Fantasy-Motive bleiben gefragt. Altmeister wie Polanski und Kubrick haben sie genutzt, ehe sie in Erfolgsfilmen wie „Twilight“ oder auch im Serienformat aufgegriffen wurden. Im vergangenen Jahr wurde beim Internationalen Filmfestival Goran Stolevskis „You won’t be alone“ mit dem „Newcomer Award“ geehrt, eine mythische Geschichte um Hexen und Menschen. Und dieses Jahr konkurriert im Wettbewerb „On the Rise“ unter anderem „Bitten“ (La Morsure) des Franzosen Romain de Saint-Blanquat um den Preis - ein Debütfilm, der mit dem Vampir-Mythos spielt.
Klarerweise dient der Mythos dabei immer auch als Spiegel allgemeiner Themen: Stolevski hinterfragt Geschlechterrollen, und „Bitten“ ist im Grunde eine Initiations- und Coming-of-Age-Geschichte. Der Film spielt 1967 und beginnt in einer Klosterschule, wo besonders die 17-jährige Françoise mit den strengen Glaubensregeln hadert. Alpträume plagen das Mädchen, das zur Esoterik neigt. Mit der Freundin Delphine sucht sie, was in der Schule eigentlich verboten ist - eine Beziehung zu Jungen. An Aschermittwoch flüchten sie, machen Bekanntschaft mit einem Ex-Soldaten, der im Algerienkrieg war, und besuchen eine Kostümparty.
Die konventionellere Delphine fühlt sich dort allerdings wohler als Françoise. Das ändert sich erst, als sie auf einen seltsam kostümierten jungen Mann trifft, der von sich sagt, er sei ein Vampir. In intensiven Bildern und an stimmungsvollen Orten wird die Geschichte erzählt, passend zur Handlungszeit können einen die aufbruchsbewussten Charaktere ein wenig an die französische Nouvelle Vague erinnern. Im Zentrum bleibt dabei stets die Hauptfigur, die von der jungen Léonie Dahan-Lamort überzeugend verkörpert wird.
Alles vielleicht ein Traum?
Viel ruhiger erzählt und langsam entwickelt ist dagegen das „Family Portrait“ der US-amerikanischen Regisseurin Lucy Kerr. Eine mysteriöse Wendung nimmt die Geschichte indes auch hier. Auf dem riesigen Grundstück ihrer Eltern in Texas treffen sich vier Schwestern mit eigenen Partnern und Kindern, man redet, diskutiert und spielt. Und bald, weil für manche schon wieder der Abschied naht, stellt sich die Frage, wann das titelgebende Familienporträt fotografiert werden kann.
Besonders die Mutter dringt darauf, ist alsbald aber selbst nicht mehr auffindbar. Als Tochter Katy, eindrücklich gespielt von der Kanadierin Deragh Campbell, sich auf die Suche nach ihr macht, scheint das ebenso eine Suche nach sich selbst zu werden, eine Selbstbefragung: Eher tastend bewegt sie sich durch die Natur, läuft am See entlang und immer weiter weg vom Haus, wozu der Film atmosphärische Bilder entwirft und mit einer Geräuschkulisse aus rauschendem Wind und Vogelgezwitscher unterlegt.
„Wir können den Fotos nicht trauen“, hatte der Vater zuvor programmatisch gesagt. Und wie es scheint, gilt dies auch für Bilder überhaupt und also auch für diesen Film. Ein wenig erinnert der klangbewusste Wettbewerbsbeitrag atmosphärisch an Filme von Michelangelo Antonioni. Todesfälle werden erwähnt, Naturkatastrophen. So idyllisch, wie sie anfangs wirkte, ist die familiäre Zusammenkunft nicht. Ist vielleicht der ganze Bilderstrom oder doch ein Teil davon nur ein Traum Katys? Eine Frage übrigens, die sich auch auf die Hauptfigur im Film „Bitten“ beziehen lässt.
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