Welten trennen den Iran von der Dominikanischen Republik. Gerade auch in kultureller Hinsicht, wie zwei Wettbewerbsbeiträge aus beiden Ländern beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg beweisen. Beide Werke, Leinwand-Debüts, üben unverhohlen Kritik an den Zuständen in ihren Ländern. Aber sie tun das auf ganz unterschiedliche Weise.
Shahab Fotouhi erzählt in „Boomerang“ von Liebesbeziehungen innerhalb einer Teheraner Familie, die Krisensituation des iranischen Staates liefert dazu ein bedrohliches Grundrauschen. Der Strom fällt öfters aus, in einem Imbiss reden Gäste über Auswanderung, während im Fernsehen über „tugendhafte Poesie“ schwadroniert wird. Die Stärke des Films besteht aber darin, dass er das Alltagsleben ganz ohne Klischees von verschleierten Frauen und vollbärtigen Religionswächtern zeigt.
Die Teenagerin Minoo sieht mit Wollmütze und Daunenjacke genauso westlich aus wie der langhaarige Keyvan in Jeans und Nirvana-Hoodie. Beide flirten miteinander und necken sich wie junge Leute in Berlin oder Paris. Während hier eine Liebe aufblüht, ist sie bei Minoos Eltern, Sima und ihrem Mann Behzad, am Verwelken. Auch ihre Lebenswelt wirkt vertraut: Man kocht zusammen, entspannt auf der Couch, zofft sich. Sima erscheint als moderne selbstbewusste Frau, sie, die Stärkere des Paars, spricht Beziehungsprobleme offen an.
Die Stärke dieses Festivalbeitrags besteht darin, dass die Geschichte nie fremd wirkt, man ist den Menschen und ihrem Wesen ganz nah. Außerdem brilliert er mit Dialogen voller Wortwitz, wunderbarer Bildpoesie und einer spannungsvollen Dramaturgie. Sehenswert.
Eigentümliche Machart fern westlicher Sehgewohnheiten
„Sugar Island“ von der afrokaribischen Regisseurin Johanné Gómez Terrero ist dagegen weitaus unzugänglicher, weil der Film eine eigentümliche Machart fern westlicher Sehgewohnheiten hat. Das Werk ist eine vehemente Anklage gegen die furchtbaren Lebensumstände von schwarzen haitianischen Einwanderern, die als Zuckerrohrarbeiter in der Dominikanischen Republik leben. Sie gelten als Illegale, haben keine Ausweispapiere, werden schlecht bezahlt, sind rechtlos und bekommen keine Rente.
Der Film zeigt dies auf mehreren Ebenen. Er enthält halbdokumentarische Aufnahmen von Feldarbeit, Tanzvergnügungen oder Arbeiterprotesten, schildert daneben das Schicksal der jungen Makenya, die ungewollt schwanger wird und verzweifelt versucht, als Staatsbürgerin anerkannt zu werden.
Diese Erzählung wird durch traumartige Szenen gebrochen, in denen Frauen – Priesterinnen oder Schauspielerinnen? – wie ein antiker Chor die Ereignisse kommentieren. In Rezitativen kritisieren sie das post-koloniale System, kapitalistische Besitzstrukturen, den allgegenwärtigen Rassismus, die Ausbeutung. Die faszinierende, aber sehr eigenwillige Ästhetik zwischen den wechselnden Perspektiven ist für europäisch geprägte Zuschauer aber gewöhnungsbedürftig.
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