Zeitzeichen Vermiedener Weltuntergang

Als „Kriegsende“ ist der 8. Mai in unserem Sprachgebrauch bekannt. Unser Kolumnist fragt, ob es nach 80 Jahren nicht auch für Deutsche etwas zu feiern gibt.

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Ralf-Carl Langhals
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„Am 30. Mai ist der Weltuntergang“ - so lautet er Titel eines Gassenhauers, der diese altertümelnde Bezeichnung verdient, da er in den 1950er Jahren bundesweit beliebt wurde, als man noch nicht von „Hits“ sprach. Das muntere Trinklied hat allerdings einen sehr ernsten Hintergrund, nämlich die erste gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Flächenbombardierung der Stadt Köln in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942.

Feierlichkeiten zum VE-Day auf der ganzen Welt

Auf die doppelte Refrain-Zeile „Wir leben nicht mehr lang“ folgt die Einschränkung, dass der Tag zwar feststehe, die Jahreszahl allerdings offen sei, was man daher kräftig begießen solle. Nun ja, bekanntlich dauerte es knapp drei Jahre, bis am 8. Mai 1945 die vollständige Kapitulation der deutschen Wehrmacht erfolgte und die Stunde Null anbrach. Das ist nun 80 Jahre und somit nur ein Menschenalter her.

Im Fernsehen sehen wir Bilder von den damaligen Alliierten, pompöse russische Militärparaden und jubelnde Briten, die den VE-Day, den „Sieg-in-Europa-Tag“, jeweils auf ihre Weise feiern, der in vielen Ländern „Tag der Befreiung“ heißt und in Frankreich, Tschechien und der Slowakei auch offizieller Feiertag ist.

Ein Tag der Dankbarkeit und Erleichterung

In Deutschland sprechen wir lediglich vom „Kriegsende“, nicht von einer Befreiung. Wir legen Kränze an Gedenkstätten für vom NS-Regime getötete, verfolgte und verfemte Opfer dieses Menschen verachtenden Systems nieder. Wir senden kanalübergreifend Dokumentationen über die historischen Abläufe, Interviews mit Zeitzeugen. Das ist gut so, denn ein Vergessen soll hierzulande nicht sein. Doch gäbe es gerade hier nicht genug Grund zu Dankbarkeit und Eleichterung, dass das „1000-jährige Reich“ mit seiner perversen Ideologie verhindert wurde, dass das große Morden und Sterben endlich endete, dass Kinder und Enkel in Freiheit und Demokratie aufwachsen konnten? Macht all dies ein gedenkendes Feiern nicht auch für Deutsche möglich? Ein anderes als in den Ländern, die überfallen wurden freilich. Wäre der 8. Mai nicht auch eines deutschen Feiertags würdig?

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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