Mannheim. Chöre standen am Beginn der abendländischen Kultur. Nicht Solosänger. In der Gattung Oper spielen sie bisweilen heute noch eine zentrale Rolle, ob sie nun die Handlung mit Entschlossenheit vorantreiben oder im Hintergrund die Fäden spinnen. Chöre „sind“ zumeist das Volk, die Masse, manchmal passiv leidend, manchmal eher revolutionär gestimmt. Das ist das Narrativ, das uns vom Opernintendanten Albrecht Puhlmann in der Oper am Luisenpark vermittelt wird – bei einem sommerlichen Benefizkonzert des Nationaltheater-Chors, veranstaltet zusammen mit der Mannheim-Kurpfälzer Sektion des Richard-Wagner-Verbands.
Musizieren für das „spektakuläre Lohengrin-Bühnenbild“
Und so dient auch der gute Zweck des Abends mit seinen gut 600 Besucherinnen und Besuchern einer Wagner-Oper: „Lohengrin“ wird in der nächsten Spielzeit einer neuen Inszenierung zugeführt. Das Bühnenbild werde „spektakulär“ ausfallen, hören wir von Puhlmann. Dafür dient das Geld. „In meiner Jugend war ich Wagnerianer“, sagt der Intendant dann noch. Heißt das, dass er es mittlerweile nicht mehr ist? Wohl kaum, ein deutscher Opernchef kann sich das gar nicht leisten. Wagnerianertum ist Pflicht in dieser Branche.
Opernchor des Nationaltheaters
- Er vereint Soprane, Altstimmen, Tenöre und natürlich Bässe: 56 Mitglieder (aus derzeit 11 Nationen) hat der Opernchor in Mannheim. Er galt immer schon als Schmuckstück, und 2014 wurde er sogar als deutscher „Opernchor des Jahres“ preisgekrönt. Auch im Konzertbereich ist er aktiv.
- Direktor ist Alistair Lilley , seit 2023. Ausgebildet an bekannten britischen Musikinstitutionen, wurde er 2012 Kapellmeister und Chordirektor am Theater Regensburg. Elf Jahre später wechselte Lilley ans Nationaltheater. Eine Vorliebe hat er für Musicals. Er komponiert auch selbst.
Doch Puhlmann kennt die Gattung halt auch sonst aus dem Effeff. Als Moderator des Konzerts belegt er seine Expertise immer wieder, ohne sich dabei zum bloßen Fachmann zu verkleinern. Er ist zwar durchaus ein Opernführer auf zwei Beinen, gibt sich aber quirlig aufgedreht, in einem Chorkonzert, das einen ziemlich guten Überblick über das Repertoire ermöglicht (einzig Wagner fehlt, doch sogar das ist eine schöne Pointe) und die Hörer wetteradäquat an „heiße“ Handlungsorte führt. Etwa nach Libyen oder Theben.
Auftritt einer Drama-Queen: Göttin Juno macht eine Szene
Theben wird von Händels „Semele“ vertreten, und hier tritt neben dem Chor auch Mezzosopranistin Shachar Lavi auf. Ein Auftritt ist es wirklich: Hier kommt eine Drama-Queen herbeigestöckelt, die als hocherzürnte Göttin Juno nicht ganz ohne Herbheiten ihre Koloraturen poltern lässt. Aus dem Gesangsvortrag im Rahmen eines Chorkonzerts wird eine Szene. Das geschieht an diesem Abend immer wieder, Opernsängerinnen können eben nicht aus ihrer Haut. Zum Glück. Und Sänger schaffen es genauso wenig. Neben Shachar Lavi sind aus dem Ensemble des Theaters Seunghee Kho, Rafael Helbig-Kostka sowie Ilya Lapich aufgeboten.
Doch den Opernchor sollte man deswegen nicht aus dem Ohr verlieren. Er nimmt ohnehin die ganze Bühne ein, was seinen Klang entsprechend auffächert und transparent macht. Es entsteht ein unpompöser Breitwandsound, und die diversen Stimmgruppen kommen perfekt zur Geltung. Nicht bloß, wenn im „Chor der Priester“ aus der „Zauberflöte“ sowieso nur Männerstimmen in Erscheinung treten. Neben solchen Allzeit-Hits gibt es auch viele Raritäten. Stellvertretend ließe sich ein kleiner Auszug aus „The Gondoliers“ von Arthur Sullivan erwähnen, der mit leuchtenden Sopranstimmen zu Ende geht.
Alistair Lilley hat sich da als Chordirektor ein Programm nach seinen Präferenzen maßgeschneidert. Es ist äußerst „Lilley-like“, vor allem nach der Pause, und das heißt: auch nicht so schwerer Muse zugetan. Bei Arthur Sullivan, der ungefähr vor 150 Jahren immer wieder gern den Pomp des British Empire zu unterlaufen trachtete, erhält auch Solosänger Ilya Lapich eine mehr als dankbare Gelegenheit, zu einem Operetten-General zu werden. Der Kostümfundus des Nationaltheaters hat ihm dazu eine herrliche Paradeuniform spendiert.
Ein ultraweites Stereo-Panorama tut sich auf
Das alles macht viel Spaß, ist aber gleichzeitig mit einer ganzen Menge Akribie erarbeitet. Auch auf der orchestralen Ebene, auf der Alistair Lilley das Geschehen mindestens so tüchtig auseinanderdröselt wie beim Vortrag des Theaterchors. Die analytische Durchdringung, etwa in der Johann Strauss’schen „Tritsch-Tratsch-Polka“, ist enorm. Ein ultraweites Stereo-Panorama tut sich auf, es ist vom Komponisten vielleicht gar nicht intendiert. Doch allemal erhellend.
Nach der Pause sind die Chordamen in Roben eingekleidet, die zu Johann Strauss gut passen. Auch die Solosängerinnen sollen jetzt für Glamour sorgen, während ihre männlichen Kollegen eher komödiantisch unterwegs sind. Sopranistin Seunghee Kho verwandelt sich im dunkelblauen Kleid zu einer Königin der Sommernacht – die auch das „Vilja-Lied“ von Franz Lehár mit aller Raffinesse ausstattet. Und Shachar Lavi singt in einem Kleid, so rot, wie Lippenstift nur sein kann: „Meine Lippen, sie küssen so heiß.“
Zum Schluss gibt es ein Riesen-Potpourri aus Hits des Musical-Großmeisters Richard Rodgers, einschließlich „My Funny Valentine“. Die Zugabe treibt dann die Leute an den nächsten Sektstand, es ist das „Champagner-Lied“ von Johann Strauss: „Im Feuerstrom der Reben...“
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