Das Wichtigste in Kürze
- Das Nationaltheater Mannheim zeigt eine bissige Trump-Satire.
- Sieben Frauen halten das Chaos im Weißen Haus in Schach.
- Die Inszenierung überzeugt mit Tempo, Humor und Frauenpower.
Mannheim. Sexualisierte Fäkalsprache erleichert. Hilft Dampf abzulassen. Nicht nur beim POTUS, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch der weibliche Stab im Weißen Haus formuliert deftig. Tagaus tagein sind die Damen damit beschäftigt, alle Arten von präsidialen Ausfällen wegzulächeln, auszubügeln, seinen „Scheiß“ aufzuräumen und eigentlich seinen Job zu machen. Um zu retten, was zu retten ist. Und darüber hinaus auch noch sich selbst. Doch an diesem Tag, der mit einem „fotzigen Morgen“ der First Lady beginnt - O-Ton des Präsidenten auf der morgendlichen Pressekonferenz – geraten sie alle an ihre Grenzen. Sonst so taffe Frauen, die alles im Griff haben, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der eitrige Furunkel am Gesäß des Präsidenten führt dazu, dass am Abend eine globale Krise droht. Atomwaffensperrvertrag und Frauenquote wackeln, ausländische Regierungen fühlen sich brüskiert.
Vom Broadway ins Alte Kino Franklin
Inspiriert durch Trumps frauenfeindliche Äußerungen hat die damals 22-jährige Selina Fillinger bereits mit Trumps erster Amtsübernahme 2017 ihr Stück „Die Schattenpräsidentinnen oder Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten“ konzipiert. Nach der erfolgreichen Broadway-Uraufführung 2022 zündet jetzt die sprachlich derbe, bissig-überdrehte Komödie im Alten Kino Franklin in der Regie von Christian Weise. Und verwundert traut man kaum seinen Ohren bei so viel erschreckend Wahrem: „Er sollte dieses Land nicht regieren, und IHR WISST ES! Er ist ein Brandstifter, aber IHR habt ihm Streichhölzer gegeben, ihr habt gedacht, er würde seine Finger verbrennen und daraus lernen – nun, das hat er nicht….“ Mitte März 2025 erlebt man im Nationaltheater einen brisant- aktuellen Kommentar zu den rasant wechselnden weltpolitischen Ereignissen der vergangenen Wochen.
Freilich sehen wir eine Komödie. Tempo- und pointenreich inszeniert im Stile einer Farce etwa von Michael Frayn: mit immer schneller drehender Bühne, Türenschlagen, Simultanszenen, eingefrorener Schockstarre, mit Missverständnissen, Wortspielen voll schlüpfriger Zweideutigkeiten, rasanter Verfolgungsjagd durch den Zuschauerraum, exaltierter Körpersprache, fetzigen Dialogen, Gesang und viel Gekreische.
Geballte Frauenpower am Rande des Nervenzusammenbruchs - fulminant gespielt
Sieben Frauen und ein als White House Dog verkleideter Musiker (Falk Effenberger) drehen durch. Was die sieben Schauspielerinnen da in ihren phänomenalen wie Cartoons anmutenden, charakterunterstreichenden Kostümen auf der Bühne (für beides verantwortlich: Annika Lu) abziehen, ist schlicht fulminant. Wie Pfeile schießen die Worte hin und her. Da stimmt das Timing, jede Geste, jeder Gang, jeder Blick und auch jede Pause.
Zum Stück
Originaltitel des Stücks: „POTUS: Or, Behind Every Great Dumbass Are Seven Women trying to keep Him Alive“. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde das Stück von 2020 auf 2022 verschoben. Die amerikanische Autorin Selina Fillinger war zum Zeitpunkt der Broadway-Premiere am Shubert Theatre erst 28 Jahre alt.
Regie: Christian Weise, Bühne & Kostüm: Annika Lu, Licht: Robby Schumann, Dramaturgie: Olivia Ebert, Musik: Falk Effenberger
Ensemble: Shirin Ali, Annemarie Brüntjen, Camille Dombrowsky, Almut Henkel, Jessica Higgins, Maria Munkert, Rahel Weiss.
Weitere Termine: So, 30. März, 19 Uhr. Mi, 9.April, 19 Uhr, Fr, 11. April, 19 Uhr. Karten unter 0621/1680150. Mehr unter www.nationaltheater-mannheim.de
Die entsteht immer, wenn gefragt wird, warum nicht eine der Frauen Präsidentin sei: Zum Beispiel Margaret, die First Lady, hochgebildet, vielseitig engagiert und um Bodenständigkeit bemüht. Jessica Higgins verleiht ihr in lächerlichen Gummi-Crocs zum Abendkleid eine Aura von verwehter Grandezza und aufkeimender Resignation. Oder Stabschefin Harriet, die Annemarie Brüntjen mit verbindliche Resolutheit, aber auch mit überraschendem Zaudern charakterisiert, zielstrebig, korrekt bis zur Selbstverleugnung in männlicher Kurzhaarfrisur zum gestreiften Anzug. Auch der ehrgeizigen, kühl analysierenden Journalistin Chris (Maria Munkert) traut man das Amt zu.
Camille Dombrowsky rockt den Saal wie Taylor Swift.
Weil sie unter männlichem Konkurrenzdruck und latenter Überforderung durch ihr Baby (witzig der wiederkehrende Milchpumpenblobb) zu Hochform aufläuft, zu Allem bereit scheint, um ihre Story an den Mann zu bringen. Pressesekretärin Jean (Shirin Ali), äußerlich an Monica Lewinsky erinnernd, steht wie ein Fels in der Brandung (ein Kabinettstück ihre englische Einheizermoderation), muss aber mit ihrer romantischen Schwäche zu Bernadette (Rahel Weiss), der kriminellen, präpotent aggressiven Präsidentenschwester, zurechtkommen. Die nur aufgrund der geschwisterlichen Ähnlichkeit die Chance bekommt, mal kurz die Welt zu retten.
Camille Dombrowskys Dusty, Potus‘ dümmlich schwangere Affäre vom Lande, entpuppt sich als zupackendes patentes Multitalent, das nicht nur als Konfliktlösungsmediatorin, Blowjobgirl und Hackerin taugt, sondern auch wie eine Taylor Swift den Saal rocken kann.
Und Almut Henkel ist in der Rolle der altjüngferlich liebenswerten Vorzimmerdame Stephanie voll in ihrem komischen Element. Das fehlende Selbstbewusstsein kompensiert sie mit Powerstellung und Bitchbeatplaylist, bis sie unverschuldet durch Bernadettes Pillen den festen Boden unter ihren Füßen verliert. Auf ihrem exorbitanten Drogentrip stellt sie die Kolleginnen vor weitere Herausforderungen.
Neben hellsichtiger Trump-Kritik schafft es Fillinger, auch Frauen am Arbeitsplatz kritisch zu durchleuchten. Da ist wenig Solidarität, viel Abhängigkeit, Misstrauen und Konkurrenz. Erst der Ernstfall schafft ein konstruktives Miteinander. Geht so die feministische Alternative? Also kehrt der Präsident erst einmal zurück ans Rednerpult. „Typen wie der gehen nicht unter. Wir sind diejenigen, die untergehen“, unkt Pressesekretärin Jean. Ob Journalistin Chris recht damit hat, wenn sie behauptet: „Er wird nicht bleiben, wenn ihr endlich aufhört, ihn zu retten.“ Man wünscht es sich so. Einhelliger Jubel für das Ensemble.
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