Mannheim. Mit Emmerich Kálmáns berühmter Operette „Die Csárdásfürstin“ steht die letzte OPAL-Premiere dieser Spielzeit vor der Tür. Wir haben mit der Regisseurin Stephanie Schimmer gesprochen, die auch die aktuelle „Fledermaus“-Inszenierung verantwortet hat.
Frau Schimmer, haben Sie die Operette in Ihrer DNA?
Stephanie Schimmer: Ja, ich sag’ immer, mein Herz schlägt im Walzertakt und in meinen Adern fließt Wiener Blut. Ich komme aus Baden bei Wien, lange Zeit die selbsternannte Operettenmetropole. In diesem Theater bin ich aufgewachsen. Als Kind meiner Großmutter, die mich in alle Operetten geschleppt hat. Ich liebe Operette. Weil das Musik ist, die an das Herz und an den Kopf appelliert.
Meine „Csárdásfürstin“ geht nicht ganz so aus, wie man es erwartet.
Bei der Musik bin ich ganz bei Ihnen, aber mit der Handlung ist das ja oft so eine Sache …
Schimmer: Zum Glück darf man als Regisseurin in den Text auch eingreifen – Opern sind da ja unantastbar. Operettentexte kann man bearbeiten, und sollte das auch tun – mit Bedacht auf die Tradition. Ich finde, die Handlung in der „Csárdásfürstin“ hätte durchaus passiert sein können: Fürstensohn und Variétésängerin verlieben sich. Eine Liebe, die nicht sein darf. Die Herzen schlagen aber viel lauter als die Vernunft. Da geht’s ans Eingemachte. Das ist Operette, die weint und lacht, die richtig Spaß macht. Das mag ich.
Aber Kálmáns Mesalliance ist im Feudalismus beheimatet. Verstehen wir 110 Jahre später noch diese Gesellschaftssituation?
Schimmer: Meine „Csárdásfürstin“ geht nicht ganz so aus, wie man es erwartet … Aber alle drei Frauenrollen sind wahnsinnig stark in ihrem Charakter. Obwohl sie alle empor adeln, geht es bei der Variétésängerin Sylva und der Komtesse Stasi nicht um den Titel, sondern um den jeweiligen Mann. Dagegen hat Anhilte, Gemahlin von Fürst von und zu Lippert-Weylersheim, ihren Aufstieg von der Brettlbühne ins Fürstenhaus – möglicherweise aus nachvollziehbaren Gründen – bewusst angestrebt.
Glauben Sie, dass Kálmán im komischen alten Fürsten-Paar versteckte Kritik am Feudalismus übt? Das Stück ist 1915 entstanden.
Schimmer: Ja, diese ausschwingende Monarchie ist ein Thema und ich mache es auch dazu. Deshalb habe ich die Handlung sogar noch ein kleines bisschen vorverlegt …
Operettenspezialist Volker Klotz sieht die „ausgelassene Promiskuität des runtergekommenen Droben und des raufgekommenen Drunten“ schon in widersprüchlichen Werktiteln wie „Csárdásfürstin“, „Zigeunerbaron“ oder „Zirkusprinzessin“ manifestiert.
Schimmer: Auch für mich spielen Widersprüche eine große Rolle: Im ersten Akt feiern im Orpheum alle, egal ob Graf, Fürstensohn oder einfacher Soldat: eine durchmischte, leichte, bunte Welt. Dazu steht die strenge Wiener Adelswelt im zweiten Akt in starkem Kontrast. Was passiert, wenn ein Eindringling aus der einen Lebenswirklichkeit in der anderen auftaucht? Im dritten Akt kommen die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten zusammen, da bimmelt das Totenglöcklein.
Stephanie Schimmer: Österreichische Regisseurin, Autorin, Theatermacherin
Stephanie Schimmer, in Baden bei Wien aufgewachsen, begann ihre Theaterlaufbahn am Volkstheater Wien. Von 2014 bis 2025 leitete sie die Comödie Fürth , eines der erfolgreichsten Privattheater Bayerns. Besonders mit Bearbeitungen und Inszenierungen von Operetten und Komödien machte sie sich einen Namen.
Der Bayerische Rundfunk hat zuletzt ihre Produktion „Im Weißen Rössl“ bei den Bad Kissinger Festspielen 2023 aufgezeichnet. Für die Fürther „Lustige Witwe“ erhielt sie die begehrte Auszeichnung „Operettenfrosch “. Am Nationaltheater Mannheim inszenierte sie die aktuelle „Fledermaus“.
Die Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán hat am Dienstag, 15. Juli, um 19 Uhr Premiere im OPAL . Weitere sieben Vorstellungen im Juli. Karten unter 0621 1680 150. suka
Hat das etwas mit unserer Realität zu tun?
Schimmer: Traurigerweise fühle ich mich heute auch in einer Welt, wo wir auf dem Vulkan tanzen, wo wir das Leben feiern, und überall um uns geht die ganze Welt kaputt. Wir feiern weiter, anstatt als Weltgemeinschaft etwas dagegen zu tun. Dieses ausklingende System in der „Csárdásfürstin“ erlebt unsere Gesellschaft gerade auch. Dort heißt es, „Mag die ganze Welt versinken …“ – die ganze Welt versinkt doch gerade im Moment! Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Team eine Balance schaffen konnte zwischen Operettenseligkeit und ein bisserl mit dem Finger in der Wunde bohren. Denn Operette muss das. Hat sie früher auch gemacht. Es gibt viel zu lachen, ein bisserl was zum Weinen und auch ein bisserl was zum Nachdenken.
Vielleicht erfährt die Operette gerade deshalb eine gewisse Renaissance?
Schimmer: Aus Österreich kenne ich das komplett andersherum. Ein Riesenunterschied zu Deutschland. In Österreich ist die große Operettenzeit vorbei. Aus den Seefestspielen Mörbisch wurde eine Musicalbühne, in meiner Heimatstadt Baden wird jetzt viel mehr Musical gemacht, und in der Volksoper gibt’s auch wesentlich weniger klassische Operette. Ich erlebe da gerade den Niedergang der Wiener Operette. Das tut mir wahnsinnig weh. Nach Deutschland darf ich den Wiener Charme, den Schmäh und die Walzerseligkeit mitbringen, die mich als Mensch und uns Österreicher ausmacht.
Worauf legen Sie Ihr Augenmerk bei der Erstellung der eigenen Operettenfassungen?
Schimmer: Was möchte ich erzählen? Was soll das Publikum berühren? Die Leute dürfen lachen in diesen Zeiten. Bei der „Csárdásfürstin“ kannte ich bereits beim Schreiben die Besetzung, hatte die Erfahrung von der „Fledermaus“. Da höre ich schon beim Schreiben die Darsteller sprechen, rieche die Atmosphäre.
Und wie geht man heutzutage um mit dem problematischen Frauenbild und der sprachlichen Korrektheit? Beispiel: „Die Mädis vom Chantant“, „Ohne Weiber geht die Chose nicht“, „Nimm, Zigeuner, deine Geige“ …
Schimmer: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Wenn man heute Operette macht, ist es nicht einfach damit umzugehen. Bei Gesangstexten habe ich nur wenige Möglichkeiten einzugreifen. Szenisch versuche ich die Frauen immer mindestens so stark wie die Männer zu machen. Die fahren sogar mit einer noch härteren Pointe über chauvinistische Witze, können entsprechend reagieren. Und wir belassen die Handlung eben auch in Kálmáns Zeit, das macht es einfacher. Dazu haben wir in den Texten ungarische Elemente. So kann man kritische Passagen etwas umschiffen. Aber es ist und bleibt in der Operette schwierig. Denn wenn man nurmehr politisch korrekt wäre, könnte man sie nicht mehr spielen. Der Witz geht eben immer auf Kosten anderer. Streicht man alle Pointen heraus, bleibt nichts mehr übrig. Natürlich will ich niemandem auf den Schlips treten, aber wenn man sich für Operette entscheidet, muss eine gewisse politische Unkorrektheit möglich sein. Das ist eine Gratwanderung. Aber im Rahmen des menschlichen Miteinanders muss der Witz, muss die Pointe auf der Bühne erlaubt sein. Da dürfen wir uns nicht selber zensieren.
Es gibt für Kulturschaffende ja auch den gesellschaftlichen Auftrag …
Schimmer: Ja, es muss auch möglich sein, den Finger in die Wunde zu legen, Reaktionen zu provozieren. Wir müssen als Zivilgesellschaft für unsere Werte einstehen. Mir ist es wichtig, ein Theater für alle Sinne zu produzieren. Und bei der Mannheimer Besetzung kann ich nur sagen: Mit dieser darstellerischen Qualität kann man das Stück im deutschen Sprachraum nicht besser besetzen. Ich hoffe sehr, dass das Publikum seinen Spaß hat.
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