Mannheim/Heidelberg. Ein bisschen ist es, als wäre die „Pushing the boundaries“-Kategorie des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg, die für sich in Anspruch nimmt, „die aufregendsten Filme von grenzsprengenden Filmkünstlerinnen und -künstler“ zu zeigen, genau für diesen Beitrag ins Leben gerufen worden: „Red Rooms“ (im Original: „Les chambres rouge“) entzieht sich konventionellen Kategorisierungen, konterkariert nahe liegende Erwartungen.
Film: Serienmorde an jugendlichen Mädchen
Er handelt - in zweiter Ebene jedenfalls - von bestialischen Serienmorden an jugendlichen Mädchen. Der Täter filmte die ihnen angetanen Gräuel, um zahlende Kunden im sogenannten Dark Web zusehen zu lassen. Aber „Red Rooms“ ist kein „Texas Chainsaw Massacre“, kein „Hostel“ oder „Seven“ - es wird hier nichts Explizites gezeigt, lediglich die Reaktionen der Zuschauenden, wenn sie besagte Videos zu sehen bekommen, krallen sich einem ins Mark.
Regisseur Pascal Plante geht es weniger um das unsagbare Verbrechen selbst, nicht um die Ermittlungen dazu oder um den Prozess, der den Ausgangspunkt der Handlung bildet (die Öffentlichkeit hat da ohnehin schon längst ihren Schuldspruch gefällt). Vielmehr folgt er der Perspektive von Prozessbeobachterin Kelly-Anne (gespielt von Juliette Gariépy), einer enigmatisch-einzelgängerischen Figur: Model, professionelle Online-Pokerspielerin und Hacker-Genie, die sich selbst im Internet „Lady of Shalott“ nennt - eine Anspielung auf die Figur der Elaine in der Artussage, die in einem Turm gefangen ist und nur durch einen magischen Spiegel in die Welt schaut.
Der Angeklagte (Maxwell McCabe-Lokos), mit dem sie obsessiv und zunehmend Bewusstseins-zersetzend verbunden scheint, heißt mit Nachnamen übrigens „Chevalier“, Ritter also. Pascal Plante inszeniert in unaufgeregten, bisweilen fast meditativen Bildern, die sich den erzählten Voyeurismus nie zu eigen machen, und kreiert mit „Red Rooms“ einen faszinierend ungreifbaren, Genre-gegenläufigen Thriller.
„Following the Sound“ nur schwer einem Genre zuzuordnen
Benennen zu wollen, welchem Genre sich Regisseur Kyoshi Sugitas japanischer Sektions-Beitrag „Following the Sound“ („Kanata no uta“) zuordnen ließe, wäre gleichfalls ein müßiges Geschäft, am ehesten vielleicht: Autorenfilm.
Die junge Buchhandlungsmitarbeiterin Haru (An Ogawa) begegnet darin Tsuyoshi wieder (Hidekazu Mashima), den sie vor Jahren vor dem Selbstmord bewahrte. Und sie vereint ihre Lebenslinie zufällig mit der älteren Yukiko (Yuko Nakamura), mit der sie sich bald auf die Suche nach dem Ursprungsort der Geräusche begibt, die Harus verstorbene Mutter ihr auf einer Kassette hinterlassen hatte.
Manches hiervon wird in „Following the Sound“ indes gar nicht ausgesprochen. Der Fokus liegt auf den Alltäglichkeiten, auf den Zwischenmomenten: gemeinsames Essen und Kochen, den Besuch eines Zeichen- und Filmkurses und wie die Protagonisten selbst einen kleinen Film im Film drehen.
Das alles geschieht unprätentiös, voller Ruhe und Herzenswärme. Sugita lässt seine Figuren einfach sein, versucht nicht, ihr Seelenleben ins Licht der Erzählung zu ziehen. Er sieht und hört einfach zu.
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