Schauspiel

Shakespeares „Maß für Maß“: Spektakel im Ludwigshafener Pfalzbau

Intendant Tilman Gersch inszeniert am Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen Shakespeare mit großer Besetzung. Zwei prominente Schauspielerinnen sind auch dabei.

Von 
Susanne Kaulich
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Tilmann Gersch schaut durch die Gefängnis-Gitterstäbe seiner „Maß für Maß“-Inszenierung auf der Bühne des Theaters im Pfalzbau. © Susanne Kaulich

Ludwigshafen. Treppen und Gitterstäbe. Das Podest über dem Orchestergraben kommt dem Zuschauerraum nahe. Über dem imaginären Gefängnis thront der imaginäre Palast. Techniker richten gerade Scheinwerfer ein. Währenddessen stapft Tilmann Gersch, Intendant des Theaters im Pfalzbau, über die Bühne. Deutet mit großen Gesten nach rechts und links, nach oben und unten, erläutert das noch unfertige Bühnenbild: „Wir haben hier viele Möglichkeiten, spielen nah am Publikum und mit der Musik wird es auch sinnlich“, freut er sich. William Shakespeares Theaterstück „Maß für Maß“ in der Inszenierung des Hausherrn wirft seine Schatten voraus.

Nach „Der Sturm“ und „Macbeth“ ist es bereits seine dritte Shakespeare-Produktion innerhalb der letzten 5 Jahre für Ludwigshafen. Als Experte fühlt er sich deswegen aber nicht. „Ich bin Theaterregisseur. Shakespeare gehört einfach zum Kanon.“ Die Festspiele Ludwigshafen 2025 werden mit der Premiere am 3. Oktober feierlich eröffnet. „Ein wunderbares, ein kompliziertes Stück. Amüsant und zeitgemäß. Ein Juwel.“ Tilmann Gerschs Faszination für das 1604 am Hofe Jakob I. uraufgeführte Werk wirkt geradezu mitreißend.

Worum geht es in „Maß für Maß“ im Pfalzbau in Ludwigshafen?

Der liberale Herzog Vincentio hat seinen Staat nicht mehr in den Griff. Überall herrscht Sittenverfall. Deshalb übergibt er die Macht an den scheinbar untadeligen Angelo. Der soll mit radikalem Durchgreifen richten, was dem Herzog entglitten ist. Als Geistlicher verkleidet, beobachtet Vincentio incognito, wie der selbstherrliche Angelo in der Anarchie zwar aufräumt, dabei aber den Bogen überspannt. Als der Usurpator Isabella gegenüber zu weit geht, schreitet der Herzog listig korrigierend ein.

Was begeistert den Regisseur und seine Dramaturgin Barbara Wendland am Stück?

„Es ist ein gesellschaftspolitisch besonders interessantes Stück.“ Beim Lesen merke man gleich, wie sich bereits Kleist im „Zerbrochnen Krug“ und Brecht mit seinem „Arturo Ui“ damit auseinandergesetzt hätten, schwärmt Gersch. Hauptsächlich gehe es um Machtmissbrauch. Darum, dass man die moralischen Forderungen, die man an andere stellt, selbst zu erfüllen nicht geneigt sei. „Bei seinen Postulaten, wie sich das Volk zu verhalten hat, drückt der Herrscher bei sich selber schon mal ein Auge zu.“ Das passende Bibelzitat schiebt er gleich hinterher: „Den Splitter im Auge des anderen siehst du wohl, den Balken im eigenen aber nicht.“

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Das Stück sei ernst, habe aber auch komödiantische Züge. „Was für eine Inszenierung gleichzeitig Chance und Fallstrick bedeuten kann.“ Gersch, der sich als Regisseur der alten Schule bezeichnet, weil er sich noch mit den Stücken an sich beschäftigt, sieht darin für sich die Herausforderung, sein Publikum intelligent zu unterhalten, ohne es zu belehren, aber auch ohne das Stück zu veralbern.

Für Barbara Wendland, die die Textfassung erstellt hat, ist die Frage nach dem Umgang mit Macht und Autorität von aktuellem Interesse. Wie könne man Ordnung schaffen in einem Staate, wie ein geregeltes Zusammenleben ermöglichen? Da gehe es um das Austarieren verschiedener Möglichkeiten. „Im Moment ein ganz starkes Thema.“

Was wird das Besondere an der Ludwigshafener Inszenierung sein?

„Einmal im Jahr machen wir ein großes Stück für das große Haus. Dieses Mal ist nicht nur der Titel, sondern auch die Besetzung groß.“ Neben sechs Schauspielern stehen 20 Mitglieder der Pfalzbau Bürger Bühne, der 30-köpfige Beethovenchor sowie ein kleines Orchester auf der Bühne. Außerdem wurden zwei sehr prominente Schauspielerinnen gewonnen.

„Maß für Maß“ am Pfalzbau

  • In der Literaturwissenschaft zählt Shakespeares 1604 uraufgeführtes Werk zu den „Problemstücken“ oder „schwarzen Komödien“. Es thematisiert die Verhältnismäßigkeit von Macht .
  • In der Eigenproduktion unter Regie von Tilman Gersch spielt die aus vielen TV-Produktionen bekannte Schauspielerin Nina Petri die Rolle des Herzogs. Josephine Thiesen (Isabella) kennt man aus der Netflix-Serie „Die Kaiserin“.
  • Premiere ist am 3. Oktober, 19.30 Uhr (feierliche Eröffnung der Festspiele Ludwigshafen 25). Weitere Vorstellungen am 4. und 5. Oktober sowie am 17 und 18. April. Karten unter 0621/504 25 58. suka

Nina Petri steht seit Jahrzehnten in zahllosen Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera. Josephine Thiesen, im letzten Jahr in Gerschs Goldoni-Produktion „Das Kaffeehaus“ hochgelobt, kennt man aus der international erfolgreichen Netflix-Serie „Die Kaiserin“. „Zwei Stars also. Das hatte ich bisher so noch nicht“, bekennt Gersch. „Das zu verbinden mit unseren Bürgern, Menschen der Region und der Stadt, stellt einen ausgesprochenen Reiz für mich dar.“

Besonderes Stück, besonderer Coup …

Den unterschiedlichen Ebenen und Themen des Stückes „Maß für Maß“ fügen Gersch und Wendland eine weitere Facette hinzu. Angelos freche Avancen gegenüber Isabella befeuern eine MeToo-Debatte. „Bei uns wird nun als besonderer Coup der Herzog von einer Frau gespielt, nämlich von Nina Petri.“ So bekomme die Intrige gegen Angelo eine andere Qualität. Die genderfluide Behandlung der Herzog-Rolle zeige, so Barbara Wendland, einen Menschen, der beim Regieren seine männlichen Anteile nutze und sich in der Privatheit bewusst einmal von diesen verabschiede, um seine weiblichen auszuleben. „Wir haben ja alle alles in uns und sind letztlich dies und das.“

Shakespeare-Stücke erfordern im Original riesiges Personal und dauern lange. Wie entsteht eine zeitgemäße, auf die Ludwigshafener Verhältnisse zugeschnittene Textfassung?

Die Entscheidung für die passende Übersetzung sei nicht leicht gewesen, plaudert Wendland aus dem Dramaturgen-Nähkästchen. „Das Schöne an dem Stück ist die permanente Balance zwischen sehr deftiger Komik und tiefem bitteren Ernst.“ Das sei ja gerade das Besondere an „Maß für Maß“. Aber entweder funktioniere der Witz, dafür die Tiefe nicht, oder umgekehrt, resümiert sie die langwierige Suche nach der passenden Fassung.

Bei Jens Roselts Übersetzung für eine Inszenierung von Stefan Pucher an den Münchner Kammerspielen 2009 habe sie „eine gute Mischung aus heutiger Sprachkomik und inhaltlicher Problematik im Sinne Shakespeares“ gefunden. So sei die Ludwigshafener Fassung auf dieser Grundlage, mit einer Mischung aus weiteren Fassungen sowie mit Anpassung an das Schauspielensemble entstanden. Einige Schauspieler verkörpern zwei Figuren, die jedoch gedanklich immer miteinander zu tun hätten. Das führe auch zur notwendigen Verdichtung.

In welcher Zeit, in welchem Raum ist die Inszenierung angesiedelt?

Das Stück sei, so wie es geschrieben ist, derart aktuell, dass die Inszenierung in die Gegenwart diffundiere, stellt Wendland fest. Es sei theatrale Gegenwart, ergänzt Gersch. „Durch unsere Bürger wird es auch ein bisschen Ludwigshafen, aber ich würde das nicht auf die städtische Politik reduzieren. Das Thema ist ja Weltpolitik. Auch wenn es einen barocken Kragen am Kostüm gibt.“

Apropos Kostüme: eine Riesenaufgabe für Kostüm- und Bühnenbildnerin Petra Straß, die ohne eigene Kostümabteilung am Theater im Pfalzbau mit ihren zwei Assistenten seit Wochen mit der Herstellung von Dutzenden Kostümen an der Nähmaschine beschäftigt ist. „Bei der Gelegenheit müssen wir uns auch einmal ausdrücklich für die kollegiale Unterstützung der Kostümabteilung des Nationaltheaters Mannheim bedanken.“

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