Internationales Filmfestival

Schauspieler Lars Eidinger fordert in Heidelberg "absolute Aufrichtigkeit im Spiel"

Beim Internationalen Filmfestival Mannheim Heidelberg sprechen die Schauspieler Lars Eidinger, Hanna Hilsdorf und Antje Traueauf dem Podium im Karlstorbahnhof über Schauspielkunst

Von 
Ralf-Carl Langhals
Lesedauer: 
Lars Eidinger als und in Henrik Ibsens „Peer Gynt“ an seinem Stammhaus, der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz. © dpa

Heidelberg. „Wenn du eine Idee hast, - vergiss sie!“ sagte Schauspielerin, Regisseurin und vor allem auch Brecht-Witwe Helene Weigel bei der Probenarbeit zu Schauspielern. Ihr Mann Bertolt hatte zuvor das Dramaturgentheater der Verfremdung und der Dialektik zwischen Figur und Spieler entwickelt und gilt somit bis heute als Gegenpol zu dem, was beim Panel des noch bis 26. November laufenden Internationalen Filmfestivals Mannheim Heidelberg (IFFMH) im Zentrum stand.

Thema von dessen etablierter „Retrospektive“-Reihe ist nämlich „Method/Acting“. Zwei namhafte Vertreterinnen und ein noch namhafterer Vertreter der Spieltechnik der Einfühlung waren deshalb aufs Podium zur Diskussion geladen: Hanna Hilsdorf, Antje Traue und Lars Eidinger.

"Anti Disco" im Heidelberger Karlstorbahnhof

Letzterer hatte am Vorabend mit anderthalb Stunden Verspätung von 0 bis drei Uhr früh mit seinem Format „Anti Disco“ in der Festivallounge des Karlstorbahnhofs noch für Partystimmung gesorgt. Festivalleiter Sascha Keilholz zeigt sich daher geneigt, mit „Guten Morgen“ zu begrüßen, wenngleich der Löwenanteil, also die fachliche Ein- wie auch Gesprächsführung bei Programm-Manager Tim Moeck lag.

Ich mache das nicht für das Publikum und nicht die Geschichte, ich mache das aus Selbstzweck, darin besteht meine Authentizität
Lars eidinger

Der Schauspieler wurde in den theoretischen Schriften Diderots, nach formvollendeter Beherrschung der geltenden Regeln gemessen, etwa so, wie wir es heute noch aus der Peking-Oper kennen. Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich am Moskauer Künstlertheater unter Konstantin Stanislawski eine Stilistik heraus, die sich Einfühlung nennt. Wo komme ich her, was hat meine Figur vor Betreten des Zimmers getan und gedacht, fragt sich der Wahrhaftigkeitssucher. Modernisiert und für das 20. Jahrhundert weiterentwickelt hat die Stanislawski-Methode dann Lee Strasberg im New York der 1950er Jahre, das Wort „Method Acting“ war geboren.

Bühne und Film

Auf der postdramatischen Theaterbühne, von der alle drei Gäste ursprünglich kommen, lässt man das mittlerweile selten zu, und doch ist die Glaubwürdigkeit die beherrschende Schauspielertugend in Film und Fernsehen. Zudem muss der TV-und Filmschauspieler so tun, als spiele er nicht - und vor allem nicht für den Zuschauer. Über diese je nach Mime, Theater oder Regisseur oft unterschiedlichen Auffassungen galt es sich im Hinblick auf ihre Bühnenausbildung wie ihr filmisches Schaffen auszutauschen. Hanna Hilsdorf, bekannt etwa aus Fatih Akins Spielfilm „Aus dem Nichts“ oder der Netflix-Serie „Die Kaiserin“ beschreibt die angestrebte Spieltechnik so: „Wenn ich meine Bewusstheit darüber, was ich da gerade tue, loslassen kann.“

Dass ein „Verschmelzen mit der Figur sie glücklich macht“, dachte einst Antje Traue, die nicht nur Auftritte in „Tatort“ oder „Polizeiruf“, sondern auch Rollen an der Seite von Helen Mirren („Die Frau in Gold“) und Kevin Costner („Das Jericho Projekt“) vorweisen kann und darüber in Serien wie „Man of Steel“ oder „Dark“ für Aufsehen sorgt. Heute sehe sie das anders, es mache sie glücklicher, sich zu distanzieren. Manchmal gelänge der große Moment durch fordernden körperlichen Einsatz, „Das wäre dann ein physischer Method-Prozess“, ergänzt sie.

Ganz anders, wen wunderte es, sieht es Ausnahmeschauspieler Lars Eidinger, gruseliger „Tatort“-Serienmörder, maliziös-verschrobener Industriellensohn in „Babylon Berlin“, international tätiger Filmschauspieler und Ostermeier-Schaubühnen-Recke der ersten Stunde: „Wenn ich über meine Figuren sprechen soll, komme ich an meine Grenzen“, sagt er und zitiert Hamlet, eine seiner großen Paraderollen: „Einen andern Mann aus dem Grunde kennen, hieße sich selbst kennen.“

Und legt nochmals mit Brecht nach: „Situationen sind die Mütter des Menschen.“ Charaktere gäbe es nicht, er versuche, in der Situation zu reagieren. Dabei helfe ihm das „schöne Wort Vorstellung“ buchstäblich: „Wenn ein Regisseur etwa bei der Salzburger ,Jedermann’-Probe sagt ,Stell’ dir mal vor, du stirbst jetzt’ - das kann ich mir vorstellen!“ Von Außen sei das nicht zu steuern, weshalb ihm selbst die Synchronisation eigener Filmszenen extrem schwerfalle.

Ein abruptes Ende

Kollegin Hanna Hilsdorf findet, dass „die Möglichkeiten des Moments die Faszination des Spiels ausmachen“ und Antje Traue ergänzt, dass sie nicht in erster Hinsicht für das Publikum, sondern für die zu erzählende Geschichte selbst spiele. Eine Steilvorlage für Eidinger, der absolute Aufrichtigkeit im Spiel fordert - und Rainer Werner Fassbinder zitiert: „Vielleicht ist das Leben eine größere Lüge als der Film.“ Manche Kollegen würden vor die Kamera oder auf die Bühne „zum schön Lügen gehen“. Das findet er unerträglich und gibt authentisch zu: „Ich mache das nicht für das Publikum und nicht die Geschichte, ich mache das aus Selbstzweck, darin besteht meine Authentizität - auch heute bin ich wegen mir hier!“ Lacher und Applaus belohnen seine kunsttheoretische wie persönliche Ehrlichkeit.

Moderator Tim Moeck war schlecht beraten, zum Finale ein Thema anzuschneiden, das er in körperlicher wie verbaler Verklemmung nicht einmal auszusprechen in der Lage war. Es ging kurz und krampfig um politisch korrekte Rollenbesetzungen und die Frage ob ein gesunder, weißer Privilegierter noch einen buckligen „Richard III.“ oder „Othello“ spielen darf...

Mit dem ersten Statement aus dem Publikum wurde das bis dahin hoch interessante Gespräch abgebunden, die Diskussion in kleine Runden verlagert. Schließen wir abrupt mit Helene Weigel: „Wenn du eine Idee hast, - vergiss sie!“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

Thema : Internationales Filmfestival

  • Filmfestival Internationales Filmfestival: Agnieszka Holland wird geehrt

    Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland wird beim Internationalen Filmfestival mit der "Hommage" geehrt. Der Blick richtet sich auf ihr Zoomen in die Wunden der Geschichte

    Mehr erfahren
  • IFFMH So war der Familientag beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg

    Die Sektion Junges Filmfest des IFFMH hat einen Familientag veranstaltet. Mit einem vielfältigen Programm aus Filmen, kostenlosen Workshops und kreativen Mitmachaktionen gab es ein breites Angebot für Kinder und Jugendliche

    Mehr erfahren
  • Filmfestival Internationales Filmfestival: Beiträge üben Kritik an ihren Ländern

    Kritische Töne beim Internationalen Filmfestival: Zwei Wettbewerbsbeiträge aus dem Iran und der Dominikanischen Republik gehen mit ihren Ländern hart ins Gericht

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke