Festival

Schillertage in Mannheim: Circa zeigen atemberaubende Akrobatik

Das Circa-Ensemble aus Brisbane begeistert in Mannheim mit furioser Akrobatik und Tanz bei den Schillertagen.

Von 
Martin Vögele
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Auch ums Fallen, Auffangen und Halten geht es in der Show des Circa-Ensembles. © Damien Bredberg

Mannheim. „Kann man nicht meckern“, resümiert eine Besucherin, als sie nach der Show die Oper am Luisenpark, OPAL, verlässt. Man ist geneigt, diese Einschätzung, die nonchalant jeder britischen Euphorie-Zurückhaltung den Rang ablaufen könnte, als „Mannheimer Understatement“ zu würdigen, und würde es selbst doch eine Spur ergriffener formulieren: Was wir hier erleben, das ist atemberaubend.

Dafür verantwortlich ist das Circa-Ensemble, das mit einer Aufführung bei den Schillertagen des Mannheimer Nationaltheaters gastiert, „Humans 2.0“ heißt die Show in der Regie von Yaron Lifschitz. Sie ist eine Fortführung des 2017er-Programms „Humans“ der Gruppe für zeitgenössischen Zirkus, die aus dem australischen Brisbane stammt, seit ihrer Gründung vor etwas über 20 Jahren mehr als 45 Länder bereist hat und von über zwei Millionen Menschen gesehen wurde.

Fast wie menschliche Moleküle, die immer neue Verbindungen eingehen

Die neun Ensemblemitglieder zeigen in „Humans 2.0“, kurz gefasst, eine furiose Verquickung von zirzensisch-akrobatischer Kunst und Tanz und offenbaren auf unerhört eindrucksvolle Weise, wie menschliche Körper naturgesetzliche Grenzen zu überwinden scheinen können. Zugleich wirkt diese artistische Kunst nicht zauberhaft leicht und schwerelos. Vielmehr machen die Akrobatinnen und Akrobaten die Verletzlichkeit des Leibes erfahrbar, lassen die Zuschauenden unter der Last der bis zum Zerreißen gespannten Sehnen und Muskeln mitzittern, die gewaltigen Kräfte erspüren, die während der Performance auf die Physis einwirken. Dabei wirken die neun fast wie menschliche Moleküle, die immer wieder neue fluide Verbindungen eingehen, zueinander gezogen und aneinander gekettet werden, um sich dann wieder zu lösen, auseinanderzufallen und in neue Zustände überzugehen, neue Varianten und Einheiten zu bilden.

Es dreht sich vieles um das Vertrauen in die anderen

Einige Show-Streiflichter: Wir sehen von zeitgenössischem Tanz geprägte Sprünge, Drehungen und Hebefiguren, sehen skulpturale Posen, Luftakrobatik am Vertikalseil oder an den Strapaten, beobachten, wie menschliche Pyramiden in wenigen Augenblicken aus dem Boden wachsen. Aus einer Schulterbrücke heraus trägt eine Akrobatin zwei Ensemblemitglieder auf ihrem Torso, eine andere Tänzerin lässt drei Ensemblemitglieder auf ihren Schultern stehen, die sich dort wie ein Blütenkelch auseinanderfalten. Eine Künstlerin vollzieht ihren Spagat zwischen den hohen Spitzen zweier Menschentürme. Wir erleben waghalsige Sprünge, auch rücklings und aus halsbrecherischer Höhe ausgeführt.

Es dreht sich hier vieles um das Fallen, das Auffangen und Halten – also essenziell um das Vertrauen in die anderen. Wobei in der Aufführung auch mit der Erwartung auf Beistand – allenthalben humorvoll – gespielt wird: Handreichungen und Hilfestellungen werden angetäuscht, dann aber unvermittelt unterlassen. Das alles ist frappierend präzise choreografiert und eng mit der effektvollen Lichtregie (Paul Jackson), vor allem aber mit der Musik verzahnt: Die von Ori Lichtik kreierte Klangkulisse geriert sich weniger subtil, sondern tritt oft mit ausgeprägter Selbstsicherheit nach vorn, in der stetig gestaltwandelnden Form einer technoid-organischen Synthese, die den Bewegungen der Athletinnen und Athleten äußerst Groove-starke Beat-Impulse zur Seite stellt. Kann man nicht meckern.

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