Enjoy Jazz

Millionen sehen Enjoy-Jazz mit Ibrahim Maalouf in Ludwigshafen

Das Eröffnungskonzert von Enjoy Jazz mit Trompeter Ibrahim Maalouf in Ludwigshafen begeistert im BASF-Feierabendhaus und erreicht Millionen via „Tagesthemen“.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Ibrahim Maalouf bei einem seiner Soli im BASF-Feierabendhaus. © CHRISTIAN GAIER

Ludwigshafen. Irgendein gewiefter Engel hat es geschafft, die eingeschlafenen Kulturgeister im Team von ARD-Aktuell zu wecken und eine Delegation an Journalistinnen und Journalisten, an Kameraleuten und anderen Visualversierten nach Ludwigshafen zu entsenden.

Dort nämlich, in der Kulturdiaspora, solle große Kunst gezeigt werden, hatten sie gehört. Und so kam es, wie es kommen musste: Am Donnerstagabend gegen 23 Uhr geht ein dreieinhalbminütiger Beitrag über den Start des Festivals Enjoy Jazz viral, na ja, er wird halt in den „Tagesthemen“ gesendet.

Der Effekt: Nicht nur 1200 Menschen im Feierabendhaus wohnen dem Eröffnungsevent mit dem libanesisch-französischen Startrompeter Ibrahim Maalouf bei, sondern, laut Quotenmeter, 1,83 Millionen.

Ibrahim Maalouf im BASF-Feierabendhaus zur Eröffnung des 27. Enjoy Jazz am 2.10.2025. © CHRISTIAN GAIER

Auch die schlafenden Menschen an den Bildschirmen werden spätestens bei den treibenden Konzerteinspielern aus dem BASF-Feierabendhaus aufgewacht sein. Angriff vor Synagoge. Flotte für Gaza. 35. Jahrestag der Deutschen Einheit. Sonntagsfrage. Ein weiteres Hoch jener Partei, deren Buchstaben umgekehrt einen d-Moll-Akkord ergeben, die aber zum Beispiel d-Moll-Akkorde von Orchestern und anderen Kultureinrichtungen als Steuergeldverschwendung ansieht.

Maalouf bringt zum Enjoy-Jazz-Auftakt Publikum zum Tanzen

Und dann: Maalouf, jener Musiker, der nach dem Redenmarathon von Anna Katharina Rapp (Soziales Engagement BASF), Katja Scharpwinkel (Vorständin BASF), Martina Pfister (Kulturbürgermeisterin Heidelberg), Thorsten Riehle (Kulturbürgermeister Mannheim), Carsten Sauerland (Finanzvorstand von Hauptförderer Phoenix) und Enjoy-Jazz-Intendant Rainer Kern genau zwei Minuten braucht, um das Auditorium zum Tanzen zu bringen.

Ibrahim Maalouf

  • Die Band: Hafsatou Saindou (Tanz), Julien Tekeyan (Drums), Mohamed Derouich (Akustikgitarre), Francois Delporte (E-Gitarre), Mihai Pirvan (Saxofon), Nizar Ali, Diwan Fortecoef, Yanis Belaid, Manel Girard, Yvan Djaouti und Ibrahim Maalouf (Trompete).
  • Nächste Enjoy-Jazz-Konzerte: 4.10.: Film „I Am the River, the River Is Me“ (17 Uhr, Karlstorkino), Tribute to Peter Brötzmann: Heather Leigh & Rasmussen-Pliakas-Wertmüller (20 Uhr, Villa Nachttanz Heidelberg). 5.10.:

    LAUT! Der Enjoy Jazz Kindertag (ab 10 Uhr, Karlstorbahnhof), Enjoy Jazz Schulbigband (17 Uhr, Karlstorbahnhof), Ditzner – Sharp Release Konzert (10 Uhr, Hackmuseum).

  • Info: enjoy-jazz.de

Maalouf ist ein Trompete spielendes und Publikum aufpeitschendes Atomkraftwerk irgendwo zwischen Beirut und Paris, das mit unbezähmbarem Willen der Welt etwas Unerhörtes erzählt: von der Fusion musikalischer Provinzen zu so etwas wie planetarischer Musik. Dabei lässt er die Leute singen. Er lässt die Leute tanzen. Er lässt die Leute lachen. Entertainment.

Wie er das macht? Er hat neun Männer und eine Frau mitgebracht. Die neun Männer spielen schmetternd Trompete wie Maalouf, Saxofon, Gitarre und Schlagzeug. Die Frau kommt immer wieder mal auf die Bühne, jedes Mal in neuer Garderobe, zeigt den Männern ihren Körper und tanzt ihnen etwas vor. Ziemlich sexuell aufgeladen, das Ganze. Man könnte nach dem Event statt des anschließenden Empfangs für geladene Gäste glatt auch ein Symposium über das Frauenbild des Mannes (oder eben dieser Männer auf der Bühne) machen.

Doch für solche gesellschaftlichen Fragen ist bei dieser Musik eigentlich keine Zeit. Alles verschmilzt hier zu einer großen Umarmung oder, wie Maalouf es nennt, zu einer Hochzeit. Das ist natürlich auch eine Qualität an sich. Maalouf vereint mit seiner Kunst 1200 Menschen zu einer Stimme und lässt sie gemeinsam feiern und, in „Au Revoir“, hymnisch singen.

Mit seinen „Trumpets Of Michel-Ange“ fegt er in schmissigen Rhythmen, beißenden Bläserchören und krachenden Breaks von Drummer Julien Tekeyan durch die Welt und also den Saal an der Leuschnerstraße. In Titeln wie „The Proposal“ oder „Love Anthem“ wird die Welt aus den Angeln und der Mensch aus dem Polstersessel gehoben – plakativ vierviertelstampfend oder im global zu findenden 3-3-2-Rhythmus, der im Salsa zu finden ist wie in afrikanischer oder arabischer Musik.

Damit ist Maalouf ein Chronist und Versöhner musikalischer Traditionen. Zum einen. Zum anderen aber jemand, der im nächsten Augenblick schon ins Cinemascope der Gefühle aufbricht, als wolle er die Welt und das Publikum gleichzeitig umarmen.

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Die Feinheit, die Maaloufs Musik auch haben kann, wird hier nur selten spürbar. Nehmen wir aber Momente in Stücken wie „True Sorry“ oder auch „Au Revoir“, beides harmonisch und rhythmisch simple Stücke, so vernimmt man da einen zarten Ton und kommt im Hören des luftigen Ansatzes einer fragilen Seele näher. Bisweilen meint man, eine Querflöte zu hören. Das sind – für den Musikfan – vielleicht die größten Momente des Abends, die natürlich dominiert werden vom Anything-Goes aus Arabia, Salsa und Rock ‘n‘ Roll.

Auf der anderen Seite ist dieser Typ, der meist im Unisono mit den anderen fünf Trompetern spielt, so sympathisch und selbstironisch, dass man ihn einfach lieben muss. „Wenn ihr heute hierhergekommen seid, weil euer Partner euch zu einem Jazzkonzert eingeladen hat“, sagt er am Ende, „dann sorry“. Das Publikum geht mit einem Lächeln und gut gelaunt. In dieser kaputten und geschäftigen Welt gewiss ein Wert an sich.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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