Himmel, Wüste, Stein, Meer, Militärkostüme und Männerkörper: So beschreibt Agnès Godard (kleines Bild) die schlichte Ausgangslage eines Werks, das Filmgeschichte schreiben sollte. Die Rede ist von „Beau Travail“, 1999 erschienen, Claire Denis führte die Regie und Godard die Kamera.
Der Film liefert ein eindrückliches Beispiel dafür, warum Godard beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg (IFFMH) mit einer Hommage geehrt wird. Im Heidelberger Karlstorbahnhof wird er in Anwesenheit der französischen Kamerakünstlerin in einer restaurierten 4K-Version vorgeführt.
Körper als Landschaften
Die Adaption von Herman Melvilles Seemannsballade „Billy Budd“ erzählt vom abgründigen Groll des Sergeanten Galoup (Denis Lavant) gegen den Rekruten Sentain (Grégoire Colin), die in einer Einheit der Fremdenlegion am Golf von Dschibuti dienen. Wir sehen darin - oft mit der Schulterkamera aufgenommene - Bilder, die mit ihrer asketisch-naturalistischen Unmittelbarkeit bestechen. Zugleich wohnt ihnen eine Ballett-hafte Anmutung inne, eine bezwingende visuelle Hingabe an die Darsteller-Körper, die zur statischen Imposanz der kargen Natur einen lebensvollen Kontrast bilden. Es scheint, als hätte Godard die Szenerie auf eine radikale Klarheit, auf die pure Essenz des Kinos reduziert. Der besondere Blick auf den Körper ist ein ästhetisches Spezifikum der 1951 geborenen Filmkünstlerin, deren Werkverzeichnis mittlerweile knapp drei Dutzend Einträge ausweist.
Zwei Vorführungen zu Agnès Godard
- Die Kamerakünstlerin Agnès Godard wurde 1951 im französischen Dun-sur-Auron geboren. Sie studierte zunächst Journalismus und wechselte dann an das Pariser Institut des hautes études cinématographiques, an dem sie ihr Kamerastudium 1980 abschloss.
- Sie arbeitete unter anderem mit Fimschaffenden wie Agnès Varda, Wim Wenders, Peter Greenaway, Noémie Lvosky, Catherine Corsini, Tonie Marshall, Ursula Meier, André Téchiné, Peter Handke, Claude Berry, Emmanuele Crialese, Fabrice Gobert, Sébastien Lifschitz, Emmanuelle Bercot sowie - immer wieder - mit der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Claire Denis zusammen.
- Für Denis' Regiearbeit „Beau Travail“ wurde Godard 2001 mit dem Filmpreis César für die „Beste Kamera“ ausgezeichnet. 2009 wurde sie bei den Pariser Prix Lumières mit der Auszeichnung für die „Beste Kameraarbeit“ bedacht und 2012 erhielt sie den von der Philipps-Universität Marburg gestifteten Marburger Kamerapreis.
- Im Rahmen der IFFMH-Filmhommage an Godard ist „Hinterland“ am Donnerstag, 23. November, 17 Uhr, im Heidelberger Luxor (Crown) zu sehen, „Wild Side“ am Freitag, 24. November, 17.45 Uhr, im Heidelberger Karlstorbahnhof.
- Weitere Infos unter: www.iffmh.de
Man folgt ihm fasziniert in „Wild Side“ (2004) von Sébastien Lifshitz, ein Film, in dem Godard eine sensible, intime Nähe zu ihrem Ensemble knüpft und der, ebenso wie „Beau Travail“ und Jacques Nolots Debüt „Hinterland“ (1998), bei der IFFMH-Hommage zu sehen ist. Eine ausdrucksvoll originäre Bildsprache zeigt Godard genauso in ihren Kollaborationen mit Regisseurin Ursula Meier, etwa der Jacques-Tati-artigen Groteske „Home“ (2008) oder im Sozialdrama „Winterdieb“ (2012), wo sie das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit inmitten einer bedrückend majestätischen Natur fesselnd einfriert.
„Körper als Landschaften“ steht im Festivalkatalog als Titel über einem Text zu Godard. Sie filme den menschlichen Körper auf eine Art, wie es niemand sonst tue, erläutert IFFMH-Programm-Manager Tim Moeck in seiner Laudatio (die, wie das Gros der Konversation des Abends, auf Englisch gehalten wird). Godard zeige ihn in Ausschnitten, in Fragmenten; manchmal auch mehr als nur einen Körper, so dass wir diese nicht einer jeweiligen Person zuordnen können. Bisweilen sei der Kopf nicht im Bild, sondern nur die Füße oder die Hand, die Augen oder der Mund.
Kollegen gratulieren Godard
Mit der „Beau Travail“-Vorführung „wollen wir eine der größten Künstlerinnen unserer Branche und eine wunderbare DoP („Director of Photography“) würdigen“, betont Festivalchef Sascha Keilholz. Es folgt eine Video-Gratulation von Schauspieler Denis Lavant, und Regisseur Jacques Nolot lasse ausrichten, dass er ihr viel zu verdanken habe, fügt Moeck hinzu.
„Ich bin sehr bewegt“, sagt Godard, die direkt von einem Filmfestival aus Polen angereist ist - und man merkt ihrer Stimme an, dass sie es ist. Die Filme seien ein Teil ihres Lebens, seit 40 Jahren arbeite sie in dieser Branche - und hoffe, es auch weiterhin zu tun, fügt die 72-Jährige mit leisem Humor hinzu.
Claire Denis, mit der sie bei 16 Filmen zusammengearbeitet habe, spiele dabei eine besondere Rolle. Ein Bild aufzunehmen oder jemanden zu filmen, so Godard, sei für sie gleichsam, wie ein Archiv anzulegen, ein Stück Leben einzufangen. Es sei etwas sehr Persönliches, jemand zu filmen, zu entscheiden, wie man Menschen ansieht und wie man eine Geschichte mit Bildern erzählt. „Ich weiß nicht, wo das wirklich herkommt, ich weiß nur, dass jedes Mal, wenn ich durch die Kamera blicke, meine Frage lautet: Glaube ich an das, was ich sehe“, daran, dass es ausdrückt, was es im Film sagen solle?
Bei Wim Wenders assistiert
Ihre Karriere begann mit Wim Wenders, bei dessen „Der Stand der Dinge“ sie 1981 Kameraassistentin war. Auch „Paris, Texas“ und „Der Himmel über Berlin“ drehte sie mit ihm, worüber sie Claire Denis kennenlernte, die ihrerseits Regieassistenten bei Wenders war. Godard habe damals viel gelernt: „Ich begann, würde ich sagen, ziemlich inspiriert von seiner Art, mit der Filmsprache zu arbeiten.“ Daraus hat sie ihre ganz eigene Ästhetik und sich selbst zu einer der profiliertesten Künstlerinnen ihres Fachs entwickelt.
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