand unserer modernen Welt aufgebaut ist. Sie liefern energiereiche, billige Brennstoffe und haben in Form von Kunststoffen unseren Alltag revolutioniert.

Die Gastautoren

Dominik Walcher hält die Professur für Marketing und Innovationsmanagement im Studiengang Design und Produktmanagement der Fachhochschule (FH) Salzburg und ist Research Associate am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Boston. Schwerpunkte seiner Forschung, Lehre und Beratung sind Marketing, Innovationsmanagement, Trend- und Zukunftsforschung sowie zirkuläre Wertschöpfung. Er war Mitbegründer eines Start-ups für öko-intelligente Produkte.

Markus Petruch ist gelernter Tischler sowie Diplom-Ingenieur für Holztechnologie und arbeitet am Nachhaltigkeitscampus Kuchl der FH Salzburg. Er beschäftigt sich mit innovativen Materialien, kreislaufbasierter Bioökonomie und der Kommunikation dieser Themen in verschiedenen Formaten.

Ihr gemeinsames Buch „Der Stoff, aus dem die Zukunft ist. 101 Produkte aus erneuerbarem Kohlenstoff“ ist vor Kurzem im FinanzBuch Verlag (FBV) erschienen.

Zwar gehen nur rund 20 Prozent des Erdöls in die chemische Industrie zur Weiterverarbeitung, dennoch ist es in jedem Lebensbereich zu finden: in synthetischen Textilien, Folien, Hautcremes, Kunstdünger, Medikamenten, Matratzen, Reinigungsmitteln, Lacken und Asphalt bis hin zu den Druckfarben der Zeitung. Wir sorgen uns um Mikroplastik in unserer Nahrungskette, während wir erdölbasiertes Kaugummi kauen.

Nun aber hat sich die heiße Affäre mit den fossilen Rohstoffen in eine toxische Beziehung verwandelt. Als kurzlebige Verpackung, die meist in der Müllverbrennung landet, oder schnell verheiztes Benzin wird fossiler Kohlenstoff innerhalb weniger Monate in Form von CO2 in Luft geblasen und treibt den Klimawandel weiter voran. Zudem machen wir uns abhängig von Staaten, die über diese Ressourcen verfügen. Wie also raus aus dem fossilen Rausch?

Statt dem fossilen Kohlenstoff in Form von Erdöl, Gas und Kohle arbeitet eine biobasierte Wirtschaft nur mit dem, was Teil des schnellen Kohlenstoffkreislaufs an der Erdoberfläche ist und sich innerhalb menschlicher Zeithorizonte wieder erneuert. Also alles, was in Wald, Wiesen, Feldern und Meer zu finden ist. Lange wurde die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich verschlafen, derzeit ändert sich das rasant. Nicht nur Deutschland, sondern mehr als 60 Staaten haben mittlerweile eine nationale Strategie beschlossen, um auf ein biobasiertes Wirtschaften umzuschwenken.

Das Konzept ist nicht neu – schließlich hat die Menschheit die längste Zeit ihrer Geschichte nichts anderes genutzt als die Natur um sie herum. Holz war Baumaterial, Schafe lieferten Wolle, aus Weidenruten wurden Körbe geflochten, Bakterienkulturen ließen den Sauerteig gehen und Hefepilze fermentierten die Maische zu Bier. Bis zu den Zeiten unserer Urgroßeltern und der großen „Plastikschwemme“ nach dem Zweiten Weltkrieg waren kaum Kunststoffe im Haushalt zu finden.

Zusätzlich zu dieser „traditionellen“ Form der Bioökonomie stehen uns heute aber neue Technologien und ein besseres naturwissenschaftliches Verständnis zur Verfügung. Wie also sieht der Wandel konkret aus?

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Der Baubereich ist der größte Abfallverursacher und CO2-Produzent. Dank biobasierter Baustoffe, allen voran Holz als wichtigstem nachwachsenden Rohstoff, können Gebäude aber zu Langzeitspeichern für CO2 werden, welches der Baum während seines Wachstums der Atmosphäre entzogen hat. Mit hochleistungsfähigen Holzwerkstoffen statt energieintensivem Beton entsteht eine völlig neue Form der Architektur: In Berlin wird derzeit ein fast 100 Meter hohes Holzhochhaus geplant, in vielen deutschen Städten werden ganze Holzbauquartiere gebaut.

Auch für die Modebranche, die auf viele tausende Chemikalien in ihren Herstellungsprozessen angewiesen ist, ergeben sich große Chancen für mehr Nachhaltigkeit. So können ungiftige Pigmente aus Mikroalgen und Bakterien zum Färben von Stoffen eingesetzt werden, die nicht so schnell ausgewaschen werden. Viele junge Designerinnen und Designer gehen wieder zurück zur Natur und nutzen biologische Fasern: strapazierfähige Nesseln als Bezugsmaterialien oder auch schnellwachsenden Hanf, der weniger wasser- und transportintensiv ist als Baumwolle. Auch bahnbrechende Materialinnovationen gehören dazu, wie beispielsweise ein bakteriell produziertes Hochleistungsgarn oder hautfreundliche Textilien aus Algen, die in wiederverwendbaren Windeln zum Einsatz kommen.

„Das fossile Zeitalter geht zu Ende. Nicht aus Mangel an Ressourcen, sondern weil wir bessere Alternativen haben“

Im Haushalt gibt es ebenfalls jetzt schon viele biobasierte Alternativen. Versandboxen mit wiederverwendbaren und heimkompostierbaren Polstern aus Stroh statt Styropor helfen dabei, die Plastikflut bei Verpackungen einzudämmen. Bei Putzmitteln muss es nicht immer die chemische Keule sein: Die schmutzlösende Kraft der Oxalsäure aus der roten Bete kommt in Form eines effektiven Haushaltsreinigers zum Einsatz. Schon seit längerer Zeit enthalten Waschmittel Enzyme, die Schmutz auf der Kleidung schon bei niedrigen Temperaturen abbauen und somit zum Energiesparen beitragen.

Auch für die Ernährung ergeben sich neue und klimaschonendere Perspektiven. Ein Beispiel ist ein proteinreicher Fleischersatz, der aus Bakterien gewonnen wird, die sich von CO2 aus der Luft ernähren. Makroalgen werden als nährstoffreiches Superfood gehandelt und können ohne Landfläche zu verbrauchen und ohne zusätzliche Energie oder Dünger im Meer angebaut werden. Auch Insekten können Teil der Lösung sein, wenn es darum geht, bald 10 Milliarden Menschen mit ausreichend Protein zu versorgen.

Die Liste von biobasierten Innovationen, die heute schon Realität sind, lässt sich beliebig fortführen: samtweiche Unterwäsche aus Buchenholz, Möbel aus Resten der Cornflakesproduktion, kompostierbarer Kunststoff aus Fischabfällen, Karosserien aus naturfaserverstärkten Biokunststoffen, veganes Pelzmaterial aus Rohrkolben, wärmedämmende Ziegelsteine aus Pilzmyzel, Fahrradreifen aus Löwenzahn, modische Taschen aus Orangenresten und erdölfreies Kaugummi aus Kiefernharz, um nur einige interessante Entwicklungen zu nennen.

Bei allem Innovationsgeist ist das biobasierte Wirtschaften nicht ohne Herausforderungen. Unseren überbordenden Konsum einfach auf biologische Quellen umzustellen, wäre fatal. Dafür reicht der Planet nicht aus und das Wunderwerk der Natur verkäme zum plumpen Rohstoffbuffet für einen kaum zu sättigenden Rohstoffhunger. Deswegen kann die Bioökonomie nur in Form einer Kreislaufwirtschaft gelingen: Alles, was der Natur entnommen wird, muss so lange wie möglich im Kreislauf der Verwendung zirkulieren, und jeder Reststoff ist Grundstoff für etwas Neues. Dafür müssen wir nicht nur unsere Abfallsysteme umdenken, sondern auch unsere Konsummuster und unseren Rohstoffverbrauch.

Wie genau die bioökonomische Zukunft aussieht und wie schnell der Wandel passieren wird, ist schwer vorherzusagen. Noch immer verfeuern wir Unmengen an Erdöl, Gas und Kohle. Besonders dieses Jahr wurde uns unsere fossile Abhängigkeit schmerzlich bewusst. Fakt ist aber, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht. Nicht aus einem Mangel an Ressourcen – auch wenn es derzeit beim Gas so scheint – sondern, weil wir bessere Alternativen haben.

Das Wirtschaften auf der Basis von lokalen, nachwachsenden Rohstoffen und erneuerbaren Energien bietet nicht nur eine große Vielfalt an klimafreundlichen und nachhaltigen Materialien, sondern auch eine bessere Resilienz gegenüber Krisen. Unsere Lieferketten werden diverser und die Regionalität wird gestärkt.

„Eine weitere erneuerbare Ressource, die für ein besseres Morgen unerlässlich ist: eine gesunde Portion Optimismus“

Es ist also nicht alles so düster, wie es in diesen Tagen scheint. Im Bereich der Bioökonomie arbeiten bereits jetzt viele innovative Macher, visionäre Vordenker, etablierte Unternehmen und kreative Start-ups an der post-fossilen Welt – ebenso wie Menschen in der Forst-, Land-, und Meereswirtschaft, die die Grundstoffe dafür produzieren.

Ein wenig Zukunftsoptimismus tut gut und kann inspirierend wirken, besonders angesichts der kurzen Zeiträume, die uns verbleiben, um auf ökologische Herausforderungen zu reagieren. Denn neben Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen gibt es noch eine weitere erneuerbare Ressource, die für ein besseres Morgen unerlässlich ist: eine gesunde Portion Optimismus.

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